Teilung British Indias

Vor 75 Jahren wurden Indien und Pakistan unabhängig: Als Nachbarn zu Feinden wurden

16.8.2022, 15:00 Uhr
Pritam Khan vor seinem Haus im Dorf Powt im indischen Bundesstaat Punjab. Der 86-Jährige sagt, er sei einsam. 

© Himanshu Mahajan, dpa Pritam Khan vor seinem Haus im Dorf Powt im indischen Bundesstaat Punjab. Der 86-Jährige sagt, er sei einsam. 

75 Jahre ist es her, seit Pritam Khan seine Familie verloren hat. Er war ein Kind, als die Briten die Teilung ihres ehemaligen Kolonialreichs British India in zwei Länder verkündeten – und religiös motivierte Massaker und eine der größten Migrationswellen der Geschichte auslösten. Die Kolonialmacht teilte 1947 das mehrheitlich hinduistische British India in Indien und den neuen Staat Pakistan für Muslime auf.

Nachbarn brachten Nachbarn um

Zwischen den Religionsgruppen flammte Hass auf. Nachbarn brachten Nachbarn um. Pritam Khan, ein Muslim, überlebte nur knapp, als Anhänger der Sikh-Glaubensgemeinschaft sein Dorf überfielen. "Ich spielte damals in der Nähe des Hauses, als ein randalierender Mob kam", sagt der heute 86-Jährige. Sein Vater und seine drei älteren Brüder seien weggerannt. Er habe sich in Feldern versteckt, seine Mutter in einem Brunnen. Als er zu ihr ging, sei sie nicht mehr herausgekommen.

Wie Pritam Khans Mutter Rehmi starben 1947 mindestens eine Million Menschen bei den Unruhen. Bis zu 15 Millionen Menschen wurden vertrieben oder mussten flüchten. Muslime wie Khans Vater und seine Brüder zogen in das für sie gegründete Pakistan, Hindus und Sikhs von dort in das hinduistisch geprägte Indien. Menschen erlitten unterwegs furchtbare Grausamkeiten, viele kamen nie an.

Bittere Rivalität der Atommächte

Die traumatischen Erlebnisse sind bis heute im kollektiven Gedächtnis, beeinflussen die Politik und nähren eine erbitterte Rivalität der beiden Atommächte. Vier Kriege sind seit der Teilung zwischen Indien und Pakistan ausgebrochen. Aus dem dritten entstand 1971 aus dem ehemaligen Ostpakistan das heutige Bangladesch. Die Region Kaschmir bei der gemeinsamen Grenze im Himalaya ist bis heute umstritten.

Pritam Khan weiß nicht genau, was nach dem Tod seiner Mutter passierte. Er sei herumgeirrt, dann bei Dorfbewohnern untergekommen, bis die Gewalt aufhörte. Er wuchs in einem Ort in der Nähe seines Heimatdorfs auf und arbeitete bei einem Bauer. Zur Schule sei er nie gegangen.

Nun jährt sich der Tag von Khans Tragödie zum 75. Mal. Und beide Länder feiern ihre Unabhängigkeit als Triumph - Pakistan am 14. August, Indien einen Tag danach. Aber Khan wird nicht feiern und wohl auf seinem Charpai, einem in der Region traditionellen Bettgestell, draußen vor seinem Zimmer sitzen und an seine verlorene Familie denken.

Die Teilung hat die Region ungleich zurückgelassen. Indien ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein Staat, der sich aus dem Status eines Entwicklungslandes herausgekämpft hat. Pakistan gilt als Staat mit maroder Wirtschaft, schwachen demokratischen Strukturen und einem Sicherheitsproblem aufgrund vieler extremistischer Gruppen.

Trotzdem will Pritam Khan genau dorthin, nach Pakistan, wo die Nachkommen seiner verstorbenen Brüder leben. Aber er kann nicht. Wegen der angespannten Beziehungen der Nachbarn erhält er kein Visum. Dass Khan überhaupt noch lebt, erfuhr seine Familie erst sieben Jahre nach der Trennung von einem entfernten Verwandten.

Eine Gedenkstätte als Hoffnungsschimmer

Vor 40 Jahren hörte Khan dann erstmals von einem Sohn eines seiner Brüder in Pakistan - Neffe Shahbaz meldete sich per Brief. Seitdem sind die beiden regelmäßig in Kontakt, mittlerweile per Videochat. Einmal habe sich die getrennte Familie direkt sehen können - bei einer Sikh-Gedenkstätte in Pakistan, die ein Hoffnungsschimmer für viele getrennte Familien ist, weil indische Angehörige ohne Visum dorthin kommen.

Auch Khans indische Nachbarn hoffen, dass er zu seiner Familie ziehen kann. Für Videoanrufe nach Pakistan leihen sie ihm ein Handy aus. Sie kochen für ihn, trotzdem sei er einsam. Der 86-Jährige wünscht sich Freundschaft zwischen den Nachbarländern.

Derzeit hofft Khan auch auf einen YouTuber. Der Pakistaner Nasir Ali Dhillon kontaktiert getrennte Familien via Social Media, hilft ihnen, sich wieder zu sehen, und erzählt ihre Geschichten. Geschichten über Liebe und Freundschaft, über Vergangenheit und Hass.

Die Erinnerungen seines Großvaters, der aus dem gleichen indischen Bundesstaat wie Khan kommt, hätten seine Perspektive auf die Beziehung zwischen Indien und Pakistan geändert. "In den Medien wird uns erzählt, dass die Inder Feinde sind. Doch was unsere Alten erzählen, klingt ganz anders", sagt der YouTuber.

"75 Jahre Krieg haben uns nichts gebracht"

Mehr als 300 Familien half er, sich zu treffen. Gut finden das nicht alle. Bei den Reisen zum Schrein wurde er schon von Behörden verhört, sogar Todesdrohungen gegen ihn soll es geben. Trotzdem will er weitermachen und auch Pritam Khan helfen, ein Visum zu bekommen. "75 Jahre Krieg haben uns nichts gebracht", sagt Dhillon. "Wenn wir weiter kommen wollen, sollten wir etwas ändern."

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