Gerichtsurteil

Nach Reifenwechsel: Müssen Autofahrer die Radmuttern nachziehen - oder nicht?

Eva Orttenburger

Online-Redaktion

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2.12.2022, 09:01 Uhr
Nach dem Reifenwechsel müssen Autobesitzer noch einen entscheidenden Hinweis beachten.

© IMAGO/Kirchner-Media Nach dem Reifenwechsel müssen Autobesitzer noch einen entscheidenden Hinweis beachten.

Das Landgericht München II hat in erster Instanz ein Urteil gefällt, wer bei einem verlorenen Rad nach dem Reifenwechsel die Schuld trägt - Werkstatt oder Autobesitzer? Das Oberlandesgericht beurteilte den Fall in der Berufung jedoch anders.

Doch von vorne: Die dafür notwendige Klage hatte der Besitzer eines getunten Mercedes C 63 AMG mit 830 PS eingereicht. Er hatte in einer Werkstatt im April 2017 die Sommerreifen für seinen Wagen aufziehen lassen. Nur rund 100 Kilometer später löste sich bei der Fahrt plötzlich das linke Hinterrad. Es kam zu einem Unfall, bei dem am Auto ein Schaden von etwa 13.000 Euro entstand. Diesen bezahlte zwar die Vollkasko-Versicherung des Autobesitzers, doch für Anwaltsgebühren, Transport, Selbstbeteiligung, Nutzungsausfall, Sachverständigenkosten, neue Felgen und Reifen sowie einer Wertminderung am Auto wollte der Mann rund 25.000 Euro von der Werkstatt erhalten.

Das Gericht argumentierte jedoch, dass der Kunde eine Mitschuld von 30 Prozent an dem Vorfall trägt. Denn der Mann hätte selbst die Radmuttern nach 50 Kilometern Fahrt nachziehen müssen. Darauf wurde er in der Werkstatt zwei Mal hingewiesen: Einmal schriftlich auf der Rechnung und zudem mündlich bei der Übergabe des Autos. Außerdem gab ein Zeuge an, den Autobesitzer noch gefragt zu haben, ob er ihm eine Plakette hinsichtlich des erforderlichen Nachziehens der Schrauben am Armaturenbrett befestigen soll. Dies hatte der Mann jedoch abgelehnt. Zudem gab es noch einen Aushang mit diesem Hinweis. Die Werkstatt würde deshalb laut dem Landgericht München II lediglich eine Mitschuld an dem Unfall haben, 30 Prozent der Schuld liege laut dem Urteil beim Autobesitzer.

Der Autofahrer bekam vor Gericht deshalb nur rund 5.264 Euro zugesprochen anstatt der zuvor geforderten 25.000 Euro. Der Mann ließ das Urteil jedoch nicht auf sich sitzen und ging in Berufung.

Das Oberlandesgericht München sah in dem Fall dagegen keine Mitschuld bei dem Autobesitzer. Nach einem Reifenwechsel in der Werkstatt müsse sich der Kunde darauf verlassen können, dass die Radmuttern nach einer Fahrtstrecke von fünfzig Kilometern fest sitzen, erklärten die Richter des Oberlandesgerichts in ihrer Urteilsbegründung. Der Autobesitzer müsse die Schrauben daher nicht nochmal kontrollieren. Daran ändert auch ein Hinweis auf der Rechnung oder ein Aufkleber im Fahrzeug nichts. Die Werkstatt dürfe durch einen solchen Hinweis nicht die Kontrolle ihrer Arbeit auf den Autobesitzer abwälzen.

Ein Sachverständiger erklärte vor Gericht, dass vor allem bei hochmotorisierten Autos die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sich Schrauben lockern. Denn insbesondere beim Anfahren und Beschleunigen wirken sehr hohe Kräfte auf die Radschrauben. Zu ihrer eigenen Sicherheit sollten Autobesitzer daher die Schrauben nochmals überprüfen, um sicherzustellen, dass es dadurch nicht zu einem Unfall kommt.

Überprüfen der Radmuttern zur eigenen Sicherheit

In der Begründung zum Urteil führt das Oberlandesgericht München zudem aus, dass das Urteil für den Besitzer des Mercedes C 63 AMG eine Einzelfallentscheidung sei. Es ist somit nicht allgemeingültig. Expertinnen und Experten empfehlen auf jeden Fall das Nachziehen der Radbefestigungsteile nach einer gewissen Fahrtstrecke, wie eine Sprecherin des Bundesverbandes Reifenhandel mitteilt.

Auch der Verband der europäischen Räderhersteller EUWA weist in seinen "Sicherheits- und Wartungshinweisen für den Gebrauch von Rädern in Reifenwerkstätten" explizit auf die technische Notwendigkeit des Nachziehens hin: "An einem neuen Fahrzeug und bei jedem Rad-/Reifenwechsel ist es unbedingt erforderlich, das Anzugsdrehmoment nach etwa 50 bis 100 Kilometern Fahrleistung zu überprüfen."

Michael Schwämmlein, Geschäftsführer Technik beim Reifenfachverband BRV, äußerte sich ebenso zu dem Fall, der vor Gericht landete. Er stellt klar: "Wenn sich nach 100 Kilometern alle Radbefestigungselemente an einem Rad lösen, ist davon auszugehen, dass kein vorschriftmäßiges Anziehen bei der Montage erfolgt ist. Bei einem Nachziehen hätte dies aber gegebenenfalls korrigiert werden können", erklärt er.

Hermann Lorenz, Geschäftsführer der Reifen Lorenz GmbH aus Lauf rät allen Autofahrern: "Zugunsten der eigenen Sicherheit sollten Sie auf das Nachziehen der Radbefestigungsteile in der Servicewerkstatt nicht verzichten. Von uns und den meisten Kollegen wird das kostenlos durchgeführt und dauert nicht länger als zwei Minuten. Das sollte einem die eigene Sicherheit schon wert sein."

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