Positive Lehren nach Corona? Wir wollen Ihre Meinung hören

18.4.2020, 06:00 Uhr
Positive Lehren nach Corona? Wir wollen Ihre Meinung hören

© Foto: Christian Mang/imago

Nehmen wir Hartmut Rosa. Experte für Entschleunigung und zwischenmenschliche Resonanz, für gelingendes Leben – und Optimist. Wie kann es weitergehen nach der Krise, fragen wir den in Jena lehrenden Soziologie-Professor, der sich gern im Schwarzwald entspannt, seiner Heimat?

Er sagt unserer Zeitung: "Bisher haben wir uns gegenüber der Klimakrise und den Finanzmärkten als ohnmächtig erfahren – nach dem Motto: Die Hamsterräder laufen einfach immer schneller, da kann niemand etwas machen... Nun stellen wir fest: Wir können sie sehr wohl anhalten, wir sind politisch handlungsfähig, denn es ist ja nicht das Virus, das die Flugzuge vom Himmel holt. Diese politische Selbstwirksamkeitserfahrung wird nachwirken und uns handlungsfähiger machen - auch und gerade in der Klimakrise. Aber sie wird auch dafür sorgen, dass (Finanz-)Märkte wieder eingebettet werden in politische und kulturelle Bedürfnisse und Überlegungen – und nicht umgekehrt."


Kommentar: Corona-Maßnahmen lockern? Ja, aber...


Rosa gehört, wie gesagt, zu den Optimisten. Der wohl optimistischste unter ihnen ist der Zukunftsforscher Matthias Horx, der einen viel beachteten Text über die Chancen der Krise geschrieben hat.

Darin blickt er vom Herbst 2020 aus zurück auf die Corona-Zeit. Und schwärmt geradezu, was sich da alles zum Positiven gewandelt haben könnte. Ein paar Kernsätze: "Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zu Vereinsamung führten. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre führten viele sich sogar erleichtert, dass das viele Rennen, Reden, Kommunizieren auf Multikanälen plötzlich zu einem Halt kam... Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe... Die gesellschaftliche Höflichkeit, die wir vorher vermissten, stieg an."

Horx bekam für seine Zuversichts-Hymne viel Lob, aber auch etliche Kritik. Malt er die Zukunft zu schön? Es gibt bei Wissenschaftlern – wie auch bei uns Normalbürgern – neben den Optimisten auch die Nüchterneren, die Skeptiker. Armin Nassehi zum Beispiel, Soziologe in München und beteiligt an der "Exit"-Strategie der Leopoldina, die nach Ostern für Schlagzeilen gesorgt hat.

Er sagte in einem Interview gerade, dass er immer wieder staune, "wie unglaublich groß die Trägheiten von Gesellschaften sind". Und daher glaube er auch, anders als seine Kollegen, "nicht, dass die Krise zu einem grundsätzlichen Wandel führt."

Was nun, was stimmt? Fest steht: Momentan kann natürlich niemand wissen, wie die Welt, Deutschland oder auch Nürnberg im Herbst 2020 aussieht. Fest steht aber auch: Die Coronakrise wirbelt Gewissheiten durcheinander. Sie verändert Biografien,sie vernichtet Existenzen, sie bringt Branchen an den Rande des Zusammenbruchs – zunächst einmal. Aber wie es danach weitergeht, ob aus der Krise eine Chance wird – das hängt nicht allein von "der" Politik ab. Sondern auch von uns: Ob wir "die" Politik dazu drängen, dass sich vieles von dem tatsächlich so zum Guten wendet, wie es nun skizziert wird in all den Debatten über die Zeit nach Corona.

Hier ein – unvollständiger! – Überblick über die Themen und Bereiche, die vor drastischen Veränderungen stehen:

KLIMASCHUTZ: Wird Nachhaltigkeit wichtiger? Steckt im "Green New Deal", den die EU will, die Chance für ein qualitatives, nicht mehr vor allem quantitatives Wachstum? Oder wird der Turbo des Kapitalismus erst recht durchgestartet, ohne Rücksicht auf Verluste und Klima-Ziele, wie es ebenso manche fordern?

ENTLOHNUNG: Machen wir ernst damit, die nun als "systemrelevant" erkannten Berufe in Pflege, Hilfe oder auch Läden besser zu bezahlen? Wenn ja – sind wir bereit, vom "Geiz ist geil" loszukommen, weil dann Waren oder Dienstleistungen teurer werden?

ARBEIT: Wie arbeiten wir künftig? Mehr digital, mehr mobil? Welche Folgen hat das für Unternehmen und Beschäftigte? Und für Hotels, Konferenzzentren, Messen – wenn Dienstreisen durch Video-Konferenzen ersetzt werden?

BILDUNG: Wird es mehr digitalen Unterricht geben? Verschärft das die Kluft zwischen gut Gebildeten und bildungsfernen Schichten?

VORSORGE: Lernen wir aus den Versäumnissen vor Corona? Da gab es ja Studien, die genau zeigten, was eine Pandemie bedeutet. Dennoch gab es nun zu wenig Schutzmasken, Ausrüstung etc.... Experten sagen: Nach Corona kommt das nächste Virus. Bereiten wir uns gut genug vor?

