Warum es immer weniger Grabsteine auf Friedhöfen gibt

15.11.2019, 05:55 Uhr
Warum es immer weniger Grabsteine auf Friedhöfen gibt

© Foto: Anestis Aslanidis

Auch in Franken hat sich die Bestattungskultur in den vergangenen Jahren gravierend verändert. Der Trend geht zu Feuerbestattungen und Urnen, die weniger Platz auf den Friedhöfen brauchen. "Der Anteil von Erdbestattungen beträgt bei uns nur noch 27 Prozent", klagt etwa Gerhard Kratzer, der Leiter der Nürnberger Friedhofsverwaltung. Gerade auf dem Süd- und auf dem Westfriedhof, den größten Anlagen unter den zehn kommunalen Friedhöfen der fränkischen Großstadt, verkauft seine Behörde in den abgelegeneren Teilen kaum noch eine Grabstelle.

Friedhöfe in Franken: "Eigentlich ist es absurd"

Auch auf vielen anderen Gottesäckern in der Metropolregion sind immer größere Lücken zwischen den Grabreihen zu sehen. Der Friedhof wird zum Flickenteppich, was eine kostendeckende Bewirtschaftung immer schwieriger macht. Gebäude, Wege und Brunnen müssen trotzdem in Schuss gehalten, Bäume und Büsche regelmäßig zurückgeschnitten werden, damit die Gottesäcker nicht verwildern. 

Dennoch musste die Nürnberger Friedhofsverwaltung in den vergangenen Jahren Personal abbauen, um die angesichts der kostengünstigeren Urnengräber erheblich gesunkenen Einnahmen betriebswirtschaftlich aufzufangen. Auch die Grabgebühren mussten erhöht werden, damit die Rechnung noch einigermaßen aufgeht. "Eigentlich ist es absurd: Wir müssen das Produkt teurer machen und gleichzeitig die Qualität senken", resümiert Kratzer. Doch die Maßgabe, dass kommunale Friedhöfe kostendeckend betrieben werden müssen, lässt ihm keine andere Wahl.

Soziologe spricht von "Friedhofsflucht"

Angesichts des gesellschaftlichen Wandels werden sich die Probleme weiter verschärfen. "Die Bedürfnisse sind heute ganz anders. Die Menschen sind viel mobiler und verbringen nicht mehr ihr ganzes Leben an einem Ort", sagt der Soziologe Thorsten Benkel von der Universität Passau, der zur Trauerkultur in Deutschland forscht. Auch deshalb gehe der Trend weg vom teuren und pflegeintensiven Erdgrab hin zu alternativen individuellen Bestattungsformen. Benkel spricht gar von "Friedhofsflucht".

Ralf Michal, Vizepräsident des Bundesverbandes Deutscher Bestatter in Schweinfurt, teilt diese Einschätzung: "Der Gräberkult, wie man ihn von früher kennt, ist überholt, und die Kommunen haben es verschlafen, vernünftige, zeitgemäße Bestattungsformen zu schaffen", kritisiert Michal, dessen Branche angesichts des Trends zu kostengünstigeren Alternativen ebenfalls zu kämpfen hat. "Wir vom Bestatterverband haben immer gesagt: Macht eure Friedhöfe attraktiver. Aber inzwischen sind die Kommunen da zehn, 15 Jahre zurück." 

Immerhin: Manche Städte und Gemeinden, auch in der Region, reagieren inzwischen auf diese Probleme, doch Pläne für eine zeitgemäße Umgestaltung der letzten Ruhestätten stoßen nicht selten auf Kritik. In Dinkelsbühl etwa sorgte das Konzept, den örtlichen Friedhof um einen Friedpark für Natur- und Baumbestattungen zu erweitern, für einige Diskussionen im Stadtrat. Und auch mit den geplanten Urnengrabstellen links und rechts eines künstlich angelegten Bachlaufs auf dem Friedhof in Unterasbach (Landkreis Fürth) ist nicht jeder Kommunalpolitiker wirklich glücklich.

Bestattungsrichtlinien zu streng 

Doch dass man den Friedhof neu denken müsse, daran besteht unter anderem für Thorsten Benkel kein Zweifel. Mischformen sind nach Ansicht des Soziologen das Konzept der Zukunft. Dafür müsse sich in Deutschland, das die strengsten Bestattungsrichtlinien in Europa hat, aber noch einiges ändern, vor allem mit individuellen Angeboten für die individualisierte Gesellschaft. Kein leichtes Unterfangen angesichts eines so sensiblen Feldes, bei dem trotz des gesellschaftlichen Wandels viele Menschen Veränderungen als pietätlos empfinden.

Einer, der diesen Wandel mitgestalten will, ist Alexander Hanel, der im Landkreis Ansbach eine Steinmetz-Firma betreibt und im vergangenen Jahr den bundesweiten "Tag des Grabsteins" ins Leben gerufen hat.

Besuchern soll dabei auch gezeigt werden, welche neuen Formen der Grabgestaltung der Zeitgeist mit sich bringt. "Die früher sehr rigiden Richtlinien sind da zum Glück vielerorts gelockert worden", sagt der Unternehmer. Mittlerweile sei zum Beispiel bei Grabsteinen auch die Kombination mit anderen Materialien wie farbigen Gläsern oder Edelstahl möglich. Beim Grabschmuck auf den Friedhöfen gibt es allerdings einige Verbote. 

Auch Joachim Ebinger, der Kommunen und Kirchengemeinden bei der zeitgemäßen Umgestaltung ihrer Gottesäcker berät, ist überzeugt davon, dass der Friedhof klassischer Prägung keine Zukunft mehr hat. "Grabstelle neben Grabstelle, dazwischen ein paar Kieswege und ein paar Bäume – das ist für viele Menschen keine Option mehr", erklärt der Ingenieur für Landespflege und plädiert dafür, die Funktion von Friedhöfen als grüne Lungen und Rückzugsorte im städtischen Raum in den Vordergrund zu rücken. Ebinger sät deshalb bunte Blumenwiesen auf frei gewordenen Flächen an, pflanzt Stauden und Sträucher und installiert Insektenhotels, damit mehr natürliches Leben zwischen Themengrabfeldern und Urnenstelen herrscht.

"Gerade angesichts des Klimawandels ist der Rolle von Friedhöfen als natürliche Oasen und Frischluftschneisen in dicht bebauten Gebieten noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden", ergänzt Michael Albrecht vom Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands. Die entstehenden Freiflächen müssten weiterentwickelt werden, damit Friedhöfe attraktiv bleiben und noch stärker als bisher zu Orten der Besinnung und inneren Einkehr werden.

Freiflächen werden zu Wildblumengärten

Albrecht nennt hier als Beispiel den Gottesacker im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf, der mit rund 400 Hektar der größte Parkfriedhof der Welt ist. Die weitläufige Anlage, auf der unter anderem Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt ruht, wird gerade mit dem Programm "Ohlsdorf 2050" fit für die Zukunft gemacht.

Die Planer gehen davon aus, dass langfristig nur noch ein Viertel des Areals für Beisetzungen genutzt wird, weshalb die frei werdenden Bereiche unter anderem zu Duft- und Wildblumengärten umfunktioniert werden. An einigen Stellen pflanzten die Gärtner alte Apfelsorten an; die Früchte sollen in einigen Jahren an Aktionstagen zum Probieren angeboten werden. Der Friedhof soll zur "Begegnungsstätte für die Lebenden" werden, ohne seinen Charakter als letzte Ruhestätte für die Verstorbenen zu verlieren, wie Friedhofssprecher Lutz Rehkopf erklärt.

 

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