Trotz Kritik

Technikrevolution: So kommen Roboter schon jetzt in der Pflege zum Einsatz

14.7.2021, 12:40 Uhr
Roboter Pepper leitet die Morgengymnastik eines baden-württembergischen Altenheims und könnte dort bald auch an die Einnahme von Medizin erinnern.

© Felix Kästle/dpa Roboter Pepper leitet die Morgengymnastik eines baden-württembergischen Altenheims und könnte dort bald auch an die Einnahme von Medizin erinnern.

Mit einem Blinken blinzelt Pepper seinem Gegenüber zu. "Einen wunderschönen guten Morgen!", sagt der weiße Roboter. "Ich hoffe, Sie haben alle gut geschlafen und sind bereit, mit mir Gymnastik zu machen." Über ein halbes Jahr hat Pepper während der Corona-Pandemie Senioren in einem baden-württembergischen Altenheim beim morgendlichen Bewegungsprogramm angeleitet – und dort nach und nach Sympathien gewonnen.

"Die erste Skepsis, die wir im November und Dezember 2020 noch hatten, hat abgenommen", berichtet Heimleiter Julian Krüger von der Stiftung Liebenau. "Die schönste Reaktion war: ,Den würde ich auch heiraten.ʻ" Rund 30 000 Euro hat die Stiftung für den etwa 1,20 Meter großen Roboter bezahlt; die Programmierung übernahm die Hochschule Ravensburg-Weingarten. "Wir wollen damit jungen Menschen zeigen, dass auch in der Pflege immer mehr Technik Einzug hält", erklärt Krüger. "Zukunftsorientiert erhoffen wir uns aber eine Entlastung."

Neuendettelsau auf Techniksuche

Auch Diakoneo in Neuendettelsau suche gezielt nach neuen Techniken, wie das größte diakonische Unternehmen in Süddeutschland mitteilt. Im Projekt "I-Dia: Intelligent, Digital, agil" tüfteln seit knapp eineinhalb Jahren über 200 Mitarbeitende aus verschiedenen Geschäftsfeldern daran, Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um die Arbeit besser, einfacher und effizienter zu machen – zum Vorteil der Menschen, die sie betreuen.

"Dem Einsatz digitaler Technologien und Assistenzsysteme stehen wir sehr aufgeschlossen gegenüber", sagt Manuela Füller, geschäftsführende Leitung der Dienste für Senioren. Deshalb beschäftige man sich etwa mit digitalen Trinkbechern, die vor Dehydrierung schützen sollen, automatischen Umlagerungssystemen oder VR-Brillen im Bereich der sozialen Betreuung. Roboter sieht Füller eher kritisch. Denn: "Sie können Zuwendung nicht ersetzen."

In der Pandemie seien Serviceroboter wie Pepper öfter zum Einsatz gekommen als zuvor, konstatiert Wirtschaftsinformatik-Professor Oliver Bendel. "Es wurde viel experimentiert." Vor allem in den Bereichen Sicherheit, Transport, Reinigung und Desinfektion seien die androiden Helfer gefragt gewesen. Mit UVC-Licht desinfiziert beispielsweise der Roboter "Hero21" im Böblinger "V8 Hotel Motorworld" das Restaurant und alle Zimmer beim Gästewechsel. Der Roboter sei kein Ersatz für Mitarbeiter, könne aber deren Infektionsrisiko senken.

Auch Corona-Tests möglich

Bei den Besuchern mache der Roboter auch Eindruck, berichtet Direktor Markus Hofherr: "Viele Gäste finden es toll, dass er sich um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden kümmert. Sie machen Bilder mit unserem Roboter und wollen mehr über ihn wissen." Auch Corona-Testabstriche von Maschinenhand sind inzwischen möglich: In München setzt zum Beispiel die Automationsfirma Franka Emika nach eigenen Angaben einen selbst entwickelten Roboter-Arm ein, um Mitarbeiter zu testen. Auch eine öffentliche Teststation im Stadtteil Schwabing verwende das System, so eine Firmenssprecherin. Durch den Roboter könnten die Mindestabstände eingehalten werden, zudem bleibe die Qualität der Abstriche stets gleich hoch.

Nach zwei Studien der Technischen Universität Darmstadt ist in der Corona-Pandemie die Akzeptanz für den Einsatz solcher Maschinen gestiegen: Mehr als zwei Drittel der Befragten hätten deutliche Vorteile von Servicerobotern gesehen – unter anderem könnten sie das Infektionsrisiko senken, dem Fachkräftemangel vorbeugen und die Überbelastung menschlicher Arbeitskräfte reduzieren.

"Interessant ist, dass die Akzeptanz für den Einsatz von Robotern offenbar steigt, wenn man sieht, dass man dadurch Menschen schützen kann", stellt der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und Inhaber des Lehrstuhls für Ethik an der Universität Erlangen-Nürnberg, Professor Peter Dabrock, fest. "Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass man dadurch einen Freifahrtschein für alle möglichen anderen Anwendungen bekommt."

Roboter ersetzen nie menschliche Zuwendung

Wie der Einsatz aus ethischer Sicht gelingen kann, hat der Rat bereits im März 2020 in seiner Stellungnahme "Robotik für gute Pflege" aufgezeigt. Prämisse dabei müsse stets sein: "Die Roboter dürfen nie Pflege, nie menschliche Zuwendung ersetzen", erklärt Dabrock. "Pflege ist ein ganzheitliches Konzept. Wir müssen weg von einem defizit-orientierten Verständnis. Roboter müssen die Pflege noch besser machen, sonst haben sie keine Berechtigung."

Wirtschaftsinformatiker Bendel resümiert: "Roboter übernehmen in der Regel Tätigkeiten, die für uns schwer, unmöglich oder gefährlich sind. Wenn Krisen und Katastrophen zunehmen, wird die Robotik einen Boom erleben." Gerade in der Pflege sind die Hürden für den Einsatz von Robotern jedoch groß. "Man hat bis heute keine Roboter, die Patienten anziehen oder füttern können", illustriert Bendel. "Damit ein Roboter das kann, muss er sehr schwer sein." Und das wäre viel zu gefährlich, schließlich könnte der Roboter umfallen und auf den Gepflegten stürzen.

Auch am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart sieht man kurzfristig größere Chancen für Roboter bei Materialtransport und Desinfektion: "Wenn ein Roboter das übernimmt, sinkt das Infektionsrisiko für die Mitarbeiter", sagt die Gruppenleiterin für Haushalts- und Assistenzrobotik, Birgit Graf. Unter anderem hat das IPA den "DeKonBot" entwickelt, der Oberflächen wie Türklinken und Lichtschalter mit einer Wischdesinfektion reinigen kann. Auch ein intelligenter Pflegewagen zum Transport von Wäsche oder Verbandsmaterial wurde in der Praxis getestet.

Von solchen anspruchsvollen Aufgaben sei Pepper allerdings ein ganzes Stück entfernt, sagt der stellvertretende Leiter des Instituts für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, Benjamin Stähle. "Aber das war der erste Testballon." Als nächstes wolle man Pepper nun beibringen, sich selbstständig im Altenheim zurechtzufinden. "Dann könnte er die Leute begrüßen, ans Trinken oder an die Medikamente erinnern", skizziert Stähle.

Ethiker Dabrock betont, dass die Gesellschaft sehr viel Spielraum habe, festzulegen, welche Kompetenzen Roboter bekommen sollen und welche nicht. Die Achtung von Privatsphäre und Intimität gehöre definitiv dazu. Auf Datensammlung und Überwachung sollten die Hersteller hingegen verzichten.

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