Notdienst wird zum Notfall

Immer weniger Tierkliniken

20.4.2022, 16:48 Uhr
Immer weniger Tierkliniken

© Ina Fassbender/dpa-tmn

Die Katze wurde angefahren, der Hund gebissen, das Meerschweinchen liegt apathisch im Käfig. Es gibt viele Gründe, warum Menschen auch nachts, an den Wochenenden und Feiertagen mit ihren Tieren zum Veterinär fahren.

In einigen Regionen Deutschlands sind sie lange unterwegs, denn die Zahl der Kliniken, also der Tierarztpraxen, die rund um die Uhr erreichbar sind, sinkt laut Bundestierärztekammer seit etwa vier Jahren.

"In Sachsen-Anhalt gibt es zum Beispiel keine einzige Klinik mehr", sagt Thomas Steidl von der Kammer. Einer der Gründe: die stetige Überlastung der Praxen, weil es immer mehr Tiere gibt, aber immer weniger Personal. Dazu tun sich kleine Praxen mit ein oder zwei Tierärzten schwer mit Nacht- oder Wochenenddiensten, obwohl sie laut Berufsordnung zu Notfalleinsätzen verpflichtet sind. Außerdem kauften Investorenketten vermehrt Praxen auf, damit werde aus rechtlichen Gründen automatisch der Klinikstatus aufgegeben, erklärt Steidl.

"An den verbliebenen Kliniken bleibt die Arbeit hängen und wird immer mehr. Das ist wirklich ein Problem", erklärt Katharina Kessler von der Tierklinik im hessischen Hofheim. Die Wartezimmer seien auch an den Wochenenden voll, und das nicht nur mit Notfällen. Manche Leute kämen mit ihrem Tier am Samstag, weil sie an diesem Tag Zeit hätten.

Arbeitszeitverordnung verschärft Kliniksterben

Deutlich verschärft wird das Kliniksterben durch die aktuelle Arbeitszeitverordnung. Die Mitarbeiter in Tierarztpraxen müssten spätestens nach zehn Stunden Arbeit nach Hause geschickt werden, selbst wenn Überstunden kurzfristig ausgeglichen werden könnten. Wer dagegen verstoße, riskiere hohe Bußgelder, so Steidl. Er kenne Fälle, in denen 80.000 Euro Strafe fällig geworden seien.

Daher fordert er: Die Arbeitszeiten müssten flexibler geregelt werden. Zudem könne es vom Staat - wie in Frankreich und Luxemburg - finanzielle Unterstützung für Tierärzte im Notdienst geben.

Für Tierbesitzer kommt ein weiteres Ärgernis hinzu: Die Rechnungen werden immer happiger. "Tierärzte dürfen mittlerweile bei Notfalleinsätzen bis zum vierfachen Satz der Gebührenordnung abrechnen, das verteuert eine Rechnung", erklärt Steidl. Zum Vergleich: Zu üblichen Praxiszeiten wird der ein- bis dreifache Satz fällig. Hinzu kommen für jeden Notdiensteinsatz 50 Euro Zuschlag.

Wochenend- und Nachtdienst fehlt im normalen Dienst

"So teuer muss es sein, sonst könnten wir nicht überleben", sagt Kessler dazu. Der Aufwand für einen Notdienst rund um die Uhr sei für die Tierkliniken immens. Ständig müssten die Stationen besetzt sein und ein OP-Team müsse bereitstehen. Die Tierärzte und Assistenten von der Nacht und den Wochenenden fehlten im normalen Dienst, zudem müssten ihnen Zuschläge bezahlt werden.

"Es wäre unser großer Wunsch, dass mehr Leute ihre Tiere krankenversichern lassen, damit auch immer eine sinnvolle Behandlung möglich ist", appelliert Kessler. Es gibt etliche Versicherungsgesellschaften mit einem solchen Angebot. Kessler rät, sein Tier schon im jungen Alter versichern zu lassen, ältere Tiere würden häufig nicht mehr angenommen.

Allerdings würden nicht die Kosten für alle Behandlungen übernommen, daher solle vor Vertragsabschluss das Kleingedruckte gelesen werden. Denn so zahlen einige Versicherungen etwa nur bis zum zweifachen Satz der Gebührenordnung, andere übernehmen 80 Prozent der Gesamtrechnung, schließen bestimmte Krankheiten aus oder legen Selbstbeteiligungen fest. Impfungen oder Wurmkuren werden oft nicht erstattet. Auch variieren die Versicherungsprämien, ausschlaggebend bei Hunden sind etwa ihre Rasse und das Alter.

Verbraucherschützer: OP- statt Krankenversicherung

Die Verbraucherzentrale in Berlin sieht Krankenversicherungen für Tiere allerdings kritisch. Diese lohnten sich nur selten, teilt die Organisation mit und rät, wegen der enormen Unterschiede auf jeden Fall die jeweiligen Preise und die von der Versicherung übernommenen Behandlungen miteinander zu vergleichen.

Und sie rät den Tierhaltern eher zu einer reinen Operationsversicherung. Diese übernähmen zwar nur bei Operationen die Kosten, seien dafür aber auch im Schnitt um ein Drittel günstiger als Krankenversicherungen.