Wie zwei Franken in Israel Horror erlebten - und Glück fanden

6.12.2019, 05:11 Uhr
Wie zwei Franken in Israel Horror erlebten - und Glück fanden

© Foto: Julian Dechant

Drei Tage Jerusalem liegen hinter den Israel-Urlaubern Susanne Smolorz und Julian Dechant, als die jungen Nürnberger auf ihrer Fahrt in den Süden des Landes noch ein wenig im Toten Meer planschen wollen. Bei Neve Zohar suchen sie sich einen hübschen Hotelstrand aus, parken ihr Mietauto, packen Handtücher und Autoschlüssel in eine Tasche, legen sie auf einen Stuhl und gehen los. Ein Stück vom Strand entfernt steht ein abgestorbener Baum im Salzwasser. Julian möchte ihn fotografieren und nimmt sein Smartphone mit.

Das Pärchen lässt sich treiben im salzigen Nass, schießt ein paar Selfies und geht dann wieder zurück zum Strand. Von einem Moment auf den anderen ist die Unbeschwertheit verflogen. Die Tasche ist weg. Kurz danach steht fest: das Auto ebenfalls. Und mit ihm Pässe, Geld, Kreditkarten, Kleidung – alles.

In nasser Badehose beziehungsweise im Bikini stehen der 34-Jährige und seine vier Jahre jüngere Freundin da und haben keine Ahnung, wie es weitergeht. Dass ihr großes Israel-Erlebnis erst jetzt beginnt, können sie noch nicht wissen.

Wie zwei Franken in Israel Horror erlebten - und Glück fanden

© Fotos: Julian Dechant / Montage: NN

"Ich helfe euch", verspricht ein Mann

Als die beiden einer Strandwache ihr Problem schildern wollen, scheitern sie. Der Mann spricht kein Englisch. Erst mit dem herbeigerufenen Hotelmanager ist eine Verständigung möglich. Er ruft die örtliche Polizei an. In der Zwischenzeit hilft ein deutscher Tourist aus, er sorgt über einen Bekannten in Deutschland telefonisch dafür, dass die Kreditkarten gesperrt werden.

Kurz darauf sind zwei Polizisten da, lassen sich schildern, was passiert ist und helfen beim nächsten Problem: Als Anrufe des Pärchens bei der deutschen Botschaft in Tel Aviv im automatischen Ansagesystem stranden, ruft einer der Polizisten seinen Bruder an, der als Barbesitzer in Berlin lebt und Deutsch spricht. "Ich helfe euch", verspricht der Israeli und gibt wenig später eine Notfallnummer der Botschaft durch.

Eine XXL-Familienpizza für alle

Allmählich dämmert es Susanne und Julian, dass sie ohne Geld und Kreditkarte in der nächsten Nacht zwangsläufig auch ohne Dach über dem Kopf dastehen. In der kleinen Polizeistation, zu der sie die Beamten mitgenommen haben, gibt es immerhin ein paar Süßigkeiten und Tee. In zwei weiße Hotelbademäntel gehüllt, die einer der Polizisten aufgetrieben hat, erinnern sich die beiden Nürnberger daran, dass ein befreundetes Pärchen aus der Heimat ein paar Tage später auch in Israel zum Urlaubmachen ankommt. Telefonisch bitten sie die Freunde, Geld und Klamotten mitzubringen.

Draußen wird es dunkel, da sitzen Julian und Susanne im Fond eines Polizeiwagens, der sie mit Blaulicht durch die Wüste in die Kleinstadt Arad bringt. In der dortigen Polizeistation wird von den Beamten erst mal für alle eine XXL-Familienpizza bestellt. Julians vorsichtiger Einwand, sie hätten beide kein Geld, interessiert die Polizisten nicht: "Wir bezahlen." Dann werden die beiden großgewachsenen Touristen fotografiert. Nicht für die Polizeiakten, sondern für einen Hilfeaufruf, den die inzwischen eingetroffene Sozialarbeiterin Sandra Peltz Katzvar startet.

"Duscht erst mal"

Über Facebook bittet sie um Kleiderspenden für die deutschen Pechvögel. Und eine Unterkunft für die Nacht treibt sie auch gleich auf. In einem ihr gehörenden Haus am Ort hat der junge Dolev Shay das "Dead Sea Adventure Hostel" eingerichtet. Als Susanne und Julian von Sandra dort mit dem Auto abgeliefert werden, stehen schon die ersten Tüten mit Hosen, T-Shirts und Pullovern im bereitgestellten Zimmer. Obenauf liegen ein paar Geldscheine.

Wie zwei Franken in Israel Horror erlebten - und Glück fanden

© Julian Dechant

"Duscht erst mal", fordert Dolev seine Gäste auf. "Danach gehen wir was essen." Julians Versicherungen, er werde all die Auslagen baldmöglichst per Online-Bezahldienst zurückerstatten, will Dolev gar nicht hören. Er bezahlt. Auch im "Beergarden" ist das so, wo sie sich mit der Cousine des Hostelbetreibers und deren Freund zum Essen treffen.

Der rabenschwarze Tag endet mit einem wunderschönen Abend. Die etwa gleichalten jungen Leute haben viel Spaß. "Wo kommt ihr her? Was macht ihr?", wollen die Israeli wissen. Sozialpädagogin Susanne, die bei der Lebenshilfe Erlangen arbeitet, und der Siemens-Wirtschaftsingenieur Julian erzählen von ihrem Leben in Deutschland. Sie können nur ahnen, welche Assoziationen der Name ihrer Heimatstadt Nürnberg bei Dolev und den anderen weckt.

