Nebentätigkeiten erlaubt

Autonomes Fahren: Mercedes bringt den Drive Pilot

Ulla Ellmer

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6.5.2022, 18:14 Uhr
Autonomes Fahren: Mercedes bringt den Drive Pilot

© Hersteller

Der Komfortgewinn für Fahrer respektive Fahrerin scheint hoch – ergibt sich aber noch nicht unter allen Bedingungen. Zumindest die Haftungsfrage ist aber geklärt.

Als der damalige Opel-Chef Karl Thomas Neumann im Jahr 2016 prophezeite, dass autonome Autos um 2025 herum Fahrt aufnehmen würden, da runzelte mancher skeptisch die Stirn. Und tatsächlich wurde es zunächst wieder still um die vorübergehend sehr gehypte Technik; andere Themen – allen voran die Wende in Richtung Elektromobilität – beschäftigten die Branche. Jetzt aber ist es tatsächlich so weit: Als weltweit erster Automobilhersteller kann Mercedes ein zugelassenes und damit legales System für hochautomatisiertes Fahren anbieten. Vorerst bleibt der Drive Pilot dem Flaggschiff S-Klasse und dem elektrischen Topmodell EQS vorbehalten. Für die entsprechende Option werden 5950 beziehungsweise 8840 Euro aufgerufen. Der im Falle des EQS höhere Preis erklärt sich aus dem Umstand, dass hier auch das "Fahrerassistenz Paket Plus" mitgebucht werden muss. Bestellbar ist der Drive Pilot ab dem 17. Mai, die ersten entsprechend ausgestatteten Fahrzeuge sollen im Sommer zur Auslieferung gelangen.

Autonomes Fahren: Mercedes bringt den Drive Pilot

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Autonom über die Autobahn

Aktiviert wird das System über eine Lenkradtaste, anschließend regelt es die Geschwindigkeit und den Abstand zum Vordermann, auch die Spur wird gehalten. Wer nun frohgemut erwartet, die schnelle Langstrecke wie in einem privaten ICE schlafend, arbeitend oder Filme guckend zurücklegen zu können, sieht sich enttäuscht. Denn das Tun des Drive Pilot beschränkt sich bislang auf Geschwindigkeiten bis maximal 60 km/h. Auch autonome Spurwechsel – Überholmanöver etwa, oder Abbiegevorgänge an Autobahnkreuzen – sind nicht möglich. Zudem kann das System ausschließlich auf der Autobahn genutzt werden, nicht aber auf der Landstraße und schon gar nicht in der Stadt, wo noch zu komplexe Rahmenbedingungen vorherrschen, Gegenverkehr etwa oder das Nebeneinander mit Fußgängern und Radfahrern. Auch bei schlechten Sichtverhältnissen, wie sie bei Nacht, starkem Regen- oder Schneefall sowie in Tunneln gegeben sind, funktioniert die Technik nicht, ebensowenig bei Temperaturen unter drei Grad Celsius und in Baustellen.

Entlastung im Stau

Der Komfortgewinn für den Fahrer respektive die Fahrerin ist dennoch groß. Gerade in enervierenden Stausituationen winkt Entlastung – und die Möglichkeit, nun ganz legal das zu tun, wozu elektronische Helfer wie Stop-and-Go-Assistenten bisher nur theoretisch freie Hand gelassen haben: E-Mails checken, Zeitung lesen, im Internet surfen. Und telefonieren oder Textnachrichten senden, denn das Handy ist bei aktiviertem Drive Pilot kein Tabu mehr. Nur ein Schläfchen ist nicht erlaubt, denn der Fahrer/die Fahrerin muss jederzeit in der Lage sein, einzugreifen – dann etwa, wenn eine Krisensituation eintritt oder der Verkehr wieder schneller zu fließen beginnt.

