Nach der aufsehenerregenden Transplantation

Achten wir Schweine in Zukunft mehr, wenn ihre Herzen verpflanzt werden und Menschenleben retten?

24.1.2022, 05:55 Uhr
Arme Schweine: Nicht nur in den Tiertransporten leidet des Deutschen liebster Fleischlieferant, meist ist sein ganzes Leben eine einzige Qual.

© Animal Welfare Foundation, dpa Arme Schweine: Nicht nur in den Tiertransporten leidet des Deutschen liebster Fleischlieferant, meist ist sein ganzes Leben eine einzige Qual.

Seit dem 7. Januar 2022 schlägt ein Schweineherz in der Brust eines Menschen. Es wurde dem 57-jährigen David Bennett im University of Maryland Medical Center eingepflanzt – die achtstündige Operation gilt schon jetzt als ein Meilenstein in der Medizin, selbst wenn das Organ bald vom Körper des Patienten abgestoßen werden sollte.

Schweineherzen sind Menschenherzen so ähnlich, dass sie in Sanitätskursen als Anschauungsobjekt dienen.

Schweineherzen sind Menschenherzen so ähnlich, dass sie in Sanitätskursen als Anschauungsobjekt dienen. © Roland Fengler, NNZ

Angesichts eines hohen Bedarfs an (menschlichen) Spenderorganen – bei einem deutlich geringeren Angebot an solchen – ruhen auf der Xenotransplantation, so nennt man die Übertragung von Organen zwischen verschiedenen Spezies, große Hoffnungen.

Können nach dem Erfolg der US-Herzchirurgen bald in größerem Umfang Organe von Tieren in schwerkranke Menschen verpflanzt werden? Werden die Schweineställe von heute die Organbanken von morgen?

So glücklich denken wir uns unsere Schweine gerne. Die Realität für die allermeisten dieser Nutztiere sieht leider anders aus.

So glücklich denken wir uns unsere Schweine gerne. Die Realität für die allermeisten dieser Nutztiere sieht leider anders aus. © Foto: Fritz Arnold

Auch wenn der letzte Satz noch ein wenig nach Science-Fiction klingt, so stellt sich doch die Frage, wie der jüngste Transplantationserfolg den Blick der Menschen auf die Schweine verändert. Zeigt uns diese Operation nicht, dass sich beide Spezies womöglich viel näherstehen, als wir es bis jetzt wahrhaben wollten?

Schweine seien dem Menschen in vielen Dingen sehr ähnlich, hieß es im Umfeld der aufsehenerregenden Operation. Können wir es da noch verantworten, dass das Schwein das liebste Stück Fleisch auf den Tellern der Deutschen ist? Fast 33 Kilo verzehrte im Durchschnitt jeder unserer Landsleute im Jahr 2020.

Ein historisches Foto: Ein Transplantationsteam in den USA hat nach eigenen Angaben erstmals ein genetisch modifiziertes Schweineherz an einen menschlichen Patienten angeschlossen.

Ein historisches Foto: Ein Transplantationsteam in den USA hat nach eigenen Angaben erstmals ein genetisch modifiziertes Schweineherz an einen menschlichen Patienten angeschlossen. © Tom Jemski, dpa

Noch bedenklicher als diese große Menge aber ist die Tatsache, dass das Leben der Mastschweine entsetzlich öde und in vielen Fällen voller Qualen ist: Es sind jene Tiere, die von der „Abferkeln“ genannten Geburt genau sechs Monate zu leben haben und in dieser Zeit mit Spezialfutter vollgestopft werden, um ein Rekordgewicht von 120 Kilogramm zu erreichen.

Dann kommt die Fahrt zum Schlachter, nein, zum Schlachtunternehmen. Mehr als die Hälfte aller Tiere in Deutschland werden von nur drei großen Marktführern „verarbeitet“. Falls sie dort lebend ankommen.

Denn der Körper der in kurzer Zeit so schnell gemästeten Schweine hält keine Strapazen aus, keinen Stress, keine Todesangst. Die Schweine spüren es, wenn sie, in Tiertransporter gepfercht, zu der Stätte gefahren werden, wo sie sterben werden. Nicht wenige erleiden kurz vor ihrem maschinellen, durchindustrialisierten Tod einen Herzinfarkt.

Und doch sind es genau diese Organe, die offensichtlich auch einen Menschen am Leben erhalten können. Für Mediziner und Technokraten handelt es sich dabei nur um ähnlich konstruierte Saug-Druck-Pumpen, die deshalb prinzipiell von einer Spezies zur andern verpflanzt werden können.

