22. September 1970: Die letzten Mieter-Paradiese: hier herrscht noch Sozialfriede

22.9.2020, 07:00 Uhr
22. September 1970: Die letzten Mieter-Paradiese: hier herrscht noch Sozialfriede

© N. N.

Mietpreise von 1,35 DM pro Quadratmeter in Altbauten und von 1,70 DM in Neubauten sind nicht einmal selten. Aber es sind die letzten Paradiese. Sie werden gehegt von 26 gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften in Nürnberg und Umgebung. Bis hierher drang noch nicht der Ruf des Mietwuchers, hier herrscht noch echter sozialer Friede. Im Jahre 1968 hat die Vereinigung Nürnberg-Fürther Wohnungsunternehmer 23 145 billige Wohnungen registriert. So niedrige Mieten (die höchste liegt bei 2,35 DM pro Quadratmeter) wird es nie wieder geben. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt: viele dieser Wohnungen – kurz nach dem Krieg gebaut – sind äußerst bescheiden. Sie entbehren jeglichen Komforts und haben kein Bad. Aber vor allem erfreuen sich diese Wohnungen des „Naturschutzes“ echter kostendeckender Mieten. Hier wird scharf kalkuliert, Profit ist da nicht drin.

Die „Gartenstadt Nürnberg“, die „WG Noris“, die „WG Sigmund Schuckert“ und die vielen anderen gemeinnützigen Unternehmen überprüfen regelmäßig Kosten und Mietertrag. In diesen Wohnungen, so scheint es, ist man vor Überraschungen sicher, kann man noch ruhig schlafen. Aber auch die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften geben zu, daß solche „Preisschlager“ der Vergangenheit angehören. Domingo Rosa von der WG Noris: „Unser Quadratmeterpreis bei neu erstellten Sozialwohnungen in Langwasser lag 1969 bei etwa 3 DM und liegt in diesem Jahr bei 3,28 DM.“ Heute, so meint der Fachmann, könne man mit Quadratmeterpreisen von 4 und 5 DM keine freifinanzierten Wohnungen mehr erstellen. Vielmehr können bei den hohen Baulandpreisen und Baukosten 10 DM pro Quadratmeter in der Spitze durchaus berechtigt sein. Auch bei der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg (WBG) wird der Anteil der teuren Sozialbauwohnungen immer größer. Dabei hatte gerade die WBG ein mustergültiges Beispiel gegeben, dem kaum ein Hauseigentümer nacheifern wird: Sie fing die letzte Erhöhung der Hypothekenzinsen auf, in dem sie die Tilgung länger laufen ließ. Die Regel sieht in Nürnberg anders aus: die Erhöhung wurde einfach auf die Mieten umgeschlagen. Die WBG ist eines der wenigen gemeinnützigen Unternehmen, die trotz der Baupreis-Explosionen weiter bauen. Man scheut sich nicht, mit dem in Langwasser geplanten Projekt FG die Errichtung von 1384 Mietwohnungen in Angriff zu nehmen. Aber Dr. Oswald Fiedler, Direktor der WBG, beschönigt nicht den Ernst der Situation: „Bei diesen 1384 Mietwohnungen werden die Baukosten um 36 Prozent höher liegen als bei Bauten, die wir 1968/69 begonnen haben.“

Das bedeutet: die Gesamtkosten je Quadratmeter Wohnfläche werden um etwa 30 Prozent höher liegen als im vergangenen Jahr, die Mieten werden 3,35 DM pro Quadratmeter betragen. Dieser Mietpreis von 3,35 DM klingt noch menschenfreundlich, er ist gemildert durch den Aufwendungszuschuß in Höhe von 50 Pfennig pro qm, den der Staat für jede Wohnung fünf Jahre lang zahlt. Das bedeutet aber, daß die Miete nach fünf Jahren um die 50 Pfennig teurer werden muß. Warum baut die WBG noch bei den hohen Baupreisen? Dr. Oswald Fiedler: „Wir müssen bauen, weil wir eine soziale Verpflichtung zu erfüllen haben. Und wir können bauen, weil wir noch Grundsätze besitzen.“ Gemeinnützige Genossenschaften, die nicht in so glücklicher Lage sind, müssen die Waffen strecken. Und wenn sie Grundstücke haben, kommen sie durch die hohen Baukosten auf Mieten für die Sozialwohnungen, die schon nicht mehr sozial zu nennen sind.

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