Terzenbach: "Wir sind nicht die Bundesagentur für Alles"

9.10.2019, 19:25 Uhr
Terzenbach:

© Roland Fengler

Herr Terzenbach, Sie sind seit einem guten halben Jahr im Amt – ein halbes Jahr, das überschattet war von einem Machtkampf in der Bundesagentur um Ihre Kollegin Valerie Holsboer. Wie haben Sie diese ersten Monate erlebt?

Daniel Terzenbach: In der Zeit, in der wir nur zu zweit im Vorstand waren, haben sich Detlef Scheele und ich die Aufgaben, die vorher von Frau Holsboer wahrgenommen wurden, geteilt. Mein Kern-Verantwortungsbereich sind eigentlich die Regionen, also die Arbeit in den Agenturen und Jobcentern, und daneben baue ich den internationalen Bereich der BA auf. Zusätzlich war ich jetzt einige Monate Finanzvorstand. Das gut zusammenzukriegen war nicht ganz trivial. Einen Finanzhaushalt von über 35 Milliarden Euro aufzustellen, das kann einem auch mal schlaflose Nächte bereiten.

Was denken Sie über die Entlassung von Frau Holsboer?

Terzenbach: Die Entscheidung, Vorstände zu bestellen und abzuberufen, ist Sache eines Aufsichtsorgans. Das ist in Unternehmen so, das ist auch bei uns so. Die Ereignisse gingen nicht von uns als Vorstand aus. Dass das "Wie" äußerst unerfreulich war, darüber haben wir uns alle – auch die Selbstverwaltung – hinreichend artikuliert. Es hilft aber nicht, nach hinten zu schauen. Ich bin froh, dass wir jetzt wieder zu dritt sind, dass ich mit Christiane Schönefeld eine Kollegin habe, die extrem erfahren ist und die BA bestens kennt.

Der internationale Bereich, den Sie gerade aufbauen, soll Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland bringen. Wie soll das vonstatten gehen?

Terzenbach: Die Rekrutierung von Fachkräften ist wirklich harte Arbeit. Und wir als Bundesagentur setzen hier nicht auf schnelle Erfolge, sondern auf Nachhaltigkeit. Wir wollen – gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern, Arbeitgebervertretern und der Politik – partnerschaftliche Abkommen mit Ländern schließen, von denen Deutschland, aber auch die Partnerländer etwas haben. Die Frage ist: In welchen Ländern können wir ausgebildete Fachkräfte für Deutschland begeistern und wo können umgekehrt wir diesen Ländern zum Beispiel im Bereich der Ausbildung oder bei der Weiterentwicklung der Arbeitsverwaltung helfen?

Auf welche Länder – und Berufe – sind Sie dabei gekommen?

Terzenbach: Auf Berufsfelder, die unabhängig von der Konjunktur nachgefragt werden – allen voran die Pflege. Wir wollen den Beschäftigten in Deutschland keine Konkurrenz machen, sondern Lücken schließen, die sonst immer größer werden. Erfahrungen sammeln wir gerade mit Mexiko. Mit den Philippinen, Tunesien und Bosnien kooperieren wir schon seit einigen Jahren. Von dort konnten wir gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit bereits 3600 Pflegekräfte rekrutieren. Davon sind bereits 2100 Fachkräfte nach Deutschland eingereist. Das sind zunächst mal erfreuliche Zahlen, die im Kontext des Pflegenotstandes aber nicht ausreichen werden.

Sind diese Abkommen denn tatsächlich so partnerschaftlich? Auf dem Balkan leiden viele Staaten enorm darunter, dass ihnen junge Leute massenhaft den Rücken kehren.

