Nord Stream 1 und 2

"Unvorstellbares Ausmaß": Umwelthilfe befürchtet Klimaschäden nach den Nord-Stream-Lecks

29.9.2022, 09:40 Uhr
Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee, fotografiert aus einem Flugzeug der schwedischen Küstenwache.

© Swedish Coast Guard/dpa Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee, fotografiert aus einem Flugzeug der schwedischen Küstenwache.

Nach Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) führen die Schäden an den Pipelines Nordstream 1 und 2 zu etwa 7,5 Millionen Tonnen an sogenannten CO2-Äquivalenten. Das entspreche etwa einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamtemissionen, teilte das UBA am Mittwoch mit. Die Berechnung stütze sich auf geschätzte Informationen zu Füllzustand und Volumen der beiden Pipelines.

Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet. Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid.

Das UBA geht davon aus, dass durch die ersten drei entdeckten Lecks 0,3 Millionen Tonnen Methan in die ⁠Atmosphäre gelangen werden. Die Deutsche Umwelthilfe forderte die Betreiber der Nord Stream-Pipelines und die deutschen Aufsichtsbehörden auf, das verbleibende Gas aus allen Strängen der Ostsee-Pipelines unverzüglich abzupumpen. "Die Lecks sind ein Superemitter-Event von unvorstellbarem Ausmaß", sagte Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner in einer Mitteilung. "Das verbleibende Gas muss sofort aus allen Pipeline-Strängen abgepumpt werden."

IOW: Klimaeinfluss von Nord-Stream-Lecks eher gering

Der Einfluss der ersten drei entdeckten Lecks auf den Klimawandel ist laut dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) vergleichsweise gering. "Das Klimageschehen wird dadurch nicht verändert", sagte IOW-Forscher Oliver Schmale am Mittwoch in Rostock. Nichtsdestotrotz entspreche die Gesamtmenge von 500 Millionen Kubikmetern Erdgas, die nach Annahmen verschiedener Medien aus den Leitungen entweichen kann, rund 18 Prozent des Jahresausstoßes an Methan in Deutschland im Jahr 2021. Im globalen Vergleich sind es Schmale zufolge jedoch lediglich 0,06 Prozent. Das aus der Pipeline entweichende Erdgas besteht den Angaben nach zu rund 97 Prozent aus Methan.

Der Wissenschaftler will den Schaden, der vom Treibhausgas Methan ausgelöst wird, jedoch nicht kleinreden. Der Treibhausgaseffekt sei bei Methan rund 25-mal stärker als bei CO2. Durch die Anreicherung der Gase in der Atmosphäre wird von der Erde abgestrahlte Energie - die eigentlich ins All entweichen würde - wieder zurückgeworfen. Rein wissenschaftlich betrachtet würde es Schmale zufolge also Sinn machen, das entweichende Erdgas über der Wasseroberfläche zu entzünden und damit seine Umwandlung zu CO2 auszulösen. Ob dies in der Praxis gangbar ist, könne er jedoch nicht einschätzen.

Dem Mitarbeiter des Leibniz-Instituts nach dürfte sich aufgrund der mit maximal 88 Metern recht geringen Wassertiefe der Nord-Stream-Schäden auch nur wenig Methan im Wasser lösen. Im Vergleich dazu habe sich das bei der Havarie der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko im Jahr 2010 entweichende Gas aufgrund des hohen Wasserdrucks in großer Tiefe gelöst und sei über Bakterien im Wasser zu CO2 oxidiert.

Schmale stützt zudem Aussagen der Deutschen Umwelthilfe und des Naturschutzbundes, wonach die direkten Auswirkungen auf die Meeresumwelt durch den Methan-Austritt eher lokal beschränkt sein dürften. Zwar könnte dem Wasser in der Umgebung der Lecks Sauerstoff entzogen werden, doch durch die Umwälzung der Wassermassen dürfte sich dieser Effekt der Diffusion von im Wasser gelösten Sauerstoffs in die vom Meeresboden entwichenen Gasblasen in Grenzen halten.

Drei Lecks waren nach ersten Druckabfällen Anfang der Woche sowohl in einer der Röhren der Nord-Stream-2-Pipeline wie auch an beiden Röhren von Nord Stream 1 entdeckt worden. Die Lecks befinden sich in der Nähe der dänischen Insel Bornholm. In der Region wurden Anfang der Woche Explosionen registriert. Die EU und die Nato gehen von Sabotage aus. Am Donnerstag bestätigte die Kommandozentrale der schwedischen Küstenwache ein viertes Leck.

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