Angekommen: Mit Karate ins Herz der Treuchtlinger

13.10.2020, 06:04 Uhr
Angekommen: Mit Karate ins Herz der Treuchtlinger

© Lidia Piechulek

Er weiß noch genau, wie er damals unruhig in diesem Trainingsraum stand. An jenem kalten Tag im Januar 2016 stellte er sich mental darauf ein, seine Schüler zum allerersten Mal in den Räumen des ESV Treuchtlingen zu begrüßen. Die Geburtsstunde der Karate-Abteilung seines neuen Vereins – sie sollte um 15 Uhr eingeläutet werden. Aber um 14.55 Uhr stand er noch immer allein auf der Matte.

"Dann kamen plötzlich ein, zwei, drei, vier... 15 Kinder", erinnert sich der Trainer mit einem strahlenden Lächeln. Dazu noch die Eltern, der Vereinsvorstand, der Bürgermeister und die lokale Presse. Für Mikola Matewosjan war das ein überaus bewegender Moment.

Mykola Matewosjan (rechts) im Finale um die Internationale Deutsche Meisterschaft im Kyokushin-Karate gegen Luca Reinhart vom KKC Winterthur bei den German Open 2016 in Baar-Ebenhausen.

Mykola Matewosjan (rechts) im Finale um die Internationale Deutsche Meisterschaft im Kyokushin-Karate gegen Luca Reinhart vom KKC Winterthur bei den German Open 2016 in Baar-Ebenhausen. © privat

Schon 2015, bei seiner Ankunft in Treuchtlingen, war für ihn klar gewesen, dass er seiner Sportart weiter nachgehen wollte. Das Talent dafür hatte er bereits im Kindergartenalter entdeckt. Ob er Kyokushin-Karate für immer ausüben möchte? Die Frage stellt sich für ihn gar nicht. Denn der Sport ist nach seinen Worten "längst ein Teil von mir geworden".

Heute ist Mikola Matewosjan ein junger Erwachsener. Sowohl als Sportler als auch als Trainer ist er eine feste Größe in der deutschen Karate-Szene – und auch in Treuchtlingen. Er wurde bereits deutscher Meister, erhielt den mittelfränkischen Sportpreis und räumte kurz vor dem Corona-Lockdown bei den Europameisterschaften im Kyokushin-Karate den zweiten Platz ab.

Viele Verletzungen

Es gibt allerdings auch eine Kehrseite der Medaille. Denn durch den Profisport hat sich der Ausnahmesportler mit seinen 23 Jahren bereits viele Verletzungen zugezogen. In seinem rechten Ellenbogen halten zwei Schrauben die gerissenen Seitenbänder zusammen, Arthrose steckt in seiner linken und vielleicht auch in der rechten Schulter.

Auf der anderen Seite hat Matewosjan in den vergangenen Jahren alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Zum Teil sei ihm das auch durch die Tugenden des Karate gelungen, erklärt er: "Es ist im Leben genauso wie in der Sportart. Wenn man hundert Prozent gibt, bekommt man auch hundert Prozent zurück." Disziplin und Zielstrebigkeit habe er von klein auf in seinem Trainingsumfeld gelernt – die Grundvoraussetzung dafür, Ziele erreichen zu können, die man sich setzt.

Mit diesen Mitteln hat Matewosjan beispielsweise innerhalb kürzester Zeit die deutsche Sprache gelernt. Nur sechs Monate nach seiner Ankunft ergatterte der Armenier einen Ausbildungsplatz bei der Bundesagentur für Arbeit und hat nun, knapp vier Jahre später, eine unbefristete Festanstellung in Augsburg. Heute träumt er davon, eine Familie zu gründen. Und er möchte jeden Berg in Deutschland, Österreich und der Schweiz erklimmen. In Treuchtlingen fühlt er sich genau richtig: Alles, was er braucht, sei hier, sagt er.

Niederlagen machen stärker

Matewosjans Asylverfahren ist mittlerweile abgeschlossen. Es war eine harte Zeit, über die der Karate-Trainer nicht gern spricht. "Nichts, was ich erreicht habe, hat mit dem Asylverfahren zu tun", erklärt er. Nur er selbst durfte in Deutschland bleiben, während seine Eltern und sein Bruder wieder in die Ukraine zurückkehren mussten.

Nach der Sommerpause kann Matewosjan nun endlich wieder Karate-Stunden im Freien mit seinen Schülern abhalten. Zwar ist fraglich, wie lange das bei den aktuellen Wetterverhältnissen noch möglich ist – allerdings hat der Trainer mit den Kindern bereits im Frühjahr gute Erfahrungen gemacht, als das Training nur per Online-Videokonferenz möglich war.

Seine eigene Passion für den Kampfsport konnte Matewosjan zuletzt am 3. Oktober bei den Offenen Deutschen Meisterschaften in Berlin ausleben. Dort wurde er allerdings am Kopf verletzt und verlor den Kampf. Auch wenn er von dieser schmerzhaften Erfahrung spricht, tritt die Mentalität eines Karatekämpfers bei ihm zutage: "Ich habe verloren, und das tut nicht nur physisch weh", räumt er ein. "Aber die Niederlagen schubsen mich nur nach vorne. Nächstes Mal komme ich noch stärker zurück."

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