40 Nester: Ein fränkisches Dorf ist Deutschlands Storchen-Hauptstadt

4.4.2021, 05:55 Uhr
Weil die Wiesen um Uehlfeld deutlich öfter gemäht werden als früher, finden die Störche dort viel leichter Nahrung. Frösche sind aber nicht mehr viele darunter.

© Marco Praus Weil die Wiesen um Uehlfeld deutlich öfter gemäht werden als früher, finden die Störche dort viel leichter Nahrung. Frösche sind aber nicht mehr viele darunter.

"Achtung! Störche im Tiefflug!", warnen Schilder an den Ortseingängen von Uehlfeld. Und das nicht zu Unrecht. Wer hier unbedarft die Hauptstraße entlangfährt, kann schon mal den Schreck fürs Leben bekommen, wenn ihm fast auf Augenhöhe ein Storch mit ausgebreiteten Schwingen entgegenkommt. Besonders Lkw-Fahrer sitzen in ihrem Führerhaus oft fast Angesicht zu Angesicht mit Meister Adebar.

"Vor allem die Jungstörche bei ihren ersten Flugübungen brauchen schon eine gewisse Segelstrecke, bis sie wieder hochkommen. Und da gleiten sie bei uns eben die Straßen entlang", erklärt Uehlfelds Bürgermeister Werner Stöcker, der die Schilder aufstellen ließ.

37 Störche beim Blick aus dem Fenster

35 besetzte Nester waren vergangenes Jahr auf Uehlfelds Dächern zu sehen, bei zwei bis fünf Jungen pro Nest hatte sich da im Sommer eine stattliche Kolonie gebildet. "Dieses Jahr knacken wir wahrscheinlich die 40. Die Störche bauen gerade schon wieder neue Nester", erzählt Stöcker. Damit hätte Uehlfeld dem brandenburgischen Rühstädt, das für sich als "Europas größtes Storchendorf" wirbt, endgültig den Rang abgelaufen.

"Mein Rekord sind 37 Störche, die ich beim Blick aus dem Fenster auf einmal gesehen habe", erzählt Susanne Zwanzger. Mit ihrem Mann Christian betreibt sie im Ortszentrum einen Gasthof und eine Brauerei. Und die hatte im vergangenen Jahr mächtig von sich reden lassen.

Direkt auf dem Sudhaus-Schlot nämlich hatte es sich ein Storchenpaar gemütlich gemacht. Monatelang war deshalb die Brauerei lahmgelegt. "Als sich die Störche im März niedergelassen haben, haben wir gesagt, wir gehen jetzt auf Risiko. Schließlich leben wir auch von den Touristen, die die Störche anlocken", meint Zwanzger. Sieben der acht Gästezimmer bieten einen eindrucksvollen Blick auf die vielen Nester im Ort – und wer das einmal erlebt hat, kommt gerne wieder.

Fünf Storchennester auf der Kirche

Doch dann lief der Corona-Sommer besser als erwartet, das Bier wurde zum Ende mächtig knapp. Trotzdem dürfen die Störche wiederkommen. Im Herbst ließen die Zwanzgers deshalb von einem Schmied Stellagen für den Sudhaus-Schlot und auch für einen zweiten Kamin, auf dem nun schon im dritten Jahr Störche nisten, anfertigen. Die Nester wurden angehoben und auf dem Gestell platziert. Mit Erfolg: In beiden Nestern sitzen auch in diesem Jahr schon wieder Störche.

Wohin man auch blickt, sieht man im Ortszentrum Storchennester. Von manchen Stellen hat man schon mal an die zehn Horste im Sichtfeld.

Wohin man auch blickt, sieht man im Ortszentrum Storchennester. Von manchen Stellen hat man schon mal an die zehn Horste im Sichtfeld. © Helmut Praus

In Uehlfeld konzentrieren sich die Störche auf engstem Raum. Allein auf der Kirche haben die Vögel fünf Nester gebaut, ein besonders verwegener hat seinen Horst sogar oben auf der zwiebelförmigen Kuppel des Kirchturms platziert. Und sich als talentierter Baumeister erwiesen: Trotz mächtig exponierter Lage hielt das Nest den heftigen Winterstürmen schadlos stand.


