Agrarflächen nehmen rapide ab: So bedroht sind Regionalprodukte

11.11.2020, 05:44 Uhr
Die Fränkische Schweiz ist heute noch geprägt vom Süßkirschenanbau. Doch die Flächen werden weniger, die Bedeutung schwindet.

© Ralf Rödel Die Fränkische Schweiz ist heute noch geprägt vom Süßkirschenanbau. Doch die Flächen werden weniger, die Bedeutung schwindet.

Wenn sich auf der Erde in etwa 30 Jahren wirklich, wie oft prognostiziert, etwa zehn Milliarden Menschen drängen werden, bleibt für die Ernährung jedes einzelnen nur noch eine landwirtschaftliche Fläche von durchschnittlich 1500 Quadratmetern. "Das ist verdammt wenig", verdeutlichte Professor Otmar Seibert von der Forschungsgruppe Agrar- und Regionalentwicklung Triesdorf bei der (virtuell durchgeführten) Jahreskonferenz der Metropolregion Nürnberg zum Thema Flächenentwicklung und Regionalentwicklung.

Momentan steht die Metropolregion noch relativ gut da. 50 Prozent der Fläche wird landwirtschaftlich genutzt, pro Kopf stehen rein rechnerisch 2600 Quadratmeter zur Verfügung. Die Siedlungs- und Verkehrsflächen nehmen acht Prozent in Beschlag, bayernweit sind es 12,1 Prozent. Der Versiegelungsgrad der Landschaft ist in der Region also noch nicht so hoch wie in Südbayern.

Gewaltiger Verlust an Landwirtschaftsflächen

"Uns geht es aber nicht um den Bestand, sondern um die Dynamik des Verlustes landwirtschaftlicher Fläche", meinte Seibert. Und um hier gegenzusteuern, müsse man weit über das Ziel der Staatsregierung, wonach ab dem Jahr 2030 nur noch fünf Hektar pro Tag in Bayern in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt werden sollen, hinausgehen. "Der Verlust an Agrarflächen ist dreimal so groß wie die irreversible Versiegelung von Flächen", erklärte Seibert.


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Das belegen auch die Zahlen: Von 2004 bis 2018 gingen in der Metropolregion insgesamt 70.410 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Ein Viertel davon wurde in Verkehrs- und Siedlungsfläche umgewandelt. "Das sind 3,5 Hektar pro Tag. Das sind mehr, als die Bevölkerungszahl rechtfertigen würde – und der Versiegelungsgrad wächst auch dort, wo die Bevölkerung abnimmt", sagte Seibert.

Dass seit 2004 insgesamt sogar 13,7 Hektar pro Tag an Landwirtschaftsfläche verlorengingen, liegt aber vor allem auch daran, dass viel davon in Wald oder naturnahe Flächen umgewandelt wurde. Für die Landwirtschaft sind sie dadurch trotzdem verloren. "Neuer Wald entsteht in der Regel dort, wo es schon viel Wald gibt und nicht dort, wo fast keiner vorhanden", verdeutlichte Seibert die zusätzliche Problematik.

Hungern muss keiner

Vor Hunger muss in der Region noch lange keiner Angst haben. Für die Existenzsicherung reichen die Anbauflächen noch lange – nicht aber für die Kultivierung ausgewählter Produkte. Denn allein für den Anbau von Regionalprodukten werden etwa 1500 bis 2000 Quadratmeter pro Kopf benötigt, rechnete Seibert vor.

Für den Jahreskonsum an fränkischem Bauernbrot zum Beispiel werden pro Kopf 30 Quadratmeter Getreide-Anbaufläche bewirtschaftet. "Wir müssen uns um den Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen kümmern, wenn wir uns weiter Regionalprodukte auf unserem Speiseplan wünschen", schlussfolgerte Seibert.

Durch ein neu entwickeltes Flächenmonitoring-Tool sollen deshalb Flächennutzungsänderungen, die vielen Bürgermeistern und Gemeinderäten oft gar nicht im Detail bekannt sind, transparenter werden.

Um Regionalprodukte voranzubringen, müssten die Menschen aber auch bereit sein, mehr Geld für ihre Lebensmittel auszugeben – auch wenn es wohl nicht gleich so extrem sein muss wie im 19. Jahrhundert. "Damals haben die Menschen mehr als 50 Prozent ihres Einkommens in Lebensmittel investiert. Und die kamen praktisch alle aus der Region. Heute geben wir 14 Prozent aus und wissen oft gar nicht, wo die Produkte herkommen", sagte Tobias Chilla, Professor am Institut für Geografie der Universität Erlangen-Nürnberg. Für die Metropolregion untersucht er die ökonomische Relevanz und Wertschöpfung von ausgewählten Regionalprodukten.

Viele Importe aus Osteuropa

"Was man erhalten will, muss man auch nutzen, also auch konsumieren", betonte er. Während sich Bier und Spargel aus der Region zuletzt positiv entwickelt hätten (Bier hat ohnehin die Abstand größte ökonomische Relevanz), sei die Tendenz etwa bei der Süßkirsche negativ. Dort, aber auch beim Meerrettich und beim Fleisch für Bratwürste gebe es viele Importe aus Osteuropa, die es den Regionalprodukten schwermachten.

Die Kehrtwende geschafft werden soll in der Region nicht nur mit dem Flächenmonitoring-Tool, sondern auch mit einem neuen Flächen-Leitbild der Metropolregion, zu dem sich die Mitgliedskommunen verpflichten können. Pilotprojekte wie eine neue Dachmarke "Streuobst aus der Metropolregion" sollen Regionalprodukte stärken, landwirtschaftliche Vorbehaltsflächen in Regionalplänen und Flächennutzungsplänen die Agrarflächen sichern.

"Einen gewaltigen Schub und auch einen Lerneffekt würden wir bekommen, wenn wir in die Gemeinschaftsverpflegungen in Kantinen, Mensen, Schulen und Kitas hineinkommen würden", betonte Seibert.

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