ROLLE DES (SOZIAL-)STAATES: Aktuell ist der lange geschmähte Staat der zentrale Akteur. Lässt er das Gesund- oder eher Kranksparen des Gesundheitssystems samt der Kliniken weiter zu? Wenn nein: Wer zahlt für bessere Versorgung, wie werden die Billionen-Lasten der Coronakrise geschultert? Treffen sie, was viele fürchten, vor allem die Schwachen, profitieren die Wohlhabenden? Oder gelingt ein sozialer Ausgleich, womöglich mit höherer Beteiligung der Vermögenden? Wie gehen wir um mit unseren Daten? Geben wir sie preis für eine Virus-App? Wenn ja, mit welchen Folgen?

KULTUR: Wer wird überleben von all den bedrohten Künstlern? Was ist uns Kultur wert? Was wird aus der momentan tiefgefrorenen, zuvor oft exzessiven Eventisierung von Kultur?

ZUSAMMENHALT: Momentan erleben wir viel Solidarität - aber auch das Gegenteil davon, nämlich Polarisierung durch die Krise. Was wollen wir bewahren? Wie kann das gelingen?

KONSUM: Wo kaufen wir ein? Noch mehr online – bei Riesen wie Amazon, bisher Krisengewinner Nummer eins? Oder regional, bei den Händlern, die hoffentlich überleben? Und: Was kaufen wir? Billige Massenware? Oder weniger, dafür Qualität? Und auch: Wohin reisen wir?

AUSSENPOLITIK: Was wird aus der EU? Zerreißt sie? Verschärft sich die Kluft zwischen China, den USA – die aktuell als Führungsmacht ausfallen –, Europa und Russland? Hält die Tendenz zu autoritären Regimen an, siehe Ungarn? Oder erweist sich die offene Demokratie als klüger im Umgang mit Krisen? Werden die ärmsten Länder die größten Verlierer – mit Folgen wie noch mehr Migration? Oder gelingt endlich ein Umsteuern in der Entwicklungspolitik?

Nur einige Fragen, die sich stellen. Die Antworten sind offen.

Heftig debattiert wird unsere Art des Wirtschaftens: Ist die GLOBALISIERUNG gescheitert? Darüber denken auch viele in der Region nach. Der CSU-Umweltexperte Josef Göppel aus Herrieden bei Ansbach drängt auf massive Korrekturen und für ein "zellulares Wirtschaften": mehr regionale Lieferketten; mehr Kontakt zwischen Herstellern und Kunden. Wir sind zu abhängig von (Billig-)Herstellern in Indien oder China – nicht nur bei Textilien, sondern auch bei Medikamenten. "Schon in normalen Zeiten stehen Bänder still, wenn streikende Lastwagenfahrer einen Gebirgspass absperren", so Göppel. Wir haben die Lager- und Vorratshaltung oft abgeschafft oder auf die Straße, in Lkw verlagert, die "just in time" liefern – oder eben auch nicht.

Bernd Flessner, Autor und Zukunftsforscher an der Uni Erlangen, arbeitet aktuell – natürlich: im Homeoffice, in Uehlfeld. Und auch er sieht nun eine Riesen-Chance für dezentrale Produktion. "Das geht fast aus dem Stand" - mit 3-D-Druckern zum Beispiel, die rasch zum Beispiel auch Atemschutzgeräte fertigen können. Wenn Kliniken so etwas in Vorrat haben, könnten sie sich selbst versorgen. "Man kann und darf das nicht mehr alles dem Markt überlassen", fordert Flessner. Und er ist überzeugt: "Wir werden letztlich mit Gewinn aus der Krise herausgehen."

Wieder ein Optimist. Ob er Recht behält? Es liegt auch an uns.

Liebe Leserinnen und Leser,

wir alle erleben eine Situation, für die es kein Beispiel gibt. Einen Ausnahmezustand, der uns einengt und beschränkt, der aber offenbar auch Wirkung zeigt, was die Ausbreitung des Corona-Virus angeht.

Wie geht es weiter, wenn diese Krise überwunden ist? Können wir als Gesellschaft etwas lernen aus dem, was sie mit uns gemacht, uns womöglich auch gelehrt hat?

"Jetzt oder nie: Der Corona-Schock birgt die Chance auf eine bessere Welt": So heißt der Titel der morgigen Ausgabe des "Spiegel", Überschrift: "Der Aufbruch". Kann die Krise einen Aufbruch bringen? Auch wir stellten uns diese Frage und arbeiten seit rund zwei Wochen an dieser Serie, die wir heute starten: "Zeitenwende Corona. Was sich ändern muss."

Und wir möchten Sie in diese wichtige Debatte mit einbeziehen: Was denken Sie - was muss sich wie ändern, damit wir, wie es viele momentan sagen, wirklich gestärkt aus der Krise hervorgehen? Was ist Ihnen am wichtigsten? Wofür setzen Sie sich ein? Wir dokumentieren Ihre Rückmeldungen und gehen darauf in dieser Serie ein. Wir sind gespannt!

Schreiben oder mailen Sie uns - Stichwort "Zeitenwende" - an: Verlag Nürnberger Presse, Redaktion Politik, Marienstraße 9-11, 90402 Nürnberg oder nn-politik-wirtschaft@pressenetz.de


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