Wäre der Klimawandel ein Virus, wir hätten ihn längst gebändigt

3.4.2020, 10:00 Uhr
Der aktuelle Umgang mit dem Coronavirus zeigt uns, woran es im Kampf gegen den Klimawandel hapert, argumentiert NN-Redakteur Gregor le Claire.

© jodylehigh/Pixabay/LizenzCC0 Der aktuelle Umgang mit dem Coronavirus zeigt uns, woran es im Kampf gegen den Klimawandel hapert, argumentiert NN-Redakteur Gregor le Claire.

Wäre der Klimawandel doch nur ein Virus, wir hätten ihn längst gebändigt. Die Schlagzahl, mit der sich unsere Gesellschaft auf den Kampf gegen die Corona-Pandemie einschwört, ist gewaltig. Eben noch Unvorstellbares ist auf einmal beinahe normal. Es ist genau jene Entschlossenheit zu handeln, jener Mut zur Verhaltensänderung, den Experten auch für den Kampf gegen den Klimawandel anmahnen.

Schon 1912 wurde in Zeitungsartikeln vor den Folgen der Kohleverbrennung für die Atmosphäre gewarnt. Warum aber passiert hier seit über 100 Jahren so wenig, wenn gleichzeitig bei Sars-CoV-2 in Wochen so viel möglich ist? Die Gefahr für Leib und Leben kann es nicht sein. Die ist beim Klimawandel nach allem, was wir wissen, eher sogar höher als beim Coronavirus.

Wir unterschätzen ihn offenbar immer noch, den Neandertaler in uns. Stolz ist der Homo sapiens auf seinen Intellekt, die Zivilisation, den technologischen Fortschritt. Wir haben es damit ja auch weit gebracht in den vergangenen Jahrtausenden. Doch wir übersehen leicht das über drei Milliarden Jahre alte biologische Erbe, das jeder von uns ebenfalls in sich trägt.

Es ist nicht schlimm, dieses Erbe. Es hat uns perfekt darauf trainiert, unmittelbare, konkrete Gefahren zu wittern. Spürbar, jedoch schwer einzuschätzen, vielleicht sogar unbekannt, neu? Alarm! Kämpfe oder flieh, aber handel! Unseren Vorfahren hat dieses Verhaltensmuster bei unverhofften Rendezvous mit Säbelzahntigern oder übellaunigen Nachbarn oft das Leben gerettet. Auch auf das Coronavirus passt es ziemlich genau.

Kein schlimmes, aber auch kein unproblematisches Erbe. Es ist gut erforscht, dass unsere Spezialisierung auf Gefahren vom Typ Corona ihren evolutionären Preis hatte. Denn umgekehrt neigen wir leider dazu, Risiken zu unterschätzen, die abstrakt und fern sind. Ein akzeptabler Preis in Zeiten, in denen schon das Erleben des nächsten Tages ein Erfolg war. Ein hoher aber, wenn man sich mit einem Phänomen wie dem Klimawandel konfrontiert sieht.


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Wie hoch, das hängt heute allerdings ganz von uns ab. Es wird Kraft kosten und vermutlich auch ein wenig Milde uns selbst gegenüber. Denn es verlangt uns Verhaltensänderungen ab, bei denen uns unsere natürliche Intuition - anders als eben beim Coronavirus - nicht zu Hilfe kommt. Ob und wie uns das gelingt, wird entscheidenden Einfluss darauf haben, in welchem Zustand wir diesen Planeten an die nächste Generation übergeben.

Aber wenn wir uns unsere verzerrte, verharmlosende Wahrnehmung abstrakter Risiken immer wieder ins Gedächtnis rufen, wäre viel gewonnen. Wie wäre es, wir nähmen uns gerade unsere beherzte Reaktion auf Sars-CoV-2 als Vorbild, wie die angemessene Reaktion auch auf den Klimawandel aussehen muss. Es wäre nicht die schlechteste Lehre, die wir aus der aktuellen Pandemie ziehen würden.


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