Zum Parteitag heute: Wie viel Mut hat die SPD?

6.12.2019, 10:55 Uhr
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen den SPD-Vorsitz übernehmen, das haben die Parteimitglieder so entschieden.

© Kay Nietfeld/dpa Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen den SPD-Vorsitz übernehmen, das haben die Parteimitglieder so entschieden.

"Es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können. Und wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern" - diese Sätze stammen von Oskar Lafontaine. Im November 1995 putschte er gegen SPD-Chef Rudolf Scharping und übernahm jenes Amt, das nun erstmals von einem Duo besetzt werden soll.

Sätze, die aus einer fernen Welt stammen: Wo, bitte, sind Politikentwürfe, wo Politiker, die begeistern? Nicht nur in der SPD sind sie schwer erkennbar. Dabei braucht dieses Land genau dies: einen Schub, einen Aufbruch – nach vielen Jahren einer zu wenig ehrgeizigen Politik. Mit seiner Zustandsbeschreibung lag Friedrich Merz nicht daneben: "Wie ein Nebelteppich" lege sich "die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin" übers Land - sagte der Mann, der dann nicht den Mut für ein Gegen-Konzept aufbrachte.

Deutschland fällt zurück

Deutschland fällt zurück, nicht nur bei der Pisa-Studie. Was zu tun wäre, das wurde und wird seit Jahren beschrieben – weitgehend übereinstimmend von Experten aller Lager. Und einiges, was die designierte neue SPD-Doppelspitze vorhat, geht in
diese Richtung.

Jede Fahrt durch die Republik, fast jeder Besuch in einer Kita, Schule oder an einer Uni zeigt:
Es wurde viel zu wenig in die Zukunft investiert. Die digitale Infrastruktur ist auf dem Stand von Entwicklungsländern – wobei die oft schon besser sind. In Sachen Verkehr herrscht allenfalls Stillstand (siehe den Beitrag unten). Und das Thema Bildung wird zerredet im Klein-Klein des Föderalismus.


Live-Blog: SPD-Parteitag wählt Spitze


Da könnte eine SPD punkten, wenn sie Motor sein will für Investitionsschübe. In Digitales, in Infrastruktur, in eine Klima-Politik, die der Industrie klare Leitplanken vorgibt, auf die man dort längst, aber vergeblich wartet. Zu gestalten ist der Umbruch der (noch) zentralen Branche – die Autoindustrie steht vor dem späten Wandel hin zu zeitgemäßer, nachhaltiger Mobilität. Da braucht es Begleitung, weil der Weg (siehe den Stellenabbau samt der Folgen für die Zulieferer) schmerzhaft wird.

Wagt die SPD einen Aufbruch?

Das wäre alles keine linke, sondern eine sehr pragmatische und vor allem überfällige Politik. Den Wandel gestalten und sozial abfedern: das ist klassische sozialdemokratische Kernaufgabe. Zuletzt tat das teils Gerhard Schröder mit seiner Agenda, die der Republik einen Modernisierungsschub mit sozialer Schlagseite bescherte. Dass die SPD den Erfolg dieser (nachzubessernden) Reformen nie für sich reklamierte, gehört zu ihren Rätseln.

Wagt sie nun einen Aufbruch? Er könnte ihre letzte Chance sein. Ein Ausstieg aus der GroKo wäre kein Auf-, sondern ein Abbruch der Gestaltungsfähigkeit. Letztlich siegt, das zeigt die sozialdemokratische Geschichte in dieser zu gern sich selbst zerfleischenden Partei, doch der Wille zur Mitverantwortung. Zur Politik.

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