Sie lotst Opfer in ganz dunklen Stunden

30.10.2020, 13:00 Uhr
Elly Albaner hilft Opfern in Ansbach und Umgebung.

© Roland Fengler, NNZ Elly Albaner hilft Opfern in Ansbach und Umgebung.

Elly Albaner hat es selbst erlebt. Diese Hilflosigkeit, das Gefühl, allein gelassen zu werden. Auch sie ist ein Opfer. Angefangen hat alles mit einer Immobilie. Albaner und ihr Mann wollen für sich und ihre Familie ein Haus kaufen. Doch sie merken bald, dass die Makler sie falsch beraten haben. Bewusst, ist die Familie überzeugt. Vieles wird ihnen versprochen, wenig gehalten.

16 Jahre lang vor Gericht

Das Ergebnis ist eine Odyssee vor Gericht. Die Albaners klagen wegen Betrugs, nehmen sich einen Anwalt. Und noch einen und noch einen. Nur um immer wieder festzustellen, dass die Juristen sich kaum für die Sache, aber noch weniger für sie, die Betroffenen, interessieren. 16 Jahre dauert der Prozess.

Mindestens so schlimm sind das Stalking und das Mobbing, das die Mitarbeiter der Immobilienfirma betreiben. "Sie haben uns verfolgt und im Dorf Stimmung gegen uns gemacht", erinnern sich Elly Albaner und Tochter Liliane an diese Zeit. Doch sie haben sie überstanden, gemeinsam.

Hilfe bei Cyberkriminalität

Die Zeit hat Spuren hinterlassen. Und Elly Albaners Neugierde geweckt. Einige Zeit hat sie am Landgericht in Ansbach als Bürokraft gearbeitet. Oft hat sie dabei festgestellt, dass Urteile zwar Täter bestrafen - die Opfer aber müssen allein zurechtkommen.

Deshalb geht Elly Albaner zum Weißen Ring. Der bundesweite Verein hilft in Ansbach schon seit 40 Jahren Menschen, die Opfer von Einbrüchen, Missbrauch oder häuslicher Gewalt, inzwischen aber auch von Cyberkriminalität werden. Seit über 20 Jahren haben diese Menschen Elly Albaner in der Leitung, die 2010 Stellvertreterin wird und die Ansbacher Außenstelle seit zwei Jahren leitet.


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Die engagierte Rentnerin scheint nichts aus der Ruhe zu bringen, selbst die schlimmen Geschichten nicht, die sie in ihrem Ehrenamt erlebt. Schon am Telefon beginnt sie mit ihrer wichtigsten Aufgabe: zuhören.

Sie lässt die Menschen erzählen, "manchmal dauert es nur wenige Minuten, manchmal bis zu zwei Stunden". Am Ende, weiß sie, atmen viele auf. Oft handelt es sich um Probleme, die ihre Gesprächspartner lange mit sich herumtragen. Der Partner, der sie schlägt, beispielsweise. Frauen und Männer, die als Kinder missbraucht wurden, "manche schaffen es erst Jahrzehnte später, sich zu öffnen", sagt Albaner.

Treffen innerhalb von 24 Stunden

Sie, ihre Tochter, die inzwischen ihre Stellvertreterin ist, und die anderen acht Mitarbeiterinnen haben früher 20 bis 30 Fälle im Jahr gehabt. Heuer werden es fast Hundert sein. Zur Betreuung gehört oft mehr als ein Telefonat. Die Helferinnen vom Weißen Ring treffen sich mit den Betroffenen, "am besten innerhalb von 24 Stunden". Manchmal daheim, in Fällen häuslicher Gewalt häufig in Cafés.

Sie kommen immer zu zweit. Elly und Liliane Albaner sind ein Team. Zu heikel können die Situationen werden, weiß die Tochter. "Ich saß bei einer Frau, die von ihrem Partner geschlagen wurde, dann ist er in die Wohnung gekommen." Die Betroffene stellt Albaner damals als Mitarbeiterin der Polizei vor, da "ist er über den Balkon verschwunden".

Original: Rat und Hilfe des Weißen Rings nehmen meist Frauen in Anspruch. Oft wurden sie Opfer häuslicher Gewalt.

Original: Rat und Hilfe des Weißen Rings nehmen meist Frauen in Anspruch. Oft wurden sie Opfer häuslicher Gewalt. © Foto: Shutterstock.com

Der Besuch im Team ist Selbstschutz, auch auf emotionaler Ebene. Auf der Heimfahrt besprechen sie, was sie erleben. Das ist besonders wichtig, etwa als sie kurz zuvor eine Mutter besucht haben, deren zwölf Jahre alte Tochter sich umgebracht hat.

Eine Situation, mit der nicht nur Betroffene, sondern auch Verwandte und Freunde oft überfordert sind. Dann sind die Helfer vom Weißen Ring da. Das langt häufig schon, weiß Albaner, "viele sagen uns danach, wie gut ihnen das geholfen hat".

Neue Perspektive aufzeigen

Manchmal gelingt es, eine Perspektive aufzuzeigen. "Bei einer Frau sind wir im Gespräch darauf gekommen, dass sie früher viel gemalt hat. Am Ende hat sie beschlossen, damit wieder anzufangen." Dafür ist Fingerspitzengefühl gefragt. Außerdem müssen die Mitarbeiter weltoffen sein. "Wir hören allen zu", sagt Elly Albaner. Nicht hinter jeder Geschichte steckt eine schwere Straftat. Aber doch das beklemmende Gefühl eines Menschen, weil ihm keiner glaubt. Wie die Frau, die davon überzeugt war, dass bei ihr eingebrochen wurde. Die Polizei aber fand keine Hinweise. Der Weiße Ring? Hörte zu. "Wir halten niemanden für verrückt."

Eine professionelle therapeutische Beratung ersetzen die Mitglieder des Weißen Rings allerdings nicht. Ihre Aufgabe ist es, bei Bedarf zu vermitteln, zu Selbsthilfegruppen oder Psychologen. "Wir sind Lotsen", sagt Liliane Albaner.

96.000 Euro für Opfer in Nordbayern

Außerdem unterstützt der Weiße Ring finanziell. Im ersten Halbjahr 2020 hat allein der Landesverband Bayern-Nord Hilfsleistungen für Opfer in Höhe von 96.000 Euro bewilligt. Das reicht von den Beerdigungskosten für ein Mordopfer bis zur vorübergehenden Ferienwohnung für eine Mutter mit zwei Kindern, deren Mann sie geschlagen hat. Doch nur, wer den Weißen Ring kennt, kann anrufen. Deshalb ziert Albaners Auto ein großes Logo, deshalb legen sie Infoblätter aus, sind auf Veranstaltungen, in Schulen und sogar Kindergärten unterwegs. "Alle sollen wissen, dass es bei uns Hilfe gibt."

Die finanziert der Weiße Ring über Spenden, "oft sind es Erbschaften", weiß Albaner. Aber auch über Mitglieder. 35 Euro kostet eine Mitgliedschaft im Jahr. Noch mehr als finanzielle Unterstützer sucht Elly Albaner Helfer, junge Leute, die sich beim Weißen Ring engagieren. Sie verspricht: "Wir finden für jeden die passende Aufgabe."

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