Interview mit Politikwissenschaftler

Was kann die Union jetzt noch tun? - Experte: "Hoffen"

11.9.2021, 20:19 Uhr
Professor Roland Sturm lehrte 25 Jahre lang in Erlangen.

© Harald Sippel, NNZ Professor Roland Sturm lehrte 25 Jahre lang in Erlangen.

Die Union hat binnen weniger Wochen in der Wählergunst etwa zehn Prozentpunkte verloren. Haben Sie schon jemals einen solch überraschenden Einbruch erlebt, Herr Professor Sturm?

Roland Sturm: Von einem "überraschenden Einbruch" würde ich nicht unbedingt sprechen. Es handelt sich um eine langfristige Entwicklung. Das begann schon mit der verunglückten Suche nach dem Kanzlerkandidaten der Union. Armin Laschet strebte lange Zeit nicht so sehr in die Bundespolitik. Dass er Ministerpräsident eines Bundeslandes ist, hilft ihm im Wahlkampf wenig. Sie werden kaum jemanden finden, der die Namen der 16 Ministerpräsidenten auswendig kennt. Er hat sich auch nicht öffentlich so in Szene gesetzt wie einst Gerhard Schröder.

Armin Laschet trat nach Meinung des Experten zu lange als eine Art "Präsident" auf.

Armin Laschet trat nach Meinung des Experten zu lange als eine Art "Präsident" auf. © Michael Kappeler, dpa


Aber Laschet hat ja nun auch mit diversen Patzern viel dazu beigetragen, sich selbst die Chancen zu rauben. Wie hoch ist sein Anteil am Niedergang der Union?

Roland Sturm: Fragen Sie lieber, wie hoch der Anteil der Medien ist. Es hat sich ein klarer Trend gegen Herrn Laschet entwickelt, der kaum noch umzudrehen ist. Seinen größten Fehler sehe ich nicht darin, dass er sich die eine oder andere Ungeschicklichkeit geleistet hat. Er hätte viel früher auf das Thema Wirtschaft setzen müssen, bei dem die Bürger der Union seit jeher große Kompetenz zuschreiben. Da gäbe es ja auch genügend zu sagen.

Zum Beispiel?

Roland Sturm: Nehmen Sie nur mal die Finanzierung der Corona-Kosten. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Es wird auch nicht über die Inflation diskutiert. Dabei wäre das so wichtig. Die Deutschen sind zu Sparern erzogen und jetzt gibt es Negativzinsen und Inflation. Beides frisst die Rücklagen von älteren Menschen. Beim Themenkreis Umwelt und Klimaschutz kann die Union wenig gewinnen, da werden die Grünen immer vornedran sein. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die umgekehrte Situation: Vor der Wahl 2017 versuchten die Grünen, sich breiter aufzustellen und nicht nur über Umwelt zu reden. Was war die Folge? Sie zogen als schwächste Fraktion in den Bundestag ein.


Die Wirtschaft könnte also helfen. Da setzt die Union ja nun voll auf Friedrich Merz.

Roland Sturm: Ich glaube nicht, dass jemand der geeignete Mann ist, der privaten Erfolg öffentlich zelebriert. Armin Laschet hätte das auch selbst übernehmen können. Aber er besetzte Themen nur halb und steht dadurch letztlich für gar nichts. Das reicht nicht – selbst wenn der Kanzlerkandidat natürlich immer ein Generalist sein muss. Er versuchte es lange Zeit als eine Art "Präsident", doch das kann man nur machen, wenn man, wie Angela Merkel, bereits im Amt ist.

Apropos lange im Amt. Ist das der größte Vorteil von Olaf Scholz gegenüber Armin Laschet?

Roland Sturm: Allerdings. Die SPD war als Wettbewerber bereits am Boden. Die jüngste Entwicklung ist sensationell. Und sie verdankt sich dem Wunsch der Deutschen nach Kontinuität. Da spielt es dann offensichtlich auch keine Rolle mehr, dass Scholz einige Affären wie den CumEx-Skandal und die linksradikalen Unruhen beim Hamburger G20-Gipfel mit sich schleppt.

Was kann die Union in den zwei Wochen bis zum 26. September überhaupt noch tun?
Roland Sturm: Hoffen.
Das ist ein bisschen wenig, wo es doch um so viel geht.
Roland Sturm: Wichtig wäre, dass der CSU-Parteitag am Wochenende in Nürnberg gut läuft. Denn ohne einen starken Süden kann die Union keine Bundestagswahl gewinnen. Wo sollen die Stimmen denn sonst herkommen? In Baden-Württemberg ist die CDU angesichts der dominierenden Grünen schon abgemeldet. Wenn nun auch noch die CSU in Bayern schwächelt, dann kann das nichts werden. Zumal auch noch Sachsen als eine weitere Bastion der Union angesichts der Stärke der AfD teilweise ausfällt.
Was halten Sie von der "Rote-Socken-Kampagne", die jetzt wieder an Fahrt aufnimmt?
Roland Sturm: Die bloße Warnung vor einem Linksbündnis bringt nichts. Ich kann mich nur wiederholen: Das müsste inhaltlich gefüllt werden – mit einem konkreten Hinweis auf die Gefahren für die Wirtschaft. Den Stammwählern muss klar werden, dass es um die Wurst geht. So kann die Union vielleicht den Freien Wählern und der FDP wieder Stimmen abnehmen, die sie dringend braucht.

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