In diesem Fall schlägt das Fahrzeug optisch, akustisch sowie haptisch Alarm und fordert dazu auf, das Steuer zu übernehmen. Dies muss innerhalb von zehn Sekunden erfolgen. Andernfalls leitet der Drive Pilot einen – auch für den nachfolgenden Verkehr beherrschbaren – sicheren Nothalt ein, schaltet die Warnblinkanlage zu, setzt eine Meldung an das Notrufsystem von Mercedes ab und entsperrt Fenster und Türen, damit Einsatzkräfte zu den Insassen vordringen können.

Autonomes Fahren: Mercedes bringt den Drive Pilot

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Im Stau steuert der Drive Pilot das Fahrzeug so am Fahrbahnrand entlang, dass die Rettungsgasse bestehen bleibt, eine Heckscheiben-Kamera identifiziert das Blaulicht von Polizei oder Krankenwagen. Überhaupt bedient sich die Technik einer ganzen Armada von Kameraaugen, Ultraschall- oder Nässesensoren, Mikrofonen, Radar- und Laserradarsystemen (Lidar). Ausgelegt ist dies alles redundand – fällt ein sicherheitsrelevantes System aus, springt ein anderes quasi von der Ersatzbank ein.

Wer aber zahlt, wenn es zu einem Crash kommt und Unfallopfer entschädigt werden müssen? Das geltende Recht habe eine einfache und klare Antwort auf diese Frage, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): "Das macht die Haftpflichtversicherung des Halters". Stellt es sich heraus, dass der Drive Pilot den Schaden verursacht hat, haftet der Hersteller, denn mit der Aktivierung des Systems geht die Verantwortung für das Auto vom Fahrer aufs Fahrzeug über. "Wer auch immer mangelhafte Systeme auf den Markt bringt, muss sich im Rahmen geltender Gesetze verantworten", erklärt Käfer-Rohrbach, die Kfz-Versicherer würden entsprechende Produkthaftungsansprüche prüfen und durchsetzen.

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Weg in sechs Etappen

Level 3, wie es der Drive Pilot umsetzt, ist ein entscheidender, aber noch nicht der letzte Schritt hin zum vollautonomen Fahren. Der Weg umfasst sechs Etappen:

Level 0: Der Ausgangspunkt. Es gelangen keinerlei Fahrassistenten zum Einsatz.

Level 1 (assistiertes Fahren): Das ist, etwa mithilfe von Spurhalteassistenten oder Abstandstempomaten, in vielen Fahrzeugen bereits Stand der Dinge.

Level 2 (teilautomatisiertes Fahren): Hier hat die Selbstfahr-Technik für wenige Sekunden das Kommando. Dann muss der Fahrer aber wieder übernehmen.

Level 3 (hochautomatisiertes Fahren): Der Fahrer darf sich längerfristig mit anderen Dingen beschäftigen, muss aber jederzeit in der Lage sein, einzugreifen.

Level 4 (vollautomatisiertes Fahren): Das Fahrzeug kann alle und damit auch komplexere Aufgaben selbstständig übernehmen - hohe Geschwindigkeiten vorlegen beispielsweise, auf die Autobahn auffahren oder diese wieder verlassen. Der Fahrer hat aber immer noch die Möglichkeit, das Steuer zu übernehmen.

Level 5 (autonomes Fahren): Der Mensch ist nur noch Passagier, nicht mehr Fahrer. Das Auto benötigt somit weder ein Lenkrad noch Pedale. Es kann auch ohne Personen an Bord fahren.

Deutschland als Vorreiter

Was die Level-3-Technik betrifft, befindet sich Deutschland nicht nur hinsichtlich des Anbieters Mercedes in einer Pionier-Position. Denn anderswo auf der Welt ist der Drive Pilot bislang nicht zugelassen. Aber die nächsten Einsatzgebiete sind schon angepeilt: Bis zum Jahresende will Mercedes die behördliche Serienzulassung für die US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada erhalten.

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