Tausende konnten Spiel nicht sehen

31. Mai 1971: Fiasko auf den Stadion-Rängen

31.5.2021, 07:00 Uhr
31. Mai 1971: Fiasko auf den Stadion-Rängen

© N.N.

Die rein kicktechnische Kritik über das Spiel ist im Sportteil nachzulesen. Hier soll nur von der organisatorischen Pleite dieses Fußballkampfes die Rede sein, obwohl der FCN vermutlich weder in der Aufstiegsrunde noch im nächsten Jahr in eine ähnliche Verlegenheit kommen wird. Schlicht und einfach: der FCN hat für dieses entscheidende Spiel zu viele Karten verkauft. Zugegeben, daß es eine alte Rechnung gibt, derzufolge im Stadion 65 000 Menschen Platz haben. Aber jeder Kundige weiß auch, daß diese Berechnungen aus dem Jahr 1955 stammen und daß die Menschen – es klingt etwas lächerlich – inzwischen dicker geworden sind. Sie brauchen mehr Platz, also finden im Stadion heute nur noch knapp über 60 000 Raum. Im Winter, wenn sie alle dicke Mäntel tragen, sogar noch weniger. Angeblich wurden 60 000 Karten verkauft. Aber das war offenbar zuviel. Was geschah am Sonntage? Als das Spiel begann, standen Tausende draußen vor der Tür. Wohlgemerkt: zum größten Teil mit gültigen Eintrittskarten. Sie sausten von Block zu Block, aber nirgends mehr war ein Blick aufs Spielfeld zu erhaschen. Die ratlosen Ordner ("Wir sind doch bloß die kleinen Würstchen") sperrten die eisernen Gitter zu, was die Ausgeschlossenen noch mehr in Harnisch brachte. Denn die Menge wurde immer größer; während drinnen schon kein Mensch mehr einen Platz ergattern konnte, verkaufte man an den Kassenhäuschen munter weitere teure Karten. Als mitten ins Kampfgetümmel hinein der Stadionsprecher endlich darum bat, nach oben aufzurücken, verhallte dieser Ruf natürlich ungehört.

Denn auch dies muß bei der Organisation bedacht werden: die Unvernunft vieler Besucher. Man mag das beklagen, aber man muß den Tatbestand doch ins Kalkül einbeziehen. Rund um die 14 Eingangshöhlen, die zu den Stehplatzblöcken des Betonbaues führen, herrscht drangvoll-fürchterliche Enge, oben dagegen klaffen die Lücken. Beim Fußball läßt sich – entgegen sonstiger Lebenserfahrung – eben niemand gern nach oben abdrängen. Nun wird spätestens hier der Einwand kommen, die Besucher hätten oben früher kommen sollen, denn hätte sicher alles geklappt. Das mag für andere Spieltage gelten, nicht für diesen Pfingstsonntag. Nürnbergs Zufahrtstraßen waren verstopft. Denn es war auch Sudetendeutscher Tag, es war auch Dürer-Hauptsaison. Aus Richtung Erlenstegen begann der Stau (mit Schrittempo) beispielsweise an der Ecke Sulzbacher Straße/Thumenberger Weg. Anfahrtszeit zum Stadion: 75 Minuten. Dem Besucher, der um 14.15 Uhr aufbricht, um das um 15.30 Uhr beginnende Spiel zu erleben, der dann – mit Eintrittskarte aus dem Vorverkauf versehen – nichts, aber auch gar nichts vom Ball erspähen kann, ist kaum der Vorwurf der Fahrlässigkeit zu machen. Denn so etwas hat es bisher nicht gegeben. Und an den Parkplätzen lag es auch nicht: die gab es nämlich ausreichend, sogar noch in unmittelbarer Stadionnähe. Draußen vor den Eingängen stöhnten, jammerten, flehten, brüllten, schimpften, krakeelten, trommelten Club-Anhänger nicht nur aus Nürnberg: da waren Leute aus Stuttgart, München und Straubing. Die Wut stand ihnen in den Augen. Am Vormittag waren sie samt und sonders aufgebrochen, durch Stauverkehr und Auffahrunfälle erst kurz vor Spielbeginn nach Nürnberg gekommen und dann abgewiesen worden. Einige betonten, sie seien Club-Mitglieder seit Jahren – und zwar "waschechte", wie sie Nandi Wenauer am Samstag in der Werbeaktion des FCN gefordert hat. Diese Leute also riefen nach den Verantwortlichen. Die aber saßen auf ihren reservierten Plätzen auf der Tribüne. Niemand, der die Menschenmassen wenigstens beschwichtigte.

Als die Ausgesperrten ihr Geld zurückverlangten, war ebenfalls keiner da. Denn just zu diesem Zeitpunkt hatte das Kassenhaus geschlossen. Drinnen wurde nur noch das Geld zusammengezählt. Um die Tausende vor den Stadioneingängen kümmerte sich kein Mensch. Hauptsache offenbar, sie hatten gezahlt. Sollen sie doch selbst schauen, wie sie zu ihrem Platz kommen! Gewiß doch, vor und in der Halbzeitpause wurden die Marathon-Tore kurz geöffnet. Tausende strömten in den Innenraum. Aber das waren nur noch jene Optimisten, die bis dahin ausgeharrt halten. Ein größerer Teil war verärgert abgewandert. Ein künftiger "waschechter" Club-Anhänger befindet sich vermutlich nicht darunter. Höchstens der eine oder andere, der den Veranstalter auf Rückzahlung verklagen wird, falls ihm die fünf Mark und der vergeudete Nachmittag das wert sind. Ein Wunder, daß angesichts des Tohuwabohus, der kochenden Volksseele niemand zu Schaden kam. Dann nämlich wäre die Frage gerichtlich zu prüfen gewesen, wer denn eigentlich für eine solche Mißorganisation verantwortlich ist. Der FCN hat nicht nur spielerisch versagt – er hat auch in der Organisation nur Regionalligaformat bewiesen. So bleibt uns also in diesem Jahr nur Dürer. Der jedenfalls hat den Aufstieg in die Spitzenklasse geschafft.

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