Urteil im Mordfall Lübcke sendet widersprüchliche Signale

28.1.2021, 14:07 Uhr
Lebenslang: Der Hauptangeklagte im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Stephan Ernst (r.), sitzt im Gerichtssaal neben seinem Anwalt Mustafa Kaplan.

© Kai Pfaffenbach, dpa Lebenslang: Der Hauptangeklagte im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Stephan Ernst (r.), sitzt im Gerichtssaal neben seinem Anwalt Mustafa Kaplan.

Die folgenden Sätze waren es, die Walter Lübcke sein Leben kosteten: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

Der Kasseler Regierungspräsident sprach diese Sätze bei einer Bürgerversammlung 2015, als er von Besuchern attackiert wurde, weil er die Aufnahme von Flüchtlingen verteidigte. Eine klare Ansage auch an die Zwischenrufer, die ihn gerade nach diesen Sätzen wütend attackierten. Einer der Wutbürger: Stephan Ernst, der nun zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.

Wenn aus Worten Taten werden

Denn bei ihm geschah, was wir in der jüngsten Vergangenheit zu oft erleben mussten: Aus verbalem Hass wurde konkrete Gewalt in ihrer radikalsten Form. Der einschlägig und mehrfach vorbestrafte 47-Jährige erschoss in der Nacht zum 2. Juni 2019 den CDU-Politiker Lübcke vor dessen Haus. Ein kaltblütiger Mord - so wertete nun auch das Gericht die Tat.

Stephan Ernst war in rechtsextremen Kreisen über Jahrzehnte hinweg gut vernetzt - entgegen der Einschätzung der Verfassungsschützer, die ihn seit einigen Jahren nicht mehr auf dem Schirm hatten. Ein gravierender, nicht nachvollziehbarer Fehler. Womöglich könnte Lübcke noch am Leben sein, wenn Ernst unter Beobachtung geblieben wäre. Noch nicht wirklich umfassend untersucht sind zudem seine Kontakte zur Neonazi-Szene in Kassel und dadurch auch mindestens zum Umfeld des NSU, der mit seiner Mordserie - drei Taten wurden in Nürnberg verübt - das Land erschütterte.

Milder Richterspruch für den Mittäter

Lebenslang: Mehr geht nicht. Das ist ein klares Signal. Weniger klar, ja zwiespältig wirkt das sehr milde Urteil gegen den Mitangeklagten Markus H., der wegen Beihilfe zum Mord angeklagt war. Er wurde nun lediglich wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Das erstaunt zumindest angesichts von Aussagen während der Verhandlung, wonach die Tat ohne H. kaum vorstellbar gewesen sei und der Mitangeklagte der Denker, Stephan Ernst dagegen mehr der ausführende Täter gewesen sei.

Setzte das Gericht - wie bei etlichen anderen Prozessen gegen Neonazis - zu sehr auf die Einzeltäter-These? Geriet das Umfeld zu wenig in den Blick? Anstehende Untersuchungsausschüsse können das vielleicht klären. Da zeigt sich, dass der Staat erst spät - eben erst seit dem Mordfall Lübcke - entschieden(er) auf rechte Gewalt reagierte.

Der Fall markiert eine Wende

Da nämlich war der Fall Lübcke eine Wendemarke: Nicht mehr der (sinkende) islamistische Terror gilt seitdem als Hauptbedrohung, sondern der braune Terror - in Taten und auch in Worten.

Denn viele, zu viele radikalisieren sich schon im Netz. Mit Worten, mit Likes unter Hass-Parolen. Auch das zeigte sich beim Fall Lübcke. Ein Youtube-Video verbreitete dessen Kampfansage an die Feinde der Freiheit und Menschenwürde, darauf wurde der Regierungspräsident zum Hassobjekt für Rechtsextreme, die ihn als "Volksverräter" brandmarkten.

Kassel, Halle, Hanau

Stephan Ernst nahm diese Parolen ernst und schritt zur Tat. Ähnlich wie der kürzlich verurteilte Attentäter von Halle, der möglichst viele Juden umbringen wollte. Ähnlich wie der Attentäter von Hanau, der wahllos Migranten tötete. Diese Täter radikalisierten sich im Netz. Bei allen wurde aus Hass und Wut radikale, enthemmte Gewalt.

Um ähnliche Fälle zu verhindern, braucht es kundige, kompetente, gut ausgestattete Fahnder. Sie müssen nicht nur das reale Umfeld potenzieller rechter Gefährder und diese selbst im Blick haben, sondern auch deren digitale Spuren. Da gibt es Nachholbedarf.

Gegen Werte, gegen die Menschenwürde

Der Rechtsstaat muss alles tun, um die Feinde der Freiheit in die Schranken zu weisen. Täter wie Stephan Ernst bekämpfen all das, was dieses Land ausmacht - und das sind, genau wie es Walter Lübcke gesagt hat, die Werte des Grundgesetzes. Ganz vorn steht da die Würde jedes Menschen. Lübcke hat sie vehement verteidigt - sein Mörder und dessen Umfeld sprechen mit ihrem Hass anderen Menschen genau diese Würde ab. Am Ende mit Gewalt. Gegen all das muss sich der Staat wehren, so entschieden wie möglich.

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