Kehrt am Treuchtlinger Brühl jetzt Ruhe ein?

27.9.2018, 06:04 Uhr
Kehrt am Treuchtlinger Brühl jetzt Ruhe ein?

© Patrick Shaw

Es ist eine vielschichtige Gemengelage im Wohngebiet gegenüber der Bezirkssportanlage samt Freizeitheim („Mocambo“), der neuen Freilufthalle der Hochschule für Angewandtes Management (HAM) und entlang der viel befahrenen Straße „Am Brühl“. Und sie hat lange gegoren. „Es ist ein Sammelsurium von Ursachen“, fasst Rathauschef Werner Baum zusammen. „Wir werden nicht für alles eine Lösung finden, nehmen die Klagen aber ernst.“

Was stört die Anwohner?

Da sind zum einen der Gaststättenbetrieb im „Mocambo“ und hier besonders die Hochzeiten und anderen Feiern an den Wochenenden. Da das vor knapp drei Jahren vom jetzigen Wirt übernommene Lokal mittlerweile gut läuft, haben sie stark zugenommen.

„Das ist schon keine Lärmbelästigung mehr, sondern grenzt an Körperverletzung“, betonen die Anwohner. Einer hat die Lautstärke am besonders „wilden“ ersten Augustwochenende vom eigenen, rund 200 Meter entfernten Balkon aus gemessen: „Am Freitag bis 0.15 Uhr Musik mit 55 bis 65 Dezibel, am Samstag zuerst 55 bis 60 Dezibel von ,Rock an der Lok‘ und dann bis 0.45 Uhr bis zu 70 Dezibel sowie lautes Schreien aus dem Gasthaus.“

Selbst die Polizei habe sich nicht in der Lage gesehen, dies einzudämmen, berichten Anlieger. Laut Gesetz habe jeder Bürger das Recht auf Nachtruhe ab 22 Uhr, und auch tagsüber liege die Schallgrenze in einem „urbanen Gebiet“ bei 63 Dezibel. „Wir sind nicht gegen den allgemeinen Betrieb, sondern wollen nur, dass vorhandenes Gesetz und Rücksichtnahme eingehalten werden“, so ein Betroffener.

Andere Anlieger bestätigen freilich, dass es an besagtem Wochenende „besonders schlimm war“. Das sei nicht immer so, und Veranstaltungen wie „Rock an der Lok“ seien ja die Ausnahme. Zudem gebe es am Brühl auch Anwesen, die überhaupt nicht betroffen seien, möglicherweise weil der Querbau des Freizeitheims den Schall in deren Richtung schlucke.

Kehrt am Treuchtlinger Brühl jetzt Ruhe ein?

© Patrick Shaw

Zum zweiten stören die Anlieger die Verkehrsbelastung durch die Sportstätten sowie der Lärm und die Gefahr durch die häufigen Raser. Sie hätten sich stärkere beruhigende Maßnahmen gewünscht als die kürzlich fertiggestellten Einschnürungen und den kleinen Kreisverkehr am unteren Ende des Brühls, der die Autos ihrer Ansicht nach kaum bremst. Zudem solle die Polizei häufiger und zu den Stoßzeiten Tempomessungen durchführen.

Zum dritten klagen die Anlieger über die gewachsene Belastung durch die Sportstätten. Die Bezirkssportanlage und der Trainingsbetrieb des ESV stehen dabei weniger im Fokus – zwar würden die Plätze mittlerweile auch zum Freizeit-Bolzen, Picknicken und Radfahren zweckentfremdet, generell sei der Verein dort aber seit vielen Jahrzehnten vertreten, ohne dass es je größere Reibereien gegeben hätte.

Stein des Anstoßes ist vielmehr die neue Freilufthalle von Stadt und Hochschule. Sie verstärke durch ihre Überdachung die Geräuschkulisse. Zudem wehren sich die Anlieger gegen die nachträglich beantragte Nutzung der halleneigenen Lautsprecheranlage für eine Musikbeschallung.

Kehrt am Treuchtlinger Brühl jetzt Ruhe ein?

© Benjamin Huck

Diese entspricht zwar laut Rathauschef Baum und Hochschulleiter Wolfgang Feldner der erst kürzlich gelockerten Sportstättenverordnung. Die Stadt müsse aber „neben dem Gesetz auch sehen, dass die Halle in einem Wohngebiet steht, wo die Menschen seit 30, 40 Jahren leben und in Ruhe ihre Freizeit verbringen wollen“, so eine Anwohnerin. „Kann der Stadtrat hier nicht auch einmal gegen die Gesetzeslage und für die Bürger entscheiden?“ 73 Unterschriften haben diese gegen die Musiknutzung gesammelt.

