Als Folge des Lockdowns: Deutlich mehr junge Patienten in psychiatrischer Behandlung

12.2.2021, 13:08 Uhr
Die Einschränkungen in der Corona-Krise machen immer öfter Kindern und Jugendlichen psychisch zu schaffen. 

© Nicolas Armer, dpa Die Einschränkungen in der Corona-Krise machen immer öfter Kindern und Jugendlichen psychisch zu schaffen. 

Im ersten Lockdown im Frühjahr sind deutlich weniger Kinder und Jugendliche in Bayern in einem Krankenhaus behandelt worden als üblich – stationäre Einweisungen wegen Depressionen und Angststörungen hingegen nahmen zu. Dies ergab eine repräsentative Auswertung der Daten der Krankenkasse DAK Bayern.

Danach sank die Zahl der Klinikbehandlungen im März und April 2020 um 45 Prozent, die Zahl der Operationen von Kindern und Jugendlichen um 49 Prozent.

Weniger Infektionen

"Als nachvollziehbar und logische Konsequenz der Kontaktbeschränkungen kann der Rückgang der Behandlungen wegen Infektionskrankheiten und Verletzungen angesehen werden", erläuterte die Leiterin der DAK-Landesvertretung Bayern, Sophie Schwab.

Besonders deutlich fiel der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr bei Darminfektionen (minus 62 Prozent), Lungenentzündung/Bronchitis (minus 52/43 Prozent) und Alkoholmissbrauch (minus 43 Prozent) aus. Auch Verletzungen durch Herumtoben oder Sport nahmen ab, bei Kopfverletzungen etwa gab es einen Rückgang um 36 Prozent.

Belastungsstörungen fast verdoppelt

Dagegen nahmen stationäre Behandlungen wegen Depressionen um sechs Prozent und wegen Belastungsstörungen gar um 44 Prozent zu. Die Belastungen durch die Corona-Pandemie wirkten sich negativ aus, erläuterte Sophie Schwab. "Die Analyse des ersten Lockdowns lässt befürchten, dass die Pandemiefolgen für unsere Kinder insgesamt wesentlich gravierender sein werden."

Auch viele Eltern berichten davon, wie schwer es ist, die eigenen Kinder zu motivieren, mit ihren gewachsenen Aggressionen umzugehen. Erst am Vortag hatte eine Studie des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf publik gemacht, dass ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie fast jedes dritte Kind in Deutschland psychische Auffälligkeiten zeigt.

Es trifft die Schwächsten

Demnach haben Sorgen und Ängste noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten. Erneut sind davon vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen.

Für die DAK- Studie wurden die anonymisierten Krankenhausdaten von mehr als 102 000 Versicherten aus Bayern im Alter bis 17 Jahre aus den ersten Halbjahren 2019 und 2020 ausgewertet. Damit sind die Daten von rund fünf Prozent aller Kinder und Jugendliche im Freistaat berücksichtigt worden.

Doppelt so viele Patienten

Auch das Klinikum Nürnberg behandelt immer mehr Jugendliche und Kinder, die an Essstörungen und Depressionen leiden. Vor allem Mädchen, die an Anorexie – also an Magersucht – erkrankt sind, kommen in die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter.

"Auf der psychosomatischen Station haben wir momentan sogar etwa doppelt so viele Patientinnen und Patienten mit Anorexie wie sonst", sagt Dr. Patrick Nonell, Chefarzt der Kinderpsychiatrie.

Zu wenige Kontakte

Seiner Meinung nach hängen der Anstieg der Patientenzahlen und die Corona-Maßnahmen zusammen. Ein großes Problem seien die Kontaktbeschränkungen. Um soziale Fähigkeiten zu erlernen – wie zum Beispiel, sich durchzusetzen oder seinen Standpunkt zu vertreten –, muss man diese mit anderen einüben. Doch genau das fällt gerade weg", erklärt Dr. Nonell.

Englische Studie

Im Dezember 2020 wurden die Ergebnisse einer Langzeitstudie aus England veröffentlicht. Anhand von drei Fragebögen wurden Mütter und Väter gefragt, wie sie die mentale Gesundheit ihrer Kinder beurteilen, diese waren zum Befragungs-Zeitpunkt zwischen 7,6 und 11,6 Jahre alt. Insgesamt 168 Eltern haben die Fragebögen vor und während des Lockdowns im vergangenen Frühjahr ausgefüllt. Die Eltern gaben eine häufigere depressive Verstimmung ihrer Kinder an.

Die Antworten waren etwa "Mein Kind hat das Gefühl, dass es sich nicht bewegen möchte", "Mein Kind ist traurig oder leer" und "Nichts macht meinem Kind mehr viel Spaß".

Zwei Drittel betroffen

Das Team um Duncan Astle von der Universität Cambridge kommt trotz aller Einschränkungen – so haben nur etwa ein Drittel der Eltern die Fragebögen ausgefüllt – zu der Annahme, dass bei etwa 70 Prozent der Kinder die depressiven Symptome während des Lockdowns zugenommen haben.

Doch wann wird aus einer Verstimmung ein behandlungsbedürftiges Problem? "Wenn Kinder und Jugendliche ihren Tagesablauf nicht mehr hinbekommen und zum Beispiel über einen längeren Zeitraum nicht mehr beim Homeschooling mitmachen, sollte man hellhörig werden", sagt Dr. Patrick Nonell.

Der erste Ansprechpartner sei der Kinderarzt, auch ein niedergelassener Kinder- und Jugendpsychiater könne helfen. Oder man wendet sich an die Ambulanz der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie (Telefon 09 11/3 98-28 00, rund um die Uhr erreichbar). Trotz Pandemie arbeitet die Klinik in vollem Umfang.

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