Vom Westen unbeachtet: Kamerun versinkt in Gewalt

27.1.2018, 14:00 Uhr
Vom Westen unbeachtet: Kamerun versinkt in Gewalt

© F.: privat

30 Zentimeter lange Fleischwunden, blutüberströmte Körper, Eingeweide, die unter den Rippen herausquellen: Solche Verletzungen zeigen derzeit Bilder aus Kamerun. Im Norden des Landes verbreitet seit Jahren die Islamistengruppe Boko Haram Angst und Schrecken, nun hat sich auch der englischsprachige Südwesten zu einer Krisenregion entwickelt. Präsident Paul Biya geht brutal gegen Demonstranten vor.

"Es ist schrecklich. Die Gewalt hat furchtbare Ausmaße angenommen", sagt eine Kamerunerin aus Mittelfranken, die ihren Namen nicht nennen möchte, um ihre Familie in Kamerun nicht in Gefahr zu bringen. "Ich habe schreckliche Bilder und Videos gesehen, wie Soldaten auf Anglophone einprügeln, ihnen Hände und Arme abschneiden oder sie erschießen", sagt sie.

Tod durch Polizeikugeln

Der Konflikt schwelt schon länger, seit Herbst vergangenen Jahres spitzt sich die Lage zu. Bei Protesten im Oktober dokumentierte Amnesty International (ai), dass 20 Menschen durch Polizeikugeln starben. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie Polizisten unbewaffnete Demonstranten über leere Straßen schleifen und auf sie einprügeln. Zunächst sprach die Zentralregierung von sieben Todesopfern, nach einem Bericht von ai bestätigte sie 15 Tote.

Es folgten massenhafte, willkürliche Verhaftungen. Amnesty hat 500 Fälle dokumentiert, bei denen kein einziger Haftbefehl vorlag. "Die Verhaftungen gingen auch über den Rahmen von Protesten hinaus. Polizisten haben Zivilisten aus Krankenhäusern, Privathaushalten und Kirchen mitgenommen", sagt Franziska Ulm-Düsterhöft, Afrika-Expertin bei ai Deutschland. Deshalb seien viele anglophone Kameruner trotz teils lebensbedrohlicher Verletzungen durch Schusswunden aus Kliniken geflohen.

Englische Organisationen verboten 

Anfang Dezember 2017 kam es laut Medienberichten in der Stadt Mamfe und in Otu, einem kleinen Ort in der Nähe, zu Angriffen, bei denen laut Regierungsangaben vier Soldaten und zwei Polizisten erschossen wurden. Anfang Januar wurden die anglophonen Interessenvertretungen "Southern Cameroons National Council" (SCNC) und "Cameroon Anglophone Civil Society Consortium" (CACSC) verboten und deren Anführer verhaftet. "Dabei agieren diese Organisationen mit friedlichen Mitteln", so Franziska Ulm-Düsterhöft von Amnesty International.

Zudem wurden Julius Ayuk Tabe, Anführer einer Separatistengruppe der englischsprachigen Minderheit, und neun seiner engen Mitarbeiter in Nigeria festgenommen. Kamerun hatte internationale Haftbefehle erlassen und wird sich vermutlich um die Auslieferung der Festgenommenen bemühen. Laut ai ist dies unzulässig, da die Festgenommenen teilweise bereits Asylstatus in Nigeria haben. Sie befänden sich aktuell in Einzelhaft und müssten bei einer Auslieferung befürchten, in ihrer Heimat ohne fairen Prozess verurteilt zu werden.

Reisewarnung für Touristen

Das Auswärtige Amt warnt Reisende vor der verschärften Sicherheitslage: Sie sollten Demonstrationen und Menschenansammlungen in den anglophonen Regionen Nordwest und Südwest meiden, weil es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen könne. "Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen vor Ort mit großer Sorge und sind mit der Regierung Kameruns im Gespräch", teilt das Auswärtige Amt auf Anfrage mit.

"Die Menschen werden abgeschlachtet wie wilde Tiere", sagt Kizito Logan Elad, Rechtsanwalt aus Berlin, der vor 14 Jahren aus Kamerun floh und die Southern Cameroons Community Germany (SCCG) leitet. Derzeit sei kaum noch Alltag in dem westafrikanischen Land möglich. "Viele verstecken sich, Frauen und Kinder bleiben aus Angst vor Vergewaltigungen und Gewalt zu Hause. Dabei haben die Menschen nur friedlich demonstriert, weil unsere anglophone Kultur zerstört wird." In dem Land leben 23 Millionen Einwohner. Ein Fünftel von ihnen gehört der englischsprachigen Minderheit an, die sich seit langem von der Französisch sprechenden Mehrheit benachteiligt fühlt.

Einst deutsche Kolonie

Ehemals deutsche Kolonie, wurde Kamerun nach dem Versailler Vertrag 1919 in ein französisches und ein britisches Kamerun aufgeteilt. 1961 stimmte die englischsprachige Bevölkerung ab, ob sie zum englischsprachigen Nigeria oder zum bereits unabhängigen, französischsprachigen Kamerun gehören wollte. So wurde aus beiden Gebieten die Vereinigte Republik Kamerun.

Im Oktober 2016 protestierten Studierende, Lehrer und Richter friedlich und forderten das Recht, Englisch in Schulen und an Gerichten verwenden zu dürfen. Doch Präsident Paul Biya ließ das Militär massiv gegen die Demonstranten vorgehen. Anschließend kam es zu gewaltsamen Protesten, die wiederum "mit absoluter Härte" niedergeschlagen wurden. Amnesty dokumentierte die ersten Todesfälle. Die Regierung ließ für mehrere Monate den Schulunterricht aussetzen und das Internet in der Region abschalten.

"Ambazonia" soll der neue Staat heißen

"Dass Polizei und Militär gegen friedliche Protestierende vorgehen, vermittelt der anglophonen Bevölkerung das Gefühl, als nationale Bedrohung wahrgenommen zu werden", sagt Franziska Ulm-Düsterhöft. Dadurch würden sich viele erst recht den Unabhängigkeitsbefürwortern anschließen. "Ambazonia" nennen sie das englischsprachige Gebiet, das sie als eigenen Staat anerkennen lassen wollen.

Eine Entspannung ist nicht in Sicht. "Inzwischen gibt es auf der anglophonen Seite Gruppierungen, die zu Gewalt aufrufen oder selbst gebaute Bomben deponieren wollen", sagt Franziska Ulm-Düsterhöft. "Es wird immer schlimmer. Ich sorge mich sehr um meine Familie", sagt die Kamerunerin aus Mittelfranken. "Jeden Tag sterben dort Menschen und keiner tut etwas."

Paul Biya (84), der seit 35 Jahren Präsident ist, regiert das Land mit harter Hand. Im Oktober wird voraussichtlich neu gewählt; es gilt als sicher, dass Biya wieder antritt. Es gibt auch einen anglophonen Kandidaten: den Rechtsanwalt Akere Muna (65). Da englischsprachige Kameruner nur ein Fünftel der Bevölkerung bilden, werden ihm aber kaum Chancen eingeräumt.

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