Ministerien nennen erste Erkenntnisse

Taliban-Herrschaft: Wie gefährdet sind die afghanischen Ortskräfte wirklich?

24.1.2022, 05:55 Uhr
Kabul: Zuletzt warteten noch mehr als 28.000 Menschen auf die Möglichkeit zur Ausreise nach Deutschland. 

© -, dpa Kabul: Zuletzt warteten noch mehr als 28.000 Menschen auf die Möglichkeit zur Ausreise nach Deutschland. 

Ein halbes Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan haben sich Befürchtungen einer gezielten Verfolgung der einheimischen Mitarbeiter bisher nicht bestätigt. Dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) sei „ein konkreter Fall bekannt, bei dem eine Ortskraft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für eine Woche inhaftiert wurde“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. „Darüber hinaus hat das BMZ keine eigenen Erkenntnisse darüber, dass Ortskräfte der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan seit August 2021 von den Taliban bedroht, misshandelt oder getötet worden sind.“

Berichte kaum zu verifizieren

Dem BMZ seien einzelne Berichte von Ortskräften über entsprechende Vorkommnisse bekannt, sagte der Sprecher. Diese könnten aber, auch aufgrund einer fehlenden deutschen Präsenz vor Ort, nicht verifiziert werden. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es: „Über eine generelle Bedrohung von ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr seit Machtübernahme der Taliban einschließlich einer Verlautbarung der Taliban in diesem Sinne liegen dem Bundesministerium der Verteidigung keine nachprüfbaren Informationen vor.“

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte vor Weihnachten angekündigt, die Bundesregierung werde die Evakuierung von besonders schutzbedürftigen Menschen – darunter Menschenrechtsverteidiger und frühere Ortskräfte – beschleunigen. „Sie sind nicht vergessen“, versicherte Baerbock. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, alle in Sicherheit zu bringen.“

Auch steuere Afghanistan „in die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“, warnte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die schwere Hungersnot in dem Land. Große Teile der Wirtschaft in Afghanistan seien zusammengebrochen, viele Menschen müssten hungern, Familien verkauften in ihrer Verzweiflung ihre Töchter, um Nahrungsmittel kaufen zu können.

Doch ohne Mitarbeiter im Land ist die nötige Hilfe für 24 Millionen Menschen nicht zu leisten. Während die Bundesregierung einerseits bemüht ist, bisherige Ortskräfte und ihre Angehörigen aus dem Land nach Deutschland zu bringen, werden in Afghanistan bereits neue Mitarbeiter unter Vertrag genommen. Um im Auftrag des Entwicklungsministeriums „Programme der Daseinsfürsorge zur Abmilderung der humanitären Katastrophe umzusetzen“, haben die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Nichtregierungsorganisationen „in begrenztem Umfang neue Ortskräfte in Afghanistan eingestellt“, sagte der Sprecher.

Die Bundeswehr war Ende Juni 2021 nach fast 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen und hatte sich im August elf Tage lang an einer Evakuierungsmission für Schutzbedürftige beteiligt. Bis zum Jahreswechsel waren deutlich mehr als 5000 Menschen in Deutschland aufgenommen worden. Zuletzt warteten noch mehr als 28.000 Menschen auf die Möglichkeit zur Ausreise.