Unterbezahlt: Fernfahrer kämpfen sich durch Corona-Krise

7.4.2020, 14:59 Uhr
Der Job ist knallhart und die Arbeit unterbezahlt: Fernfahrer werden in der Corona-Krise gerne als Helden des Alltags gefeiert. Im Beruf stoßen sie oft auf Widrigkeiten.

© dpa Der Job ist knallhart und die Arbeit unterbezahlt: Fernfahrer werden in der Corona-Krise gerne als Helden des Alltags gefeiert. Im Beruf stoßen sie oft auf Widrigkeiten.

Sören Schellenberg ist Millionär. Leider nur, was die Kilometer betrifft. Die Wegstrecke, die der 49-Jährige in den vergangenen 20 Jahren "auf dem Bock" zurückgelegt hat, dem 40-Tonner, seinem Sattelzug, er schätzt sie auf drei Millionen. Es ist eine kleine Spedition in der Südstadt, für die der Nürnberger fährt. Beziehungsweise, mit der er auf Fahrten hofft. Fluch oder Segen, dass er jetzt bereits alle zwei Tage nach Hause kommt, statt wie früher "brutal von Montag bis Freitag jede Nacht im Lkw auswärtig zu schlafen"?

Fünf Lkws für den Fernverkehr und fünf 7,5-Tonner warten in der Brunecker Straße beim Nürnberger Spediteur Windisch auf Einsätze. "Es gibt wenig Ladung. Die Frachtbörsen sind leer. Die Preise absolut im Keller", sagt Fahrer Schellenberg. Und: "Wir haben keine Reserven."

Unterbezahlt: Fernfahrer kämpfen sich durch Corona-Krise

© Foto: privat

Wenn er als Fernfahrer im Zeichen von Corona plötzlich eine Art Heiligsprechung erfährt und Fernfahrer auf einmal als "Helden des Alltags" gefeiert werden, findet Schellenberg das eher absurd. Von solcher Heldenverehrung kann er sich nichts kaufen: "Klar habe ich vor Corona Respekt. Aber persönlich habe ich Angst um meine Arbeit." Sie werde schlecht bezahlt. Held der Arbeit? "Eher Trottel der
Nation".

Für Lkw-Lieferanten sind die Arbeitsnächte oder Autobahntage derzeit noch einsamer als sonst: "Du wirst ausgesperrt", sagt Schellenberg und spielt damit auf die Vorsichtsmaßnahmen vieler Raststätten, aber auch Betriebe an, die er als Lastwagenfahrer beliefert. Einige Autohöfe haben zeitweilig ganz geschlossen, aus Angst vor dem Virus. "In vielen Firmen steht für uns auf dem Hof nur noch ein Dixie-Klo." Kein fließendes Wasser, "als ob du als LKW-Fahrer ein altes Schwein wärst und so was nicht brauchst".

Willy Schnieders pflichtet der Verärgerung bei. "Kraftfahrer waren ja schon vor Corona mit das Letzte in dieser Arbeitsgesellschaft", sagt der 62-Jährige. Der Norddeutsche war 38 Jahre lang selbst international auf Trucktouren unterwegs, bevor er Vorsitzender bei der Kraftfahrergewerkschaft (KFG) in Bremen wurde. Nur rund zehn Prozent der rund 840.000 Lkw-Lenker, die es in Deutschland gebe, seien gewerkschaftlich organisiert, sagt Schnieders: "Viele haben einfach nicht das Geld."

Corona-Krise: Sorgen und Unterstützung

Große Sorgen kommen ihm zu Ohren. Zum Glück aber zwischendurch auch Erfreuliches: "Ich erhalte Anrufe von unterwegs", erzählt er. Anrufe aus Lkws, wenn Kollegen einen Slogan entdecken, auf dem etwa "Schön, dass Ihr da seid" am Autobahnrand zu lesen steht.

Die Hygiene-Situation auf den Autohöfen habe sich "schon wieder ein bisschen gebessert", teilt Schnieders mit. In den Sanifair-Hygieneräumen sämtlicher vom Bund betriebener Raststätten zum Beispiel werde den Brummifahrern jetzt sogar die kostenlose Toilettenbenutzung angeboten. Freilich: "Andere lassen sich sogar das Klopapier bezahlen."