Terzenbach: Wir setzen auf Länder, die demografisch einen Überschuss an jungen Menschen haben, die auf dem dortigen Arbeitsmarkt gar nicht alle unterkommen können. Außerhalb Europas ist das eher die Regel – die Weltbevölkerung wächst ganz rapide. Außerdem achten wir darauf, dass wir nicht Pflegekräfte aus Ländern abwerben, in denen selbst Pflegekräfte fehlen – wie in Indien. Das Problem in Indien ist: Die Leute wollen trotzdem weg – und gehen dann in andere Länder zu Bedingungen, die sich keiner wünschen kann. Auch aus Bosnien hören wir: Die Leute gehen ohnehin. Bosnien möchte aber sicherstellen, dass sie zu guten, fairen Bedingungen woanders arbeiten. Dort setzen wir an.

Es gibt starke Vorbehalte gegen Zuwanderung. Wohl auch wegen Meldungen wie der, dass drei von vier Syrern Hartz IV beziehen.

Terzenbach: Es ist wichtig, nicht alles in einen Topf zu werfen. Wir müssen Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten und Zuwanderung aus der EU – die einen großen Teil des deutschen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre erst ermöglichte – unterscheiden von Flucht aus lebensbedrohlichen Bedingungen. Ich war vergangene Woche auf dem Flüchtlingsgipfel der Kanzlerin. Es waren alle relevanten Minister, alle Netzwerkpartner aus Gesellschaft und Wirtschaft da. Wir waren uns einig, dass die bisherige Bilanz bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen überwiegend positiv ist. Wir sind bei der Integration schneller als zu erwarten war. Die Tendenz zur Beschäftigungsaufnahme wächst immer weiter. Und dass immer noch viele Flüchtlinge Leistungen beziehen, ist per se nicht negativ.

Wie meinen Sie das?

Terzenbach: Es ist viel wertvoller, wenn wir zu den Menschen Kontakt haben, als wenn diese sich außerhalb von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen über Wasser halten, kein Deutsch lernen und keine Integration stattfindet. Wir sollten uns als Gesellschaft bewusst entscheiden, in die Zukunft dieser Menschen zu investieren – indem wir ihnen zum Beispiel die Zeit geben, systematisiert die Sprache zu lernen. Am Schluss ist das viel nachhaltiger und wirtschaftlicher.

Kommen Sie an die Menschen überhaupt richtig ran – vor allem an Flüchtlingsfrauen?

Terzenbach: Das gelingt uns noch nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen würden. Zurzeit betreuen wir in den Jobcentern fast 78 000 Frauen mit Fluchthintergrund, die noch kleine Kinder haben. Für uns bedeutet das, dass die jungen Mütter unsere Angebote nicht annehmen müssen. Dies birgt die Gefahr, dass wir sie nicht so aktivieren und an den Arbeitsmarkt heranführen können, wie es aber sinnvoll und notwendig wäre. Dessen ungeachtet müssen wir als Gesellschaft noch stärker passgenaue Deutschkurse und Kinderbetreuung anbieten. Sonst bauen wir im schlechtesten Falle eine Generation auf, in der gesellschaftliche Integration zu kurz kommt. Den Fehler einer Nicht-Integration haben wir in den 60er Jahren als Gesellschaft gemacht und sollten ihn nicht wiederholen. Das kann aber nicht die Bundesagentur für Arbeit alleine lösen. Wir sind nicht die Bundesagentur für Alles.

Blicken wir auf den Arbeitsmarkt als Ganzes. Der Abschwung schlägt sich langsam nieder. Wie schlimm wird es?

Terzenbach: Wir sind in einer konjunkturellen Delle. Ob wir in eine Rezession gleiten, ist für den Arbeitsmarkt insgesamt relativ irrelevant. Wir haben einen höheren Anteil an Arbeitsplätzen, die nicht von der Konjunktur abhängen. Ja, das Beschäftigungswachstum wird kleiner, die Kurzarbeit nimmt zu, aber wenn ich den Begriff Krise höre, wie er nun herumwabert, möchte ich in Erinnerung rufen: Wir hatten zur Finanzkrise 1,45 Millionen Kurzarbeiter. Jetzt haben wir keine 50 000. Das Glas ist für mich halbvoll, nicht halbleer.

Ein Porträt über Daniel Terzenbach lesen Sie hier.

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