Jüdisches Museum: Erinnerungen aus der Überseekiste

11.10.2015, 20:00 Uhr
Jüdisches Museum: Erinnerungen aus der Überseekiste

© Hans Winckler

Gamaschen und eine zierliche Handtasche. Eine kleine Box mit steifen Hemdkragen. Lange Handschuhe, ein Zylinder. Es sind elegante Alltagsgegenstände, die zum Beispiel Rosy Nathan, Erich oder Thea Irene Midas gehörten und schon jetzt in einer Vitrine für die geplante Ausstellung bereit liegen. Mehr noch als Worte und Zahlen berichten die Erinnerungsstücke vom 19. Jahrhundert, der Zeit, in der sich die soziale und wirtschaftliche Situation für Juden wandelte.

Der Zugang zu neuen Berufen war mit der rechtlichen Gleichstellung von 1871 möglich geworden, damit öffnete sich die Aussicht auf gesellschaftlichen Aufstieg. Viele Juden ergriffen die Chance. Sie gründeten Firmen, wurden Juristen oder Ärzte. Prägend wurde ihr Engagement für soziale und kulturelle Anliegen.

Wie umfassend dieser Einsatz war, zeigt die Fürther Stadtgeschichte: Nathanstift oder Krautheimer-Krippe sind nur zwei Beispiele für das Mäzenatentum des jüdischen Großbürgertums.

Die Vorbereitungen für die neue Dauerausstellungsabteilung, die sich mit diesem Themenkreis im Jüdischen Museum beschäftigen wird, sind zwar so gut wie abgeschlossen. Gezeigt werden können die Räume aber erst nach der Fertigungsstellung des Erweiterungsbaus, das heißt 2017/2018. Derzeit machen Feuerschutzbestimmungen die Öffnung unmöglich. Allerdings gab es jetzt schon Gelegenheit für einen ersten Blick. Anlass war der Besuch von Carole Meyers. Ihre Schenkungen und Leihgaben zählen zu den herausragenden Exponaten der neuen Ausstellung.

Für die Amerikanerin, die schon mehrmals in Fürth war, ist der Blick auf die Vitrinen eine Begegnung mit der Familiengeschichte. Vieles stammt aus dem Nachlass ihrer Mutter Margarete Meyers, der Tochter von Thea Irene und Erich Midas. Margarete war zehn Jahre alt, als die Familie Fürth verlassen musste und dank der Hilfe der New-York-Times-Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger im Oktober 1938 in die USA emigrieren konnte. „Sie wären von sich aus niemals ausgewandert. Meine Großmutter sagte immer: Wir waren deutsch. Bis Hitler kam und sagte, dass wir es nicht sind“, erinnert sich Meyers.

Nach dem Tod von Margarete Meyers 2011 kümmerte sich Carole darum, dass Teile ihres Nachlasses dem Jüdischen Museum bereit gestellt wurden. „Wir konnten den Transport nicht zuletzt dank unserer Leuchtturmprojekt-Förderung durch den Freistaat finanzieren“, sagt Verena Erbersdobler, stellvertretende Museumsleiterin. Als die Überseekisten in der Königstraße ausgepackt wurden, kamen Spielzeug, Möbel, Bilder, Kleider, Fotografien zum Vorschein. Grundstock für die Gestaltung der künftigen Abteilung, die Monika Berthold-Hilpert übernahm.

Zu vielen Exponaten kennt Carole Meyers Geschichten. Etwa zu der Aufnahme, die ihre Mutter Margarete als kleines Mädchen in einem Amor-Kostüm zeigt: „Das hat sie 1931 bei einer Hochzeitsfeier getragen.“ Neben dem Foto liegen in dem Schaukasten der Original-Köcher mit zwei kleinen, silbernen Pfeilen und ein Blumenkranz, die zum Kostüm gehörten.

Carole Meyers, die in New York aufwuchs („das ist meine Heimat“) und heute in Los Angeles als Schauspielerin und Sprecherin arbeitet, kann sich an viele Details erinnern, die sie über das Leben ihrer Familie in Fürth gehört hat. „Sie haben am Bahnhofsplatz 3 gewohnt.“ Ihre Mutter sei nicht religiös erzogen worden, „sie waren eine Bratwurst essende und Christbaumkerzen entzündende Familie“. Um 1950 herum kam Margarete Meyers als Bibliothekarin bei der US-Army zum ersten Mal zurück nach Fürth. „Sie hat viele Briefe geschrieben, und zwar immer auf Englisch. Nur die aus Fürth wechseln plötzlich ins Deutsche.“ Ihre Mutter sei eine offene, liberale Frau gewesen, die gegen den Vietnamkrieg protestierte, sich für Menschenrechte engagierte, für die Gleichstellung der Frauen.

Der erste Gang durch die künftige Ausstellungsabteilung im Jüdischen Museum berührt Carole. „Meiner Mutter würde das gefallen.“ Und was bedeutet der Besuch in Fürth ihr selbst? „Wenn ich hier bin, dann hat das für mich eigentlich weniger mit der Vergangenheit zu tun, als damit, dass ich inzwischen in Deutschland viele sehr gute Freunde gefunden habe.“

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