Aggression gegen Zugbegleiter nimmt zu

25.1.2013, 07:00 Uhr
Aggression gegen Zugbegleiter nimmt zu

© Stefan Hippel

Plötzlich zieht der Mann ein Messer. Tobias Krämer hat zwei Möglichkeiten. Er kann weglaufen oder versuchen, den Gegner irgendwie zu beruhigen. Der Zugbegleiter entscheidet sich in Sekundenbruchteilen für den zweiten, riskanten Weg. „Es waren ja noch andere Fahrgäste an Bord“, erinnert er sich an die Situation vor rund zwei Jahren. „Die wollte ich nicht mit dem Typen alleine lassen.“

Es ist später Abend, der Zug auf dem Weg nach Bad Windsheim, als er die Fahrscheine kontrolliert, ein Reisender plötzlich auf ihn losgeht und schließlich die Waffe in der Hand hat. Krämer geht auf Distanz und redet auf den angetrunkenen Mann ein. Nach fünf Minuten ist die Situation unter Kontrolle, am nächsten Bahnhof warten Polizeibeamte.

Was der heute 30-jährige „Kundenbetreuer im Nahverkehr“ (KiN) erlebt hat, ist kein Einzelfall. Die Bahn mag für Reisende zu den sichersten Verkehrsmitteln gehören, aber die eigenen Mitarbeiter leben mitunter gefährlich. Nach Angaben der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wurden 2011 rund 750 Körperverletzungen gegen Bahnangestellte registriert — zwölf Prozent mehr als 2010. Im ersten Halbjahr 2012 stieg die Zahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erneut um 5,4 Prozent. Betroffen sind vor allem Kontrolleure, Sicherheitskräfte — und in fast der Hälfte aller Fälle Zugbegleiter.

Vor allem Schwarzfahrer reagieren immer wieder mit verbaler oder körperlicher Gewalt, wenn sie ertappt werden. Aggression geht aber auch regelmäßig von jugendlichen Discogängern und Fußballfans aus, die im Nahverkehrszug mit reichlich Alkohol „vorglühen“. Bei einer DB-Mitarbeiterbefragung der EVG im Mai letzten Jahres gaben 87 Prozent an, schon mal in eine „heikle Situation“ gekommen zu sein — von der Beleidigung über die gewalttätige Attacke bis hin zum Raubüberfall.

Heute läuft für Krämer alles gut. Der Reisende vor ihm hat keinen Fahrschein. Er gibt an, dass der Automat kaputt war. Krämer bittet ihn daraufhin höflich, aber mit fester Stimme um den Personalausweis, erklärt, warum er die Daten braucht, dass alle Angaben überprüft werden und zusätzlich zum Fahrpreis auch keine 40 Euro fällig sind, wenn alles stimmt. Er wirkt selbstbewusst. Nur das Fingerkneten der rechten Hand verrät ein wenig Nervosität. Die Situation im Zug ist gestellt. Drei Lokführer, sieben KiN und eine Videokamera sind an Bord der S-Bahn, die im Werk von DB-Regio Franken in Gostenhof abgestellt ist.

Der „Fahrgast“ heißt Michael Sandberg, ist Hauptkommissar bei der Bundespolizei und führt hier „Deeskalationstrainings“ durch. Seit rund fünf Jahren werden sie von der DB in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei angeboten. Bei DB Regio Franken, bei der 240 KiN arbeiten, sind bereits 75 Prozent geschult. Die restlichen werden noch in diesem Jahr an der Fortbildung teilnehmen.

Situationen richtig einschätzen

Die Beschäftigten sollen dabei vor allem lernen, Situationen und Fahrgäste einzuschätzen, sagt Sandberg. „Dazu gehört die richtige Kommunikation und Körpersprache“, so der Beamte. Selbstbewusstes Auftreten und eine eindeutige Ansprache können Konflikte von vornherein vermeiden helfen. Ebenso wie einfache Gesprächsregeln. „Zunächst keine Vorwürfe machen. Der Fahrgast soll sich nicht ertappt fühlen, Positiv und Negativ sollten sich im Gespräch die Waage halten“, sagt er. Und wenn all das nichts hilft? „Ich rate dazu, sich zurückzuziehen und sich defensiv zu verhalten“, sagt Sandberg. Die gestellten Szenen werden gefilmt und anschließend in der Gruppe analysiert. Zusätzlich gehört zu dem „Deeskalationstraining“ auch noch ein Theorieteil, in dem Sandberg die DB-Mitarbeiter zum Beispiel über ihre Rechte in brenzligen Situationen aufklärt. Den Kurs findet auch Krämer gut.

An der wachsenden Zahl aggressiver Fahrgäste und damit dem Grundproblem für ihn und seine Kollegen bei DB Regio Franken wird sich durch das Training aber nichts ändern. So friedlich wie im Rollenspiel läuft es in der Realität meist nicht, wenn bei der Kontrolle der Fahrschein fehlt, sagt Krämer. Leider. Denn seinen Job mag er eigentlich sehr.

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