Trauriges Bild: Die SPD im Wolkenkuckucksheim

6.8.2019, 15:48 Uhr
Trauriges Bild: Die SPD im Wolkenkuckucksheim

© Foto: Christian Charisius / dpa

So weit ist es mit der SPD schon gekommen: Mit dem 39-jährigen Robert Maier wirft ein Genosse aus der dritten Reihe seinen Hut in den Parteivorsitz-Ring. Um das gleich klarzustellen: Das ist aller Ehren wert, und Maiers Motive (er ist Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums) sind sicherlich integer. Aber ist es nicht bezeichnend für den Zustand einer Partei, dass sich solche politischen Mittelgewichte nach vorn wagen, weil die Dinosaurier im Präsidium allesamt den Schwanz einziehen? Oder sich im Ungefähren verlieren, sobald man sie fragt, ob sie sich den Job zutrauen? Die SPD benimmt sich, als lebte sie im Wolkenkuckucksheim, um der traurigen Realität nicht ins Auge sehen zu müssen: Sie nähert sich in Umfragen der Zehn-Prozent-Marke.

Rückblende: Für viele war Gerhard Schröders Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen die Ursünde. Damals verließen viele Linksorientierte die SPD, gründeten die WASG, die später mit der Linken verschmolz. Ob Schröders Radikalkur nun falsch war oder nicht, darüber kann man trefflich streiten. Fest steht, dass die SPD damals begann, weitaus marktwirtschaftlicher zu denken und ihre klassische Klientel verprellte.

Manche meinen gar, dass die SPD schon zuvor dadurch, dass sie (etwa mit der Einführung des Bafög) allen Gesellschaftsschichten Zugang zur höheren Bildung ermöglichte, ihre ureigensten Wähler, die klassischen Arbeiter, selbst abschaffte und sich damit die Grube aushob, in der sie heute sitzt. Doch so einfach ist es nicht - dass sich Wähler von einer Partei abwenden, hat immer auch mit deren Kurs und den Männern und Frauen am Steuerrad zu tun.

Entscheidungen nicht nachvollziehbar

Und da lief einiges schief. Als Schwarz-Gelb regierte, machten die Genossen eine passable Oppositionspolitik. Doch dann kam die GroKo, welche heute noch das Land regiert. Mit einer SPD, die ihr ehemals sozial ausgerichtetes Profil in neun von zehn Politikfeldern aufgegeben hat und die Kanzlerin vor sich hinwurschteln lässt. Dann folgte jener Moment, als das Land auf Martin Schulz blickte, nach der letzten Bundestagswahl, nur Minuten, nachdem die Wahllokale geschlossen hatten und die SPD mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten einfuhr. "Schluss mit der GroKo", sagte er damals, und viele Genossen an der Basis dachten: "Endlich, Kante zeigen, ja bitte!"

Wenige Tage später wurde der Vertrag zur nächsten GroKo unterzeichnet. Die SPD war umgekippt, sicherte sich einen Platz an den Fleischtöpfen der Macht und büßte das letzte Restchen an Glaubwürdigtkeit ein, das ihr noch geblieben war. Garniert wurde die Malaise mit personalpolitisch schwer vermittelbaren Entscheidungen. Andrea Nahles ist keine, die eint, sie war schon immer eher eine Spalterin. Wie man sie erst zur Generalsekretärin und später zur Parteivorsitzenden machen konnte, bleibt rätselhaft.

Und nun? Fährt die SPD-Führung immer noch einen "Weiter so!"-Kurs und setzt darauf, dass die Wähler irgendwann schon wieder zur Besinnung kommen werden. Das werden sie nicht, sofern die SPD nicht damit aufhört, eine sozial angehauchte CDU sein zu wollen. Das Wahlvolk, das zumindest legen Befragungen nahe, wünscht sich eine Alternative zur Union, findet sie aber derzeit nur bei den Grünen. Oder ist so frustriert, dass es ganz rechts außen wählt, vor allem in Ostdeutschland. Muss man da als Parteistratege nicht ins Grübeln kommen?

Aus Gründen der Staatsräson ist man 2017 die neue GroKo eingegangen, hieß es. Aus Gründen der Staatsräson, liebe SPD, musst Du im 21. Jahrhundert ankommen und dich den Realitäten stellen. Das wird wehtun, ist aber unumgänglich, wenn du jemals wieder Wähler dazugewinnen willst. Ob das mit Politikern wie Karl Lauterbach, Alexander Ahrens, dem eingangs genannten Robert Maier oder Simone Lange an der Spitze gelingen kann, ist sehr fraglich.

Im November, nach drei vermutlich desaströsen Landtagswahlen (Brandenburg, Sachsen, Thüringen), steht die Halbjahresbilanz der GroKo an. Bis dahin muss sich eine/r finden, der Annegret Kramp-Karrenbauer auf Augenhöhe begegnen kann und klarmacht, wofür die Genossen im Bund stehen. Gelingt das nicht, ist ein Absturz unter die Zehn-Prozent-Marke vorstellbar.

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