Eine kleine Medienkarriere in Israel

Auch bald 75 Jahre nach Ende des Nazi-Regimes und des millionenfachen Judenmords reist man als junger Deutscher nicht frei von Beklemmungen nach Israel. Einen Tag vor der fröhlichen Runde im "Beergarden" von Arad haben Julian und Susanne in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Tief berührt waren sie nach vier Stunden von der dort dokumentierten Geschichte der Judenverfolgung.

Das Thema ist zu groß, um es in den Unterhaltungen mit ihren Nothelfern anzusprechen. Aber im Hinterkopf ist der Schatten der deutschen Geschichte stets präsent. "Man denkt immer wieder dran", gesteht Susanne. "Puh", sei es ihr dann oft durch den Kopf gegangen, "und die helfen uns jetzt aus der Patsche."

Irgendwann beginnt dann für die beiden auch noch eine kleine Medienkarriere in Israel. Zunächst meldet sich – aufmerksam geworden durch den Facebook-Aufruf – Israel HaYom, die meistgelesene Tageszeitung des Landes. Am Abend des Biergartenbesuchs ruft ein Redakteur bei Dolev an, unterhält sich am Telefon mit Julian und stellt kurz darauf einen Online-Artikelüber die beraubten Urlauber ins Netz.

Ein Versuch scheitert - grandios

Mit frappierender Wirkung: "Plötzlich stand der Kellner bei uns, hielt uns sein Handy mit dem Online-Artikel hin und fragte: Seid ihr das?", erzählt Julian. Noch mehr Kleiderspenden gehen ein. Lebensmittel, Zahnbürsten, Hygieneartikel und kleine Geldbeträge werden im Hostel abgegeben. Und am späten Abend meldet sich ein älteres Paar, das anbietet, Julian und Susanne am nächsten Tag mit dem Auto nach Tel Aviv mitzunehmen. Dort haben die beiden für die letzten Urlaubstage ein Hotel gebucht – und glücklicherweise schon im Voraus bezahlt.

Eine kurzweilige Fahrt wird es. "Das waren nette Leute, die haben eineinhalb Stunden durcherzählt und uns so viele Fragen zum Land beantwortet", schwärmt Susanne. Der Versuch, das Fahrerpärchen bei einer Rast vom Spendengeld wenigstens auf einen Kaffee einzuladen, scheitert wieder grandios.

Auf der deutschen Botschaft in Tel Aviv erhalten die Nürnberger vorläufige Pässe. Außerdem ist ein Zettel für sie hinterlegt: Ein Unbekannter bietet seine Ferienwohnung in der Stadt kostenlos für drei Nächte an.

"Du hast schon Angst, aber du willst dein Land verteidigen"

Julian und Susanne treffen sich in Tel Aviv mit ihren Nürnberger Freunden, die Kleidung und Geld für sie im Gepäck haben. Am Freitagmorgen geht dann von einem gewissen Guy Daniel die nächste Offerte ein. Der Mann lädt das Paar zum Shabbat-Dinner zu sich ein. Obwohl Julian nach den turbulenten Tagen Kopfschmerzen plagen, sagen die beiden zu. Susanne: "So eine Einladung kannst du nicht ausschlagen."

Es wird ein unvergesslicher Abend. Guys Familie ist mit Opa, Oma, Schwester, Bruder, zwei Kindern nahezu komplett vertreten. Der Großvater zelebriert das Shabbat-Ritual, danach geht es in der liberalen jüdischen Familie ausgesprochen fröhlich zu. Es wird viel gelacht. Bis Guys jüngerer Bruder erzählt, dass er in der vergangenen Woche drei Tage als Reservist eingezogen wurde, weil nach der Tötung eines Führers der Extremistengruppe Islamischer Dschihad durch die israelische Armee Hunderte von Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgeschossen wurden und die Lage wieder mal zu eskalieren drohte.

Susanne und Julian wollen wissen, wie man in einem Land leben kann, das sich ständig am Rand des Krieges befindet. Und wie man sich fühlt, wenn man über Nacht als Reservist zu den Waffen gerufen wird. Die Antwort von Guys Bruder: "Du hast schon Angst, aber du willst auch dein Land verteidigen."

Seit Freitagnachmittag wissen Susanne und Julian, dass der Fernsehsender Channel 13 sie in seiner sonntäglichen "Morning Show" haben will. Sie haben sich etwas Bedenkzeit ausgebeten, dann sagen sie zu. "Wir fanden, das wäre eine gute Gelegenheit, uns bei allen für ihre Hilfsbereitschaft zu bedanken." Am Sonntag sitzen sie im TV-Studio und erzählen zehn Minuten lang ihre Geschichte.

"Sowas kannst du nicht buchen"

Am Tag danach geht der Rückflug. Drei Stunden vor dem Start muss man wegen der vielen Sicherheitsvorkehrungen am Airport sein. Bei Susanne und Julian dauert die Abfertigung nur 20 Minuten. Die Sicherheitsbeamtin blickt in die Papiere der beiden, sieht das Paar an und meint: "Seid ihr nicht die zwei aus dem Fernsehen? Okay, geht weiter."

Die lästige Behörden-Rennerei, die Anträge für neue Pässe, Führerschein, Kreditkarten, das Verhandeln mit der Versicherung – Julian und Susanne ertragen es nach ihrer Rückkehr gelassen. Wenn sie davon erzählen, wie ihnen ihr großes Pech vom Strand bei Neve Zohar am Ende "wunderbare Erfahrungen" beschert hat, bekommen beide feuchte Augen. "So etwas kannst du nicht buchen." Sie haben viele Freunde gewonnen. "Ich will erst mal gar nirgends mehr hin", sagt Susanne, "aber Julian hat schon gemeint: Komm, lass uns an Silvester nach Israel fliegen und im Hostel von Dolev mit allen feiern."

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