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Gleich neben der Kirche nisten Störche schon zum wiederholten Male in der Astgabel eines stattlichen Baumes. "Das ist schon erstaunlich, wie die das hinbekommen mit dem Anflug. Gerade im Sommer, wenn der Baum belaubt ist", staunt Bürgermeister Werner Stöcker. Wohin man auch blickt, meist sieht man gleich mehrere Nester auf einmal.

"Die Störche haben sich mit der Nähe arrangiert"

"Früher hat man gedacht, Störche verteidigen ihr Revier. Und man konnte sie auch kämpfen sehen und hat Verfolgungsflüge beobachtet. Aber in Uehlfeld ist die Dichte offenbar so groß, dass das Kämpfen irgendwann zu viel wurde. Die Störche haben sich mit der Nähe arrangiert", meint Oda Wieding, Storchenexpertin beim Landesbund für Vogelschutz (LBV).

Seit vielen Jahren wächst die Zahl der Störche in Bayern. Während es noch vor einigen Jahrzehnten nicht mal mehr 60 Brutpaare im Freistaat gab, waren es im vergangenen Jahr mehr als 750. Schwerpunkte sind neben Uehlfeld entlang der Aisch auch in Ipsheim, Gerhardshofen und Höchstadt aber auch rund um den Altmühlsee und in Oettingen haben sich viele der Vögel versammelt.


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Dass es immer mehr Störche in Bayern gibt, liegt vor allem an den veränderten Winterquartieren der Westzieher. Während sie früher in der Sahelzone überwinterten und viele dabei ihr Leben lassen mussten, verbringen sie nun die kalte Jahreszeit in Spanien. Dort halten sie sich zu Hunderten auf Müllkippen auf, wo sie reichlich Nahrung finden. Und auch in den vielen Reisfeldern Spaniens finden die Vögel zu fressen.

Störche fressen Mäuse, aber auch mal Fische

Auch im weitläufigen Aischgrund ist der Tisch reicher gedeckt als früher. Während die Wiesen dort früher nur zweimal im Jahr gemäht wurden und sich die Störche im hohen Gras schwer taten, werden die Wiesen nun drei- bis fünfmal gemäht. "Da laufen die Störche dann direkt hinterher, um sich gleich die Rosinen rauszupicken", erzählt Bürgermeister Stöcker.

Frösche finden die Vögel nicht mehr viele, aber dafür Regenwürmer, Heuschrecken, Käfer und vor allem Mäuse. Der Storch lernt auch von den Graureihern an den Karpfenteichen und schnappt sich schon mal ein paar angeschlagene Fische.

"Wenn er die dann zu seinen Jungen bringt, kann es schon mal sein, dass ein Fisch bei uns im Hof liegt", erzählt Gerhard Bärthlein. Er gilt als Storchenvater von Uehlfeld. Der Hof seiner Familie im Ortszentrum gilt auch als der Ursprung des wundersamen Storchen-Wachstums.

Begonnen hatte alles im Jahr 1928, als sich nur vereinzelte Störche in die Region verirrten. Damals bauten Störche ihr Nest über dem Westeingang der Uehlfelder Jakobuskirche. So mancher Gläubige bekam beim Kirchenbesuch einen unverhofften Gruß aus dem Himmel. Das Nest wurde deshalb auf die höchste Scheune im Umkreis umgesiedelt: die der Bärthleins. Durch Nisthilfen finden sich mittlerweile fünf Storchennester auf drei Scheunen der Bärthleins.

Jungstörche stürzen ab und irren durch Uehlfeld

Wenn die jungen Störche ihre ersten Flugübungen machen, stürzen viele ab, landen in Innenhöfen, in schmalen Gängen zwischen den Häusern oder spazieren ratlos durch die Straßen. Mehrmals im Jahr klingelt dann das Telefon bei Gerhard Bärthlein und er darf die Störche einsammeln. Er bringt sie dann auf eine Wiese außerhalb Uehlfelds, wo genug Platz ist, damit sich auch die flugunerfahrenen Vögel sich wieder in die Lüfte schwingen können. Verletzte Störche hat er schon mehrfach in den Nürnberger Tiergarten gefahren.

Viele Uehlfelder sind der Meinung, dass langsam die Storchen-Grenze für den Ort erreicht sein sollte. Ihnen wird es allmählich zu viel mit den Störchen, die ihre Schornsteine zu verstopfen drohen, mit den Zweigen, die im Hof und vor der Haustür landen, den Hinterlassenschaften, die aus dem Himmel fallen, die Dächer verunreinigen und die Photovoltaikanlagen beeinträchtigen und dem Lärm, der schon mal zu einem mächtigen Geklapper anschwellen kann.

