Absage an Betonburgen

24.4.2015, 15:00 Uhr
Absage an Betonburgen

© Pressearchiv Nürnberg

Das war auch bitter nötig: Zu Beginn der siebziger Jahre zählte die 1950 gegründete „Vereinigung der Freunde der Altstadt Nürnberg e.V.“ nur etwa 135 Mitglieder. Die hatten sich zwar die Wiederherstellung der öffentlichen Bauten der kriegszerstörten Stadt auf die Fahnen geschrieben. Doch sowohl um die Gruppe, als auch um den Schutz historischer Bausubstanz war es schlecht bestellt. Im Städtebau der Sechziger war der Einsatz der Abrissbirne immer eine Option. Glasbausteine, Eternitfassaden und vor allem Beton wurden in den technik- und fortschrittsgläubigen Boomjahren auch in den fränkischen Wohnvorstädten massenhaft verbaut.

Und die leidlich wiederaufgebaute Altstadt? Die lockte zwar Touristen an, war aber auch ins Visier moderner Verkehrs- und Stadtplanung geraten. Drohte hier etwa „Betonburg statt Kaiserburg“? Diese Schreckensversion weckte die „alten“ Altstadtfreunde endlich aus ihrem Dornröschenschlaf, doch es brauchte einen „Prinzen“, der sie wach küsste. Als im Oktober 1973 mit dem 44-jährigen Lehrer und Historiker Erich Mulzer ein neuer Mann an die Vereinsspitze gewählt wurde, änderte sich fast alles. 1974 benannte sich die Gruppe in das knackigere „Altstadtfreunde Nürnberg e.V.“ um. Künftig wollte man engagierter um den Erhalt bedrohter Bausubstanz kämpfen und mit Eigenleistung vorangehen.

Für diese Neuausrichtung brauchte es mehr Mitglieder und Geld. Es war also höchste Zeit, die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins umzukrempeln und mit modernen Marketing-Methoden die eigenen Leute und die Stadtgesellschaft „aufzumischen“.

Mulzer und seine Mitstreiter brannten in den kommenden Jahren ein PR- und Veranstaltungs-Feuerwerk ab, dessen Erfindungen teilweise noch heute zu den Markenzeichen der Initiative gehören. In den Siebzigern stand der Dialekt vielfach im Mittelpunkt: Im April 1974, spielten er beim „Fränkischen Abend“ die tragende Rolle: Neben „40 Meter Stadtworscht“ erwartete die Besucher nicht nur eine Zinkwanne mit „Pengerz-Wasser“, sondern auch die Vorträge fränkischer Dichter. Selbst das „jüngste Mundartphänomen Klaus Schamberger“ durfte seine kritischen Betrachtungen zur arg modern gewordenen Stadt, „wois halt etzet is“, zum Besten geben, so die Nürnberger Nachrichten in ihrer begeisterten Würdigung.

Die Aktion spülte Dank 19 Mark Eintritt Geld in die Kasse und weitere Interessenten für die Anliegen der Altstadtfreunde: Anfang Dezember 1974 konnte das 1000. Mitglied, eine Krankenschwester, begrüßt werden und erstmals lobte Bürgermeister Andreas Urschlechter den Verein, weil er „den Gedanken an die Altstadt in der Bürgerschaft geweckt hat“. Vorsitzender Mulzer begründete dabei das explosionsartig gewachsene Interesse am Denkmalschutz vollmundig mit einem internationalen Vergleich: „Der Abbruch der ‚Sieben Zeilen“ im Vorjahr hat auf die Bürger so gewirkt, wie das Erscheinen des ersten Sputniks auf die Amerikaner“.

Absage an Betonburgen

© Altstadtfreunde Nürnberg

Im April 1975 wurde Bilanz gezogen für eine weitere erfolgreiche PR-Aktion: Unter der Ägide von „Werbemanager“ Georg Ramsauer waren in den letzten Monaten stattliche 20 000 Plaketten zugunsten der Vereinskasse verkauft worden. Diese Aufkleber zeigten als personifiziertes Nürnberg einen der runden Stadtmauertürme, der rechts eine Bratwurst auf einem Spieß und links einen Lebkuchen wie einen Schild vor sich herträgt. So weit, so gut, aber die Aufschrift! Das Pressearchiv hat es ausgegraben: Da prangte eine Liebeserklärung in schlimmstem Bayerisch: „I mog Nürnberg – Altstadtfreunde“. Das ging gar nicht, auch wenn diese sprachliche Entgleisung als verkaufsfördernde Maßnahme für die altbayerischen Freunde fränkischen Kulturguts gedacht gewesen sein mag. Deshalb wurden die alten Bestände, die es auch in Plakatgröße gab, zwar noch verwendet, gleichzeitig aber eine fränkisch abgewandelte Version mit „I moch Nürnberg“ auf den Markt gebracht.

Sechs „liebreizende Altstadtfreundinnen“ in historischen Gewändern waren dazu ausersehen, die Plaketten in den Nürnberger Innenstadtlokalen an die Kundschaft zu bringen mit den Worten: „Kaafn’S doch aa suu a Blebberla!“ Und die Leute kauften, genauso wie die Geschäftsleute den Aufkleber mit einem alten Nürnberger Hauswappen, der bald schon die Eingangstüren der Läden schmückte.

Im Mai 1975 startete in der Innenstadt die Alstadtfreunde-Tombola mit Hauptgewinnen, die von namhaften Nürnberger Firmen gestiftet worden waren. Ein Los aus einer der Stadtmauerturm-Buden konnte da schon mal einen Quelle-Campingwagen im Wert von 5990 Mark bringen und sogar einen Ford oder einen BMW.

Zur Jahresmitte wurde der Verein auch inhaltlich aktiv: Im Juli dokumentierte er in einer Ausstellung, dass von den 270 im Krieg verschonten Altstadt-Gebäuden 40 bereits der Spitzhacke zum Opfer gefallen waren. Gleichzeitig warb er für den Erhalt der verbliebenen Schätze. „Den Nürnbergern sollte eingeimpft werden, dass Nürnberg trotz der Zerstörungen noch immer eine der schönsten Städte Europas ist“, so die Nürnberger Zeitung im Juni. Das ging am besten mit Führungen vor Ort. Im Oktober titelten die NN „Stadtmauer gestürmt“, nachdem beim achten und letzten Stadtspaziergang des Jahres, den die Altstadtfreunde in Kooperation mit dem Denkmalamt der Stadt durchgeführt hatten, mit 3000 Besuchern eine Rekordkulisse verzeichnet werden konnte. Das Anliegen der Altstadtfreunde war angekommen!

Anfang der achtziger Jahre wurden Nägel mit Köpfen gemacht: Mit den Einnahmen aus ihren Aktionen, aus Beiträgen und Spenden gelang es, den Abbruch von vier Fachwerkhäusern am Unschlittplatz abzuwenden. Seitdem konnten etwa 300 Einzelmaßnahmen im Wert von als 15 Millionen Euro umgesetzt, weitere Abrisse, aber auch Aufbaupläne moderner Gebäude verhindert werden.

Als Mulzer 2004 mit dem Ehrentitel „Altstadtmacher“ abtrat, übergab er seinen Nachfolgern eine machtvolle Bürgerinitiative mit mehr als 5000 Mitgliedern, die im Bereich Denkmalschutz wahrlich märchenhafte Erfolge erzielt hatte.

 

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