Was sagt der Gastwirt?

Für den Vorfall am ersten Augustwochenende hat sich der Wirt bereits bei den Nachbarn entschuldigt. Die Feier sei „aus dem Ruder gelaufen“, der Alleinunterhalter habe es übertrieben und sogar noch die Polizei mit „Lauter, lauter!“-Rufen provoziert. Als Gastgeber habe er aber auch nicht einfach „den Stecker ziehen“ können, das sei geschäftlicher Selbstmord.

Seit Ende August gab es dem Wirt zufolge jedoch bereits drei weitere Hochzeiten in der Gaststätte, die problemlos verliefen. Er gebe sich redlich Mühe, übermütige Gäste zur Räson zu rufen. „Man kann aber auch mehr hören, als ist“, wendet er sich an manche in seinen Augen allzu kleinliche Nachbarn. So komme es immer wieder vor, dass diese die Polizei auch wegen eines Jugendspiels auf dem Sportplatz oder eine Feier in der 300 Meter entfernten Stadthalle zu ihm schicken.

„Das ist jetzt das erste Mal, dass jemand normal mit uns spricht, und das nehmen wir auch ernst“, betont die Wirtsfamilie. Und sie stellt Abhilfe in Aussicht: Es sei geplant, die Terrasse, von der die meisten Geräusche ausgehen, demnächst zu überdachen und zu schließen. „Das ist eine große Investition, aber dann ist Ruhe.“

Wie reagiert die Polizei?

Die Polizei ist laut dem stellvertretenden Treuchtlinger Inspektionsleiter Wolfgang Hauber „nicht die Verfolgungsbehörde bei Lärmschutz-Ordnungswidrigkeiten“. Dies sei das Landratsamt. Aufgabe der Polizei sei es lediglich, „den Verursacher anzusprechen und Verstöße zusammenzuschreiben“. Für das Amt, das dann über Sanktionen entscheide, fungiere die Polizei als „qualifizierter Zeuge“.

Die Zahl der Einsätze allein ist laut Hauber zudem kein Anhaltspunkt für die Schwere der Ruhestörung oder die Unbelehrbarkeit des Störers. Vielmehr müssen die Einsätze auch „berechtigt“ sein. Im Fall der „Mocambo“ lägen Polizei und Landratsamt aus dem vergangenen Jahr drei konkrete Anzeigen vor. Zwei Verfahren zum ersten Augustwochenende laufen noch. Die Anlieger halten dem entgegen, dass sie es zunächst auf nachbarschaftlichem Weg versucht hätten und es nur deshalb nicht mehr Anzeigen gebe.

Welche Rolle spielt die Hochschule?

Die Freilufthalle der Hochschule war laut Rathauschef Baum „von Anfang an mit Lautsprechern genehmigt, aber nicht mit Musik-Berieselung“. Seit dieses Thema Kreise zieht, sei mit der HAM vereinbart, die Boxen bis zur Klärung nicht zu nutzten. Dennoch klagen drei Anlieger bereits gegen die Beschallung beziehungsweise die gesamte Halle. Wenn die Gerichtsverfahren abgeschlossen seien, werde er das Thema nochmals dem Stadtrat vorlegen, so Baum – je nach Rechtslage als Information oder zur erneuten Abstimmung. Der Wunsch der Bürger, hier nicht allein nach Rechtslage zu verfahren, sei aber „angekommen“.

Nach Worten von Hochschulleiter Wolfgang Feldner soll die Musikanlage ohnehin nicht so laut betrieben werden, wie dies bei der Einweihung der Fall war. „Wir wollen dort keine Disko, die Sportler müssen einander noch hören.“ Auch eine andere Nutzung der Halle, etwa für Feiern oder Konzerte, schloss Feldner aus – wenngleich dies rechtlich möglich wäre. Leise Musik aus den Lautsprechern sei für die Anwohner aber letztlich besser, als wenn „die Kunden ihre eigenen Boxen mitbringen und sie voll aufdrehen“.

Wie geht es weiter?

In Sachen Gasthaus betont Bürgermeister Baum, er wolle die Störungen „nicht verteidigen“, es seien aber „einige unglückliche Umstände zusammengekommen“. Man müsse „schon auf die 22-Uhr-Grenze drängen“, vielleicht mit einer halben Stunde Kulanz, aber nicht bis nach Mitternacht. „Wir werden hier auf keinen anderen Nenner kommen, als dass sich der Wirt an die Spielregeln halten muss“, so Baum.