Schweine sind in vielem dem Menschen ziemlich ähnlich. Vor allem aber fühlen sie sich gerne sauwohl. 

Schweine sind in vielem dem Menschen ziemlich ähnlich. Vor allem aber fühlen sie sich gerne sauwohl.  © Marijan Murat, NN

In Kultur und Religion, Kunst und Philosophie hat das menschliche Herz jedoch seit jeher einen zentralen, auch symbolisch überhöhten Stellenwert: Es gilt als der Sitz der Gefühle, versinnbildlicht damit die Persönlichkeit eines Individuums. Das mag vielleicht übertrieben erscheinen. Aber auf jeden Fall befindet sich das Herz im Zentrum des Nervensystems eines jeden Menschen.

Wenn der frisch operierte David Bennett sich also freut oder Angst hat, wenn er sich anstrengt oder aufregt, dann schlägt sein neues Herz schneller, begleitet diese Empfindungen. So orchestriert das Herz eines Schweins erstmals die Empfindungen eines Menschen.

Markiert das einen Wendepunkt im Verhältnis von Mensch zu Schwein? Was wie Wasser auf die Mühlen von Vegetariern, Veganern oder zumindest Verfechtern einer nachhaltigen, tierwürdigen Landwirtschaft erscheint, veranlasst Tierschützer und -ethiker allerdings zu heftiger Kritik.

Sie erinnern daran, dass die Schweine ja nicht freiwillig ihr Herz hergeben, sondern ebenfalls getötet werden. Viele hunderte Tiere müssten zudem im Rahmen der vorbereitenden Forschung zur Xenotransplantation verenden.

Denn das Herz, das David Bennett eingepflanzt bekam, ist nicht einfach ein Organ, sondern ein komplexes Produkt, das einen Markennamen trägt und UHearts heißt.

Das Schweineherz zählt zu den sogenannten Innereien, also den essbaren Organen des Tieres, und kommt zum Beispiel in dieser Form auf den Tisch.

Das Schweineherz zählt zu den sogenannten Innereien, also den essbaren Organen des Tieres, und kommt zum Beispiel in dieser Form auf den Tisch. © imago images / Panthermedia, NN

Bei Schweinen, die diese UHearts produzieren, werden im Embryonalstadium drei Gene „abgeschaltet“, die für die akute Abstoßungsreaktion des Organs durch das menschliche Immunsystem verantwortlich sind.

Zudem wird ein Wachstumsgen eliminiert – das Herz würde sonst für den menschlichen Körper zu groß werden – und es werden sechs menschliche Gene in den Schweineembryo implantiert.

High-Tech-Medizin also, die den auserwählten Schweinen alles andere als ein schönes Leben beschert. Im Gegenteil: Sie werden in hermetisch abgeschotteten Gebäuden gehalten, jeglicher Kontakt mit Bakterien und Viren soll tabu sein. Also alles andere als ein gemütlicher Saustall, in dem sich diese Türe wohlfühlen würden.

Nein, dieses Schweineherz wird nicht transplantiert, sondern gegessen.

Nein, dieses Schweineherz wird nicht transplantiert, sondern gegessen. © imago images/Shotshop/Elke Rampfl-Platte, NN

Strenge Produktionslogik

Damit werden die Schweine, die für Menschen transplantierbare Herzen liefern, ebenfalls einer strengen Produktionslogik unterworfen. In diesem Fall sind akribisch geplante High-Tech-Organe das Ziel; bei den Mastschweinen ist es Fleisch aus Massentierhaltung, das so billig wie möglich sein soll. Schweineherzen sind hier nicht für den Operationstisch gedacht, sondern den Kochtopf.

Für einen anderen Blick des Menschen auf das Schwein sind beide Varianten sicherlich nicht zuträglich. Zwar gibt es Anzeichen eines gesellschaftlichen Wandels. Tieren werden inzwischen Gefühle, Schmerzempfinden, komplexes Verhalten und sogar eine Art Persönlichkeit zuerkannt. Manchen Tieren – in erster Linie Menschenaffen – werden sogar Rechte wie Freiheit und körperliche Unversehrtheit, die bislang dem Menschen vorbehalten waren, zugestanden.

Doch den Mast- wie den Transplantationsschweinen wird das voraussichtlich nicht viel nützen. Auf der einen Seite warten viele hungrige Esser, auf der anderen Seite ein hoher Bedarf an zu transplantierenden Organen. In beiden Fällen wird man die Schweine wohl kaum nach ihrem Willen fragen.

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