Von wegen Jobkiller: Fünf Erkenntnisse aus fünf Jahren Mindestlohn

23.12.2019, 19:06 Uhr
Von wegen Jobkiller: Fünf Erkenntnisse aus fünf Jahren Mindestlohn

© Foto: Angelika Warmuth/dpa

1. Die Mahner hatten Unrecht: Der Mindestlohn kostete kaum Jobs

Im Kulturkampf um den Mindestlohn schrie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, eine von den Arbeitgebern getragene Lobbyorganisation, am lautesten: "Jobkiller Mindestlohn" warnte sie mit Verweis auf eine Studie, die sie in Auftrag gegeben hatte: Wenn die Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2015 komme, würden bis zu 570 000 Arbeitsplätze wegfallen. Die Mahner führten damals Argumente der neoklassischen Wirtschaftstheorie ins Feld: Demnach erhält in einer Marktwirtschaft ein Arbeitnehmer einen Lohn, der seiner Produktivität entspricht. Setzt nun der Staat den Lohn zwangsweise nach oben, kostet der Arbeitnehmer die Firma mehr, als er einbringt. Die Folge: Entlassungen.

Zumindest im konkreten Fall strafte die Realität diese Überlegungen Lügen: "Nur relativ kleine negative Beschäftigungseffekte" verzeichnen die IAB-Forscher. Das Gros der acht untersuchten Studien kommt auf einige Zehntausend Stellen, die infolge des Mindestlohns abgebaut oder nicht geschaffen wurden. Der massenhafte Wegfall von Jobs fiel somit aus. Eine mögliche Erklärung: Die Unternehmen gaben die gestiegenen Personalkosten an die Kunden weiter – in Form höherer Preise.

2. Für Geringverdiener bedeutete der Mindestlohn eine echte Verbesserung – sie haben spürbar mehr Geld im Portemonnaie

Die Befürworter einer gesetzlichen Lohnuntergrenze bestritten die Debatte ihrerseits mit dem Argument, mit dem Instrument ließe sich die Ungleichheit bei den Löhnen abmildern. Tatsächlich ist genau das eingetreten: "Deutliche Lohnzuwächse" konnte das IAB beobachten – und auch beziffern: Für Menschen, die zuvor für weniger als 8,50 Euro in der Stunde gearbeitet hatten, bedeutete der Mindestlohn durchschnittlich eine Lohnerhöhung von zehn Prozent. Zudem profitierten sie von den weiteren Erhöhungen auf 8,84 Euro (2017) und 9,19 Euro (2019), denn die fielen höher aus als die Inflation.

3. Die These, dass der Mindestlohn massenhaft umgangen wird, ist mit Vorsicht zu betrachten

Immer wieder berichten Medien, wie Arbeitgeber tricksen, um ihren Beschäftigten den Mindestlohn vorzuenthalten – klassisches Beispiel: die Verkäuferin, der das Aufräumen nach Ladenschluss nicht bezahlt wird. Wie verbreitet diese Praxis ist, ist laut IAB jedoch kaum verlässlich festzustellen. Was auch daran liege, dass Daten, die auf den Aussagen der Betroffenen beruhen, mit Vorsicht zu genießen seien.

Verstöße gegen den Mindestlohn zu verfolgen, ist Aufgabe des Zolls. Doch ausgerechnet mit Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze ging die Zahl der vom Zoll durchgeführten Kontrollen massiv zurück, wie die Mindestlohnkommission in ihrem Bericht von 2018 beklagt. Finanzminister Olaf Scholz versprach damals, mehr Kontrolleure einzustellen. In den ersten neun Monaten 2019 hat der Zoll dann auch deutlich mehr Verfahren wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz eingeleitet. Von Anfang Januar bis Ende September waren es bundesweit 5146 solcher Verfahren – nach 4598 im Vorjahreszeitraum, wie aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken hervorgeht. In den Verfahren geht es unter anderem um Fälle, in denen der Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt wurde. Auch wegen möglicher Verstöße gegen Meldepflichten sowie Aufzeichnungspflichten von Arbeitszeiten wurde ermittelt.

4. Die Ausnahmen vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose werden kaum genutzt

Die Debatte um den Mindestlohn hatte stets die Sorge begleitet, dass 8,50 Euro pro Stunde für einen Arbeitgeber zu viel sein könnten, um Menschen eine Chance zu geben, denen der Wiedereinstieg in den Job-Alltag schwerfallen könnte – nämlich Langzeitarbeitslosen. Um ihnen keine zusätzliche Hürde in den Weg zu stellen, beschloss die Koalition deshalb eine Ausnahmeregelung: Im ersten halben Jahr ihrer Beschäftigung dürfen Arbeitgeber ihnen auch weniger als den Mindestlohn zahlen (ähnliche Ausnahmen gibt es für Praktikanten und Auszubildende). Inzwischen stellt das IAB fest: Diese Ausnahmeregelung wird kaum in Anspruch genommen. Sie hilft einem Erwerbslosen also wenig.

5. Eine überzogene Erhöhung des Mindestlohns könnte die erreichten Erfolge zunichtemachen

Die Grünen wollen es, die Linken und inzwischen auch die Sozialdemokraten: Zwölf Euro soll ihrem Willen nach der Mindestlohn künftig betragen, das wäre deutlich mehr als die ab 2020 geltenden 9,35 Euro. Vom IAB kommt – freilich in wissenschaftlicher Zurückhaltung formuliert – eine Warnung: "Während eine hohe Lohnuntergrenze als Mindestsicherung verteilungspolitisch wünschenswert sein kann, birgt ein weitreichendes Aushebeln des Marktmechanismus bei der Lohnfindung erhebliche Risiken." Anders formuliert: Überzieht die Politik, dann kann der Mindestlohn ganz schnell tatsächlich Jobs kosten.

Ohnehin wäre eine solche massive Erhöhung gar nicht so einfach durchzusetzen – selbst im Falle eines Linksbündnisses im Bund: Denn mit dem Mindestlohn wurde auch eine Kommission geschaffen, die alle zwei Jahre Vorschläge für die künftige Höhe der Lohnuntergrenze macht. Dieses Gremium, in dem Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie Forscher sitzen, soll gerade sicherstellen, dass der Mindestlohn nicht zum Gegenstand eines Wettbietens im Wahlkampf wird.

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