Mit ausreichend Schutzmaßnahmen

Einsamer Corona-Tod: Bestatter bricht Gesetz für letzten Abschied - Moral überwiegt

23.1.2022, 16:29 Uhr
Im Saal seines Instituts hält der Bestatter Felix Neuner regelmäßig Trauerfeiern ab.

© Nina Eichenmüller, ARC Im Saal seines Instituts hält der Bestatter Felix Neuner regelmäßig Trauerfeiern ab.

"Per aspera ad astra", durch das Raue zu den Sternen, steht in Großbuchstaben über der Eingangstür des Bestattungsinstituts Friede in Bamberg. In weißem Hemd, mit hochgegelten Haaren und einer FFP2-Maske über Mund und Nase öffnet Felix Neuner, der Geschäftsführer, die Tür. Der 36-Jährige leitet seit einigen Jahren den kleinen Familienbetrieb im Paradiesweg und hat sich seinem Beruf als Bestatter gänzlich hingegeben.

Auf dem Weg in sein Büro erzählt Neuner: "Gestern hatten wir erst wieder eine Abholung, bei der die Mutter positiv getestet wurde und dann verstorben ist." Seine Arbeit hat sich in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der Corona-Pandemie vor allem im Umgang mit den Angehörigen stark verändert – das ist für ihn das Schwierigste. "Es war bei ihr zu Hause und sie ist an einem natürlichen Tod gestorben, trotzdem hatten wir dann natürlich einen Ganzkörperanzug an, eine Maske mit Aktivkohlefilter, Handschuhe, Ärmelschoner. Das wirkt auf die Angehörigen befremdlich und schafft eine Distanz zwischen ihnen und uns – in einer Situation in der man als Bestatter eher Vertrauen schaffen will."

Corona-Warnhinweis auf einem Sarg.

Corona-Warnhinweis auf einem Sarg. © Nina Eichenmüller, ARC

Für infizierte Leichen gelten strenge Schutzmaßnahmen

Die Verstorbenen, die sich mit Corona infiziert hatten, müssen von Neuner und seinem Team in Bergehüllen gelegt und dicht verschlossen werden. Im Bestattungsinstitut werden sowohl der Leichnam als auch alle Kontaktgegenstände entsprechend desinfiziert. Die Kleidung, die die Bestatter dabei tragen müssen, besteht laut Verordnung in Bayern aus einem Schutzanzug, Handschuhen, einer Schutzbrille und FFP2-Maske. "Wir haben bei uns zudem entsprechende Lüftungsanlagen verbaut und entsorgen unsere Schutzkleidung im Anschluss in gesonderten Müllbehältern. Es hat sich allerdings nicht allzu viel verändert, da wir schon vor der Pandemie ein hohes Hygienelevel hatten", erklärt er. Ist der Sarg einmal verschlossen muss er laut Bayerischer Bestattungsverordnung als infektiös gekennzeichnet werden und darf nicht mehr geöffnet werden – eigentlich.

Neuner sitzt in seinem Büro, hinter ihm stehen Terrarien, die mit Pflanzen gefüllt sind und an einen Miniaturwald erinnern. Während des Gesprächs klingelt immer wieder das Telefon. Mit zwei Worten reagiert er auf den Anrufer: "Mein Beileid". Wieder ist jemand verstorben und Neuner erledigt für die Angehörigen das, was für einen würdevollen Abschied notwendig ist. Doch durch Corona wurde gerade dieser würdevolle Abschied beinahe unmöglich gemacht.

"Den Tod zu begreifen, ist ganz wichtig. Das Thema Abschiednehmen ist ein Prozess mit verschiedenen Stationen. Klar, reicht es manchen Menschen sich am Grab zu verabschieden. Es gibt aber genug Leute, die es brauchen, nochmal etwas mit in den Sarg zu legen oder über die Hand zu streichen – und das muss man meiner Ansicht nach als Bestatter ermöglichen", so der 36-Jährige. Er hat sich dafür entschieden, in gewissen Fällen, den persönlichen Abschied auch von infizierten Verstorbenen zu ermöglichen. Damit begibt er sich nach eigener Aussage in eine rechtliche Zwickmühle: Doch für ihn überwiegt seine Moral.

Angehörige sind dankbar für diese Möglichkeit

Er führt durch die Räumlichkeiten seines Instituts, vorbei am Ausstellungsraum mit Urnen und Särgen, die es mal in hellem, mal in dunklem Holz oder mit Verzierungen gibt. Durch einen kleinen Saal, in dem Trauerfeiern abgehalten werden, führt der Weg hin zu einem kühlen, gefliesten Raum, in dessen Mitte ein Sarg aus hellem Holz steht. Auf dem Deckel klebt ein Zettel mit roter Schrift: "Warnhinweis: Infektiös. Risikogruppe 3 gem. BioStoffV." In diesem Sarg liegt ein Mensch. Ein Mensch, der sich mit Corona infiziert hatte und zu Hause gestorben ist. Ein Mensch, um den Familie und Freunde trauern.

Neuner versichert: "Hier kann absolut nichts passieren, der Sarg ist verschlossen und die Lüftungsanlage", er deutet nach oben, "läuft die ganze Zeit". Befremdlich ist diese Situation trotzdem. Wie muss sie dann wohl erst auf jemanden wirken, der zusätzlich in mehrere Lagen Schutzkleidung gehