Auto als "letzter Retter" und Ausdruck des Lebensgefühls

22.10.2011, 00:00 Uhr
Auto als

© Roland Fengler

Nur zur Schulzeit zwei oder – auf Antrag und Nachweis des Stundenplans – dreimal am Tag fährt ein Schulbus.

Dieses Problem hat auch Charlotte Denis: Die 21-jährige, die mit ihrem Freund Thomas in Heuchling bei den Eltern wohnt, ist Auszubildende zur Operationstechnischen Assistentin an der Hallerwiese in Nürnberg und der Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe in Erlangen. Um täglich dorthin zu gelangen, muss sie eine Wegstrecke von je einer Stunde per Auto zurücklegen. Unangenehm kann dies im Schichtdienst werden, wenn sie manchmal schon um 4.30 Uhr – oder im Winter noch früher – aufstehen muss. Besonders zu den Hauptverkehrszeiten bedeutet dies manchmal zusätzliche nervige und kostbare Minuten und damit Stress. „Bei einem Schneesturm habe ich einmal zweieinhalb Stunden von Nürnberg nach Hause gebraucht“, erzählt Denis.

Dabei fährt sie nicht nur sich selbst herum, sondern auch ihren studierenden Freund, wenn möglich. Andernfalls ist er gezwungen, eine halbe Stunde zum nächsten Bahnhof zu laufen, was bei Kälte oder Dunkelheit durch den Wald auch kein reines Vergnügen sein muss. Denn da sie schon zur Schulzeit wusste, wie es ist, in der Mobilität eingeschränkt zu sein, hat sie, seit sie ein Auto besitzt, oft ihre Mitbürger gratis mitfahren lassen. „Man hat mir beigebracht, anderen bei so was zu helfen.“, meint die Auszubildende.

Immerhin hat sich ihre Lage seitdem verbessert, da sie nun ein für sie wichtiges Gut besitzt: „Unabhängigkeit hat für mich Vorrang“, so Denis. Jetzt braucht sie immerhin weder Eltern noch öffentliche Verkehrsmittel zum Herumkutschieren. Sie empfand es immer als unangenehm, von anderen gefahren werden zu müssen. Für dieses oberste Ziel der Unabhängigkeit verzichtet sie also leichten Herzens auf Alkohol am Wochenende und fährt sich und andere nach Hause. Auch den hohen Benzinverbrauch von rund 270 Euro im Monat für etwa 800 Kilometer pro Woche akzeptiert sie und nimmt es hin, dass ihr Gebrauchtwagen seit Januar dieses Jahres schon um 20000 Kilometer mehr auf dem Tacho hat. Immerhin bildet sie mit ihrer Mutter bei gleichen Schichtzeiten eine Fahrgemeinschaft, da jedes Familienmitglied ein eigenes Fahrzeug braucht.

Wäre angesichts des Spritverbrauchs und der stetig steigenden Benzinpreise nicht eine kleine eigene Wohnung in Nürnberg billiger? Nein, so Denis, denn die kann sie sich nicht so leicht leisten, zumal dann wieder Benzinkosten dazukämen, um den liebgewonnen Reitstall abseits von Ottensoos zwei bis dreimal die Woche zu besuchen. Von Heuchling aus sei der Stall recht schnell zu erreichen. Hätte sie das Geld, würde sie schon aus dem Elternhaus ausziehen. Die finanzielle Lage schränkt diese Mobilität aber ein: „Also ist das im Moment der bestmögliche Zustand“, folgert die junge Frau.

Charlotte Denis hat noch die Hoffnung, dass sich die Umstände bessern, wenn ihr Freund bald seinen Bachelorabschluss hat und einen Job findet. „Vielleicht haben wir dann genug Geld, um zusammen eine zentral gelegene Wohnung zu mieten“, spekuliert sie. Weil sie aber viel lieber in ländlicher Umgebung lebt – die Vorzüge, die Dörfer wie Heuchling besitzen, weiß sie zu schätzen – möchte die Auszubildende später wieder zurück aufs Land.

Sie hofft, dass sie bis dahin dann eine bessere öffentliche Verkehrsanbindung vorfindet, die ihr helfen würde: „Wenn hier mehr Busse fahren würden, würde ich die ja auch mit nutzen.“, meint Denis mit einem Blick in die stille Natur ohne viel Autoverkehr und offenbart damit zugleich das Paradoxon der modernen, aber romantischen Kultur. Sie zeigt, wie schwer und mit welchen Kosten es verbunden ist, die Diskrepanz zwischen ländlicher Idylle und unabhängiger Mobilität zu überbrücken.

Auch die Bahn ist für sie dabei keine Alternative: Zwar könnte die Auszubildende per Auto zum Bahnhof und von dort aus „öffentlich“ weiterfahren, aber da sei die Fahrzeit eher noch länger. Wegen der Zugabfahrtszeiten müsste sie gar noch früher aufstehen und Verspätungen oder Ausfälle seien auf der langen Strecke doch zu störend. Keinesfalls will sie sich davon einschränken lassen.

Ihre Mobilität drückt sich durch die Freiheit aus, selbst zu entscheiden, wann und wo sie sein will. Das Auto, das dabei viel Benzin schluckt und jede Menge Abgase produziert, ist das Mittel zur Verwirklichung ihres Traums von Mobilität, aus einem sonst fast vom Rest der Welt abgeschnittenem, wenn auch noch so schönen Dorf.

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