Probleme für Dächer: Wenn der Schnee zur Last wird

10.1.2019, 05:51 Uhr
Runter mit der weißen Pracht: Ein Mann im österreichischen Ramsau befreit ein Hausdach von den Schneemassen, die sich dort in den vergangenen Tagen aufgetürmt haben.

© Harald Schneider/afp Runter mit der weißen Pracht: Ein Mann im österreichischen Ramsau befreit ein Hausdach von den Schneemassen, die sich dort in den vergangenen Tagen aufgetürmt haben.

Professor Michael Zaiser ist im Allgäu aufgewachsen und in seiner Kindheit oft zwischen mannshohen Schneebergen zur Schule gestapft. Nicht nur einmal lag auf dem Dach von Zaisers Elternhaus mehr als ein Meter Schnee. "Wenn es da noch draufgeregnet hat, sind wir dann doch ein wenig unruhig geworden und haben den Schnee runtergeschippt", erinnert sich der Werkstoffwissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), der sich auch beruflich immer wieder mit der weißen Pracht beschäftigt.

Der 53-jährige Leiter des FAU-Lehrstuhls für Werkstoffsimulation untersucht unter anderem, wie kollabierende Verbindungen zwischen Eiskristallen die Lawinengefahr erhöhen. Bei lockerem Pulverschnee bilden sich sogenannte Sinterhälse zwischen den einzelnen Eiskörnern und halten diese auf Distanz. Beim in den vergangenen Tagen in Deutschland und Österreich gefallenen Schnee dagegen fehlen diese winzigen Klebeverbindungen. Stattdessen ist viel Wasser eingelagert, und das Ganze verdichtet sich immer weiter und wird immer schwerer, wenn der Schnee abwechselnd taut und friert oder wenn es noch auf den Schnee regnet.

Dacheinstürze möglich

Auf manches Hausdach im Süden des Freistaats drückt deshalb inzwischen eine nicht zu unterschätzende Last. Die Regierung von Oberbayern hat nun Hausbesitzer dazu aufgerufen, ihre Dächer vom Altschnee zu befreien, weil dieser sonst Schäden bis hin zu Dacheinstürzen verursachen könnte.

Michael Zaiser hingegen sieht die Situation relativ entspannt: Er werde am Wochenende nicht ins Allgäu fahren, um sein inzwischen an Feriengäste vermietetes Elternhaus vom Schnee zu befreien. "Momentan ist da noch keine Gefahr im Verzug", meint der Werkstoff-Experte, der zwei für bayerische Winter relativ untypische Faktoren für die aktuelle Wetterlage verantwortlich macht. Zum einen schneie es, obwohl sich die Temperaturen fast immer um die Null-Grad-Marke bewegen, zum anderen wehe in einigen Regionen des Freistaates ein ungewöhnlich starker Wind, der den Schnee an manchen Stellen zu noch höheren Schichten auftürme.

Feuchte Luft vom Meer

Verantwortlich für derartige Phänomene ist das derzeit noch über Osteuropa liegende Tief "Benjamin", das polare Meeresluft in den Süden Deutschlands transportiert. "Wir haben momentan eine sehr steile Nordlage, also ein Sturmtief, das quasi in direkter Linie von Norden nach Süden zieht und auf die Alpen trifft. Weil es vom Meer kommt, enthält es viel Feuchtigkeit, die im Stau der Alpen als Schnee herunterkommt", erklärt Thomas Deutschländer, Experte für Hydrometeorologie beim Deutschen Wetterdienst (DWD), weshalb gerade jetzt so viel Schnee fällt.

"Das ist aber ganz normaler Schneefall, wenn es solche Staulagen gibt. Auch in der Geschwindigkeit, wie die Schneedecke anwächst, ist das nicht außergewöhnlich", ergänzt sein Kollege Andreas Becker, Leiter des Referats Niederschlagsüberwachung beim DWD. Solche Winter gebe es immer wieder mal, nur vergesse man das sehr schnell, wenn die letzte Saison eher schneearm war.

"Es gibt allgemein keine signifikanten Trends zu mehr oder weniger Schnee in den Alpen. Bislang bleibt alles so, wie es die letzten Jahrzehnte war", betont Becker. Laut einer Analyse des DWD für die Jahre 1970 bis 2012 schwankt die Zahl der Tage mit Schneehöhen von mehr als 30 Zentimetern (der fürs Skifahren nötigen Bedeckung) sehr stark von Jahr zu Jahr.

1971 etwa waren es in den deutschen Alpen nur knapp 80 Tage, 1981 dagegen 170. Im Jahr 1989 waren es erneut 80 Tage, 2005 dagegen wieder mehr als 160 — und dabei ist die künstliche Beschneiung der Pisten natürlich noch gar nicht mit eingerechnet.

Langfristig könnte die Schneesicherheit allerdings schon deutlich abnehmen. Nach einem Bericht des Umweltbundesamts gelten derzeit 27 von 39 bayerischen Skigebieten als schneesicher. Bei einer Erwärmung der
Mitteltemperatur um ein Grad blieben nur noch elf davon übrig, bei zwei Grad lediglich fünf und bei vier Grad nur ein einziges.

Einzelne besonders schneearme Winter haben aber natürlich schon in den vergangenen Jahren mächtig ins Kontor geschlagen, etwa der bislang wärmste Winter in Deutschland, der in den Jahren 2006/2007 mit einer Durchschnittstemperatur von 4,4 Grad aufwartete oder der Winter 1997/1998 mit 3 Grad.

Wenige alte Wetterdaten

Insgesamt weiß man selbst beim Deutschen Wetterdienst noch sehr wenig über die Entwicklung der Schneefälle in den vergangenen Jahrzehnten. Historische Daten gibt es nur punktuell, von schon lange existierenden Messstationen, aber nicht für das gesamte relevante Gebiet. Historische Einordnungen sind deshalb schwierig.

"Da sind wir nicht so breit aufgestellt, wie wir das gerne wären. Vor 30 Jahren wusste man eben noch nicht, welche Extreme es heute gibt", räumt Deutschländer ein. In der Schweiz, die schon immer von heftigen Schneefällen und großer Lawinengefahr geprägt sei, könne man solche Einordnungen und statistischen Daten dagegen sofort aus der Schublade ziehen.

Seit einigen Jahren aber arbeitet auch der DWD daran. Es werden nicht mehr nur die aktuellen Daten gespeichert, sondern es wird auch zurückgerechnet, um Schneefälle der Vergangenheit zu erfassen, und zwar sehr kleinräumig für das gesamte Bundesgebiet. "Momentan sind wir da aber erst bei neun oder zehn Jahren. Für eine wirkliche Klimatologie, für sinnvolle Aussagen und Einordnungen müssten es schon mindestens 30 Jahre sein", meint Deutschländer.

2 Kommentare