Heiße Diskussionen

26. Mai 1971: Monatslohn aufs Spiel gesetzt

26.5.2021, 07:00 Uhr
26. Mai 1971: Monatslohn aufs Spiel gesetzt

© N.N.

Schon die erste Begegnung in Neunkirchen soll zeigen, wie die „Club“-Elf in die „fünf Wochen der Wahrheit“ startet. Seit langem kennen die Fans nur noch das Thema: „Schafft der ,Club‛ den Wiederaufstieg in die Bundesliga?“ Es wird an der Werkbank, im Büro, am Stammtisch diskutiert. Und die „Club“-Anhänger sind wieder selbstbewußter geworden.

Die Stammkrüge mit dem FCN-Emblem, die lange Zeit unter der Wirtshaustheke verstaubten, werden wieder stolz geschwenkt, und die größten Optimisten haben auch schon ihren Song für die Aufstiegsrunde kreiert: „Ja, wer hätte das gedacht, daß der ,Club‛ den Aufstieg schafft“. Manche setzen für diesen Optimismus nahezu ein mittleres Monatseinkommen aufs Spiel. Dem 40jährigen Taxifahrer Erwin S. ist sein Vertrauen in Wenauer und Co. Krimsekt wert. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen, daß „Dilettanten“ aus Regensburg, Hof und Bayreuth partout nicht einsehen wollen, daß „sein Club besser ist als all die anderen Mannschaften, die um einen Platz an der Sonne kämpfen“. Wetteifrig erwies sich auch eine bunt zusammengewürfelte Bundesbahntruppe, die am Milchhof wohnt und an der Münchener Straße arbeitet. Der „Schorsch“ aus Kronach ist der größte Parteigänger des FCN unter ihnen. „Der Club steigt auf“, verkündet er selbstsicher und ist bereit, ganze Fässer dafür einzusetzen. Anderen Gleichgesinnten ist die Aufstiegsrunde einen Hektoliter Wein und andere trinkbare Delikatessen wert.

Doch was ein echter „Club“-Anhänger ist, der diskutiert nicht nur am Stammtisch über den FCN und seine Aussichten, sondern er ist hautnah dabei. 300 Schlachtenbummler werden sich heute in aller Herrgottsfrühe vom Zentral-Omnibusbahnhof aus via Neunkirchen aufmachen. Sie lassen sich die Busfahrt 33 Mark kosten und opfern zusätzlich fünf (Stehplatz) beziehungsweise 13 Mark (Sitzplatz) für den Eintritt. Wenn dieses Häuflein am Donnerstag früh um 4 Uhr zurückkehrt, dann wird es bestimmt nicht weniger strapaziert sein, als die Mannschaft nach 90 Minuten Fußballkampf. Viele machen sich auch mit dem eigenen Auto auf die Fahrt ins Saarland. Daß sie fußballverrückte Beifahrer mitnehmen, ist Ehrensache. Addi H., 30jähriger Installateurmeister: „Einen Tag Urlaub für mich und meine Gesellen ist mir der Club schon wert.“ Der Flugbetrieb hat dagegen noch Ruhe. „Über 400 Mark allein für den Flug in das ungünstig gelegene Saarland ist schon viel Geld“, erklärte Peter K., Pressesprecher am Flughafen. „Da kann man schon verstehen, wenn die Fußballanhänger lieber mit dem billigeren Zug, dem Bus oder dem eigenen Auto fahren.“ Kreuzer weiß, daß die Fluggesellschaften dennoch an der Aufstiegsrunde verdienen werden, spätestens am 2. Juni, wenn Berlin für Hunderte von Nürnbergern einen Flug wert ist. Zwischen der ersten Begegnung in Neunkirchen und dem Spiel in Berlin liegt noch die Begegnung am Pfingstsonntag mit Fortuna Düsseldorf.

Viele Ehefrauen werden es mit Fassung tragen müssen, wenn dieses Mal das verlängerte Wochenende nach der Devise ausfällt: „Am Pfingstsonntag gehört Vati dem Fußball.“ Ein 67jähriger Rentner, betont: „Auf keinem Ort der Welt würde ich mich wohlfühlen, wenn ich weiß, daß der Club um den Aufstieg kämpft. Damit muß sich meine Frau abfinden. Über Pfingsten bleiben wir zu Hause.“ Die Frauen scheinen für diese Einstellung bisweilen Verständnis zu haben. Anny K., 55jährige Hausfrau: „Wenn‘s nur endlich losgeht. Man wird ja ganz hitzig vor lauter Aufregung. Das kostet schon Nerven.“

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