Rund 400 Autobahnkilometer fallen in den Zuständigkeitsbereich der Verkehrspolizeidirektion Feucht. Zwischen Hormersdorf und Altmühltal, zwischen Oberölsbach und Behringersdorf erstreckt sich ihr asphaltiertes Revier für rollende Massen. Auch Rasthöfe liegen im Fokus der Feuchter. "Die meisten Lkw-Fahrer gehen vernünftig mit der aktuellen Situation um", stellt Amtsleiter Stefan Pfeiffer fest: "Es sind manchmal ja komplette Lebenskünstler, die da drin sitzen."

Dabei erfordert der Job hinter den großen Windschutzscheiben eine Kunst, die auch zehrt. "Was du am Nummernschild siehst, ist nicht der Fahrer, der oben sitzt", weiß Schellenberg und spricht ein offenes Geheimnis an: "Der da oben sitzt, ist billiger." Schellenberg macht keinen Hehl daraus, sich über die Marktmacht vor allem osteuropäischer Transportanbieter zu ärgern, die ihre Fahrer häufig wochenlang auf Tour schicken würden: "Das sieht man diesen Menschen an. Die sehen nicht gesund aus."

Weniger Routinekontrollen wegen Corona

Von Routinekontrollen nimmt die Polizei dem Dienststellenleiter Pfeiffer zufolge wegen der Corona-Gefahr zwar derzeit Abstand: "Aber bei Verdachtsmomenten wie technischen Mängeln oder Schlangenlinien schreiten wir ein."

Beim Schlingerkurs der Transportbranche können dagegen auch die Freunde und Helfer von der Polizei nicht weiterhelfen. Mit einem Appell meldete sich Dirk Engelhardt als Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) bei der NZ. "Momentan haben wir in Deutschland 40 Prozent Fahrzeuge aus Ländern, die einen ganz anderen Mindestlohn haben." In Bulgarien liegt dieser zum Beispiel bei 1,87 Euro, in Tschechien bei 3,40 Euro – so die Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen (WSI) Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Engelhardt setzt seine Hoffnung auf einen EU-weiten Mobilitätspakt. "Wenn wir da jetzt nicht umdenken und für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen, dann haben wir in der nächsten Krise ein Problem. Dann sind nämlich die Versorger, die Helden des Alltags, wie wir sie jetzt nennen, nicht mehr da."


Unter diesem Link finden Sie täglich aktualisiert die Zahl der Corona-Infizierten in der Region. Diese Gebiete in Bayern, Deutschland und der Welt sind besonders von Corona betroffen. Sie haben selbst den Verdacht, an dem Virus erkrankt zu sein? Hier haben wir häufig gestellte Fragen zum Coronavirus zusammengestellt. Sie sind wegen der Krise von Kurzarbeit betroffen? Hier haben wir die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.

Ein bisschen Abwechslung gefällig? Wie viele Millionen andere Deutsche arbeitet auch unsere Redaktion nun von Zuhause. Im Live-Blog berichten die Kollegen live! Ob Sie selbst ein Anrecht auf Homeoffice haben, erklären wir Ihnen hier.


Wir informieren Sie ab sofort mit unserem täglichen Corona-Newsletter über die aktuelle Lage in der Coronakrise, geben ihnen Hinweise zum richtigen Verhalten und Tipps zum alltäglichen Leben. Hier kostenlos bestellen. Immer um 17 Uhr frisch in Ihrem Mailpostfach.

Sie bevorzugen Nachrichten zur Krise im Zeitungsformat? Erhalten Sie mit unserem E-Paper-Aktionsangebot immer die wichtigsten Corona-News direkt nach Hause: Ein Monat lesen für nur 99 Cent! Hier gelangen Sie direkt zum Angebot.


Sie wollen in der Corona-Krise helfen: Dann sind Sie in unserer Facebookgruppe "Nordbayern hilft" genau richtig!

Verwandte Themen


14 Kommentare