Erst Corona, jetzt die Vogelgrippe: Geflügelzuchtverein bangt um Existenz

25.11.2020, 06:00 Uhr
Erst Corona, jetzt die Vogelgrippe: Geflügelzuchtverein bangt um Existenz

© Foto: Lidia Piechulek

Michaela Stettingers Blick trübt sich bei der schmerzhaften Erinnerung an den Winter 2016/2017. Damals hatte der Fund einer verendeten Gans am Brombachsee das Landratsamt dazu bewogen, eine Stallpflicht für sämtliche Geflügelbestände im Landkreis einzuführen. Im Blut des Tiers waren Antikörper der Geflügelpest nachgewiesen worden. Hunderte Gänse, Hühner und Wildvögel standen fortan dichtgedrängt in den dafür viel zu kleinen Stallungen des Treuchtlinger Geflügelzuchtvereins. Und das vier Monate lang. Das Ziel: sie vor dem Kot erkrankter Wildtiere zu schützen und somit die Ausbreitung der Geflügelpest zu verhindern.

Der Schreck vom letzten Ausbruch sitzt tief

An sich eine zielführende Strategie, allerdings wirft sie die Frage auf: Was sind Hühner ohne Auslauf? Gänse, wenn sie nicht schwimmen können? Die Antwort: Es sind kränkliche, geschwächte Tiere, die nach der monatelangen Quarantäne viel leichter an anderen Infektionen sterben können. Und es auch tun, wie Michaela Stettinger vor vier Jahren feststellen musste. Ihre Hühner fingen sich direkt im Anschluss an die Stallpflicht eine Lungenentzündung ein und verendeten qualvoll.

Erst Corona, jetzt die Vogelgrippe: Geflügelzuchtverein bangt um Existenz

© Foto: Lidia Piechulek

Nun haben sie und mit ihr der gesamte Verein große Angst, dass das Leid sich wiederholen könnte. Denn erst vergangene Woche hat das Landratsamt eine Warnung herausgegeben: Die Bedrohung sei ernstzunehmen, dass sich durch ziehende Wildvögel die Geflügelpest auch im Landkreis erneut verbreiten könnte. Und tatsächlich: Im Kreis Passau ist die Pest mittlerweile angekommen, dort müssen 1000 private und landwirtschaftliche Geflügelhalter nun eine Stallpflicht umsetzen.


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Die Bevölkerung ist laut Pressemitteilung des hiesigen Landratsamts dazu aufgerufen, bei Spaziergängen auf verendete Vögel zu achten und die Funde unverzüglich zu melden, damit die Tiere auf eine Infektion hin untersucht werden können. Michaela Stettinger und Vereinsvorsitzender Manuel Frey stellen sich bei dem Gedanken daran die Nackenhaare auf. Im schlimmsten Fall könne in einem in Treuchtlingen gefundenen Tier eine Infektion mit der Geflügelpest nachgewiesen werden, das aber gar nicht daran verstorben ist, geschweige denn Symptome hatte, befürchten sie. Dennoch würde dann sämtliches Federvieh im Umkreis von drei Kilometern gekeult.

Viele Rassen stehen auf der roten Liste

Dieses Szenario ist für die Geflügelzüchter nicht etwa um ihretwillen eine grausige Vorstellung, betont der Vorsitzende. Denn in dem rund 750 Tiere umfassenden Vereinsbestand gibt es auch "zahlreiche gefährdete Rassen, die auf der roten Liste stehen", erklärt Frey. "Wenn wir die schlachten müssten, sind sie halt weg." Der Vereinschef ist der Ansicht, dass eine artgerechte Haltung der Tiere unter Wahrung der Stallpflicht schlichtweg nicht möglich sei. Als Beispiel zieht er die Tauchenten heran: Würden die Vereinsmitglieder diese ihrem natürlichen Lebensraum, dem Wasser, entreißen, dann lägen sie nach rund zwei Wochen tot im Stall.


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Die Tiere seien es gewohnt, mit viel Freilauf und Selbstbestimmung zu leben. "Sie sind normalerweise von Wind und Wetter abgehärtet", sagt Stettinger. Würde man sie auf engstem Raum zusammenpferchen, wären neben den körperlichen auch die psychologischen Schäden gravierend. Gänse würden einander dann aus Langeweile angreifen, Hühner aus aufgestauter Aggression. "Die Tiere wenden sich dann dem Kannibalismus zu", weiß Frey. "Wir haben das schon einmal mitgemacht und wissen, was wir den Tieren damit antun." Der Schambacher ist seit einem Jahr Vorsitzender des Zuchtvereins und trat ihm schon im Alter von sechs Jahren bei.

2020 war "eine Nullrunde"

Während die Halter aufgrund der diffusen Bedrohung durch die Geflügelpest um ihre Tiere besorgt sind, steht der Verein an anderer Front schon kurz vor dem Abgrund. Denn in diesem Jahr konnten die Geflügelzüchter so gut wie keine Einnahmen erzielen, während die laufenden Kosten blieben: Strom und Wasser, Versicherungen, obligatorische Anschaffungen und Reparaturen sowie Instandsetzungsarbeiten im Vereinsheim und in der Ausstellungshalle.

Mit 15 Euro Beitrag pro Jahr bei 71 aktiven Mitgliedern sei es vor Corona schlicht unmöglich gewesen, große Rücklagen zu bilden, erklärt Frey. Nun habe man diese in den Monaten März bis November "praktisch aufgebraucht", und das trotz zahlreicher Spenden aus den eigenen Reihen.

Traditionell findet die Nachzucht des Geflügels im Frühjahr statt, über den Sommer und bis in den Spätherbst hinein werden die Tiere dann aufgezogen – und bei den beiden Ausstellungen des Vereins, die im November und im Januar stattfinden, voller Stolz präsentiert.


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Die Ausstellungen sind die Ereignisse, die das meiste Geld in die Vereinskasse spülen – so sie denn stattfinden. Denn die November-Ausstellung hatte zwar ein mühsam erarbeitetes Hygienekonzept, ist nun jedoch dem "Lockdown light" zum Opfer gefallen. Bis zu 1000 Euro hätte der Verein bei diesem Anlass über den Verkauf von Getränken und Speisen sowie mit den Eintrittsgeldern der Gäste verdient.

Wenn Manuel Frey vom Jahr 2020 spricht, zeichnet er ein düsteres Bild. "Wir können eine Nullrunde verkraften, aber keine weitere", ist er sich sicher. Er setzt daher all seine Hoffnungen darauf, dass die Ausstellung im Januar durch entsprechende Lockerungen der Corona-Maßnahmen stattfinden kann. "Sonst sind wir bald weg", erklärt der Vorsitzende des zweitältesten Treuchtlinger Vereins.

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