Wie eine Nürnberger Abgeordnete die Wirecard-Affäre erlebt

2.8.2020, 05:55 Uhr
FDP-Politikerin Katja Hessel in dem begehbaren Kunstwerk „Archiv der Abgeordneten“ des Franzosen Christian Boltanski. Inzwischen ist sie aufgestiegen und leitet inzwischen den wichtigen Finanzausschuss.

© Foto: Harald Baumer FDP-Politikerin Katja Hessel in dem begehbaren Kunstwerk „Archiv der Abgeordneten“ des Franzosen Christian Boltanski. Inzwischen ist sie aufgestiegen und leitet inzwischen den wichtigen Finanzausschuss.

Frau Hessel, Sie hatten in der vergangenen Woche wegen der Wirecard-Affäre und dem damit verbundenen milliardenschweren Betrugsverdacht sowohl den Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz, als auch den Bundesminister für Wirtschaft, Peter Altmaier, als Ausschussvorsitzende vor sich sitzen. Das sind zwei politische Schwergewichte in Deutschland. War das die aufregendste Woche in ihrer bisherigen Laufbahn?


Kanzleramt hatte mehrfach Kontakte zu Wirecard


Hessel: Das würde ich nicht so sagen. Klar, es war ein unglaublicher Auflauf an Medienvertretern, ich war von sechs Uhr morgens bis Mitternacht im Einsatz. Ich kann mich auch nicht erinnern, gleich nacheinander zwei Minister in einem Ausschuss erlebt zu haben – und das auch noch stundenlang. Aber in früheren Zeiten, als Mitglied der bayerischen Staatsregierung, hatte ich auch schon etliche aufregende und wichtige Termine, etwa eine Begegnung mit dem kolumbianischen Staatspräsidenten oder die China-Reisen mit dem Ministerpräsidenten.

Seit Ihrer Wahl zur Vorsitzenden im Februar sind nur zehn Ausschusssitzungen verstrichen. Sie sind also noch sehr frisch im Amt. Haben Sie sich schon an diese spezielle Rolle gewöhnt, die ja anders als in der sonstigen Parteipolitik eine gewisse Neutralität erfordert?

Hessel: Man muss eben aufpassen, stets sorgfältig zu unterscheiden. Wenn ich eine Sitzung leite oder als Vorsitzende Interviews gebe, kann ich tatsächlich nicht all das sagen, was ich vielleicht gerade als Oppositionspolitikerin von der FDP sagen möchte. Ich muss auch darauf achten, dass ich meine eigene Fraktion nicht bevorzuge oder aus dem Bemühen um Korrektheit heraus benachteilige. Bei uns Finanzpolitikern klappt das aber ganz gut mit der Zusammenarbeit.

Wieso? Unterscheiden sie sich von anderen Abgeordneten?

Hessel: Wir gehen als Finanzpolitiker trotz etlicher Meinungsunterschiede schon sehr sachorientiert an die Themen heran. Ich habe den Eindruck, die Emotionen kochen bei uns nicht ganz so hoch wie in anderen Bereichen, etwa in der Familienpolitik.


Druck erhöht: Opposition fordert Aufklärung des Wirecard-Skandals


Wenn Sie schon so differenzieren zwischen Ihren beiden Rollen: Was halten Sie denn von den Ergebnissen der Sitzung mit den Ministern Scholz und Altmaier?

Hessel: Als Vorsitzende kann ich sagen, dass trotz stundenlanger Auftritte der Minister noch viele Fragen zur Verantwortung in der Wirecard-Affäre offengeblieben sind, die geklärt werden müssen. Darüber herrscht parteiübergreifend Einigkeit. Als FDP-Politikerin bin ich der Meinung, dass das nur über einen eigenen Untersuchungsausschuss auf vernünftige Weise geschehen kann.

Wieso braucht es da noch ein weiteres Gremium in dieser Frage? Können Sie Ihre Befragung der Minister, Zeugen und Gutachter nicht auch im Finanzausschuss einfach fortsetzen? Das würde doch Zeit und Geld sparen.

Hessel: Das geht leider nicht ganz so einfach. Ein Untersuchungsausschuss hat deutlich mehr Rechte, wenn es um die Ladung von Zeugen und die Anforderung von Dokumenten geht. Worum wir nur bitten können, das kann der Untersuchungsausschuss schlicht fordern.

Dann müsste sich der Bundestag mit seiner Einsetzung allerdings beeilen. Untersuchungsausschüsse dürfen immer nur bis zum Ende einer Legislaturperiode dauern – das wäre vom Herbst an gerade mal noch ein knappes Jahr.

Hessel: Ob es dazu kommt, steht ja ohnehin noch nicht fest. Wir Liberale hätten ihn gerne, die Linke wohl auch. Es wird wohl daran hängen, ob sich die Grünen einem Antrag auf Einsetzung anschließen. Aber es stimmt natürlich, allzu viel Zeit darf man nicht mehr verstreichen lassen, wenn noch sinnvolle Ergebnisse dabei herauskommen sollen.

Zur Person: Die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Katja Hessel (48) gehört dem Parlament seit drei Jahren an. Zunächst war sie einfaches Mitglied im Finanzausschuss, seit kurzem ist sie dessen Vorsitzende. Hessel hatte zuvor schon auf Landesebene politische Karriere gemacht. Von 2008 bis 2013 war sie Staatssekretärin im bayerischen Wirtschaftsministerium. Dann allerdings flog die Regierungspartei FDP nach nur einer Legislaturperiode aus dem Landtag und Katja Hessel arbeitete wieder als Rechtsanwältin und Steuerberaterin.

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