"Das ist zwar wie mit Kirchenglocken, da gewöhnt man sich langsam dran. Im Sommer kann das aber schon mal so laut werden, dass man abends lieber die Terrassentür zumacht", sagt Susanne Zwanzger. Damit die Stimmung nicht kippt, sind im Herbst Bauhofmitarbeiter unterwegs, die auf Kosten der Gemeinde die durch Storchen-Aktivitäten verstopften Dachrinnen säubern.

Plastiktüten, Kabel und ein BH im Storchennest

Gerhard Bärthlein putzt dann das Innere der Nester aus, damit dort nichts vermodert. Eigentlich sollte sich da vor allem dürres Gras oder Moos finden, Bärthlein stößt aber auch öfter auf Plastiktüten, Schnüre oder Kabel mitsamt Stecker. Auch Stiefmütterchen, die Störche aus dem Friedhofscontainer mitgehen ließen, hat der Uehlfelder schon entdeckt. Und sogar einen BH.

"So schnell schaut man gar nicht, wenn man einen Stapel Gartenabfälle aufschlichtet, und schon kommt der Storch und verräumt die Zweige beim Nestbau", erzählt Pfarrerin Ines Weimann. Der Pfarrgarten ist sehr attraktiv für die Vögel, oft landen sie direkt vor Weimanns Arbeitszimmer. "Das hat schon etwas Wunderschönes, Erhabenes und Friedliches, gerade in der Corona-Zeit. Er kommt einfach zurück wie immer und macht sein Ding. Unbeeindruckt von allem, was unter ihm passiert", sagt die Pfarrerin.

Uehlfeld profitiert immer mehr von den Touristen, die die Störche mit langen Kameraobjekten beobachten. Jeder schaut, wie er mit dem Sympathieträger werben kann. Es gibt die Storchen-Apotheke, die Backstube Merkel Storchennest und der Metzger hat scharfe Pfefferbeißer im Angebot, die dank Paprikapulver roter sind als normalerweise und deshalb als "Storchenbeine" verkauft werden.

Karte weist Weg zu den Storchennestern

Jedes Jahr veröffentlicht die Gemeinde eine neue Karte, in der alle Storchennester eingezeichnet sind. Seit einigen Jahren gibt es einen Storchen-Lehrpfad mitsamt einer Aussichtsplattform, die einem Storchennest nachempfunden wurde. "Wir freuen uns natürlich, dass sich die Störche Uehlfeld ausgesucht haben – auch wenn uns langsam die Frösche ausgehen", sagt Bürgermeister Werner Stöcker.

Brauer Walter Prechtel bietet im Sommer ein ganz besonderes Saisonbier an: das Störchla. Dafür hat er eigens das Brauerei-Logo geändert. Statt einem Schwan ist auf dem Etikett ein Storch mit einem Frosch im Schnabel zu sehen.

Brauer Walter Prechtel bietet im Sommer ein ganz besonderes Saisonbier an: das Störchla. Dafür hat er eigens das Brauerei-Logo geändert. Statt einem Schwan ist auf dem Etikett ein Storch mit einem Frosch im Schnabel zu sehen. © Walter Prechtel

Auf der Kirche ist zudem eine Kamera installiert, die ein Storchennest auf einer von Gerhard Bärthleins Scheunen filmt. Zu sehen sind die Bilder (wenn Corona es erlaubt) im Gasthof Prechtel. Dort bietet Brauer Walter Prechtel im Sommer auch ein ganz besonderes Saisonbier an: das Störchla. Für das herbe Pils hat Prechtel eigens das Brauerei-Logo geändert. Statt einem Schwan ist auf dem Etikett ein Storch mit einem Frosch im Schnabel zu sehen.

Von den Außensitzplätzen des Gasthofs hat man gleich mehrere Nester gleichzeitig im Blick. "Das macht sich schon langsam touristisch bemerkbar", sagt Prechtel. Zwar landet auch bei ihm mal Dreck oder die Dachrinne ist verstopft. "Aber ich darf mich am wenigsten beschweren. Mit Gaststätte profitiert man eindeutig von den Störchen", meint er.

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