Für Tumult am „Runden Tisch“ sorgte diesbezüglich die Forderung eines Anliegers, es mit den gesetzlichen Ruhezeiten ganz genau zu nehmen. „Okay, dann machen wir das auch“, erwiderte der Wirt. „Dann lasse ich auch wochentags die Musik bis zum Grenzwert laufen.“ Die drohende Eskalation bremste das Stadtoberhaupt: „Vielleicht ist zu lang nichts passiert, aber jetzt geben Sie sich bitte gegenseitig die Chance, etwas zu verbessern.“ Die angekündigte Überdachung der Terrasse sei ein guter Anfang.

Beim Verkehr räumt Baum ein, dass am Brühl „insgesamt zu schnell gefahren wird“. Er glaube aber, dass der neue Kreisel und die Einschnürungen etwas bringen. Weitere Tempo-30-Schilder sollen nach Abschluss der Bauarbeiten kommen. Auch die derzeit im Ziegelhüttenweg stehende mobile Tempoanzeige soll dann eine Zeit lang am Brühl eingesetzt werden.

Darüber hinaus will die Stadt laut Bauamtschef Jürgen Herbst im Frühjahr die Straße durch drei Pflanzkübel weiter verengen. Möglicherweise werde man dafür die Tröge nehmen, die derzeit in der Bahnhofstraße stehen, da sie dort zu klobig wirken. Außerdem werde die Stadtgärtnerei noch im Herbst dichte Hecken unter den Bäumen am Brühl anlegen, die als Schallschlucker dienen sollen.

„Straßenplanung ist immer eine Kompromisslösung“, so Herbst. Es gelte, „Fußgänger zu schützen, Anwohner wenig zu belasten und trotzdem den Verkehr schnell wegzubekommen“. Raserei könne man letztlich „nur ahnden, aber nicht verhindern, außer man baut gar keine Straßen“.

Bezüglich der Freilufthalle macht Bürgermeister Baum den Bürgern Hoffnung, dass „die Musik am Ende vielleicht gar nicht stört, wenn sie leiser ist als die Sportler“. Er wolle aber zunächst weitere Messungen und das Ergebnis der Rechtsstreitigkeiten abwarten. „Wir sind ja nicht komplett dagegen“, betonen die Anwohner. Sie hätten deshalb gern einen Ortstermin samt Testbetrieb der Anlage.

+++ MEINUNG & HINTERGRUND +++

Früher reden statt später streiten

                              VON PATRICK SHAW

Da hat sich einiges an Wut und Widerstand angestaut bei den Anwohnern am Treuchtlinger Brühl: gegen Verkehr, Raser und Parkplatzchaos; gegen die offenbar zunehmende Geräuschkulisse auf den Sportplätzen; gegen die insbesondere in diesem Sommer sehr häufigen und lauten Feiern im Gasthaus „Mocambo“ (Freizeitheim); sowie zuletzt als i-Tüpfelchen gegen die von der Hochschule erst im Nachgang beantragte Musiknutzung der Lautsprecheranlage in der neuen Freilufthalle.

Jede einzelne dieser Lärmquellen für sich hätte wohl nicht für so viel Aufhebens gesorgt. Auch anderswo haben Anlieger schließlich viel befahrene Straßen, laute Betriebe, Sport- und Freizeitanlagen oder einen gut gehenden Biergarten vor der Haustür. Selten aber müssen sie alles auf einmal ertragen.

Dazu kommt, dass in der Debatte unterschiedliche „Welten“ aufeinander prallen: Ein altes Wohngebiet mit alteingesessenen Bewohnern auf die Bedürfnisse der jungen Generation; das subjektive, deshalb aber nicht weniger schwer wiegende Lärmempfinden der Anlieger auf die harten Zahlen von Polizei und Stadtverwaltung; sowie ein leutseliger Wirt mit mediterranen Wurzeln, der es mit einer Stunde Nachtruhe hin oder her nicht so genau nimmt, auf korrekte Deutsche, die das Gesetz – teils aus Prinzip, teils aber auch notgedrungen – beim Buchstaben nehmen.

Darüber hinaus ist am Brühl offenbar ein Teil der Bürger durch die besondere Lage ihrer Anwesen im Schallkegel von Gaststätte und Sportplätzen besonders betroffen, während sich andere Anlieger kaum gestört fühlen und die Aufregung für übertrieben halten. Das zeigt auch die eher kleine Zahl von knapp 20 Teilnehmern am Runden Tisch – alle aus rund einem Dutzend Häuser direkt gegenüber sowie bis zu 150 Meter unterhalb des Freizeitheims.

Mehr als der konkrete Lärm bringt sie spürbar auf die Palme, dass „wir uns nicht erst seit gestern wehren und seit fast drei Jahren nirgends Gehör finden“. Hier haben alle Seiten versäumt, miteinander zu reden und zu deeskalieren, als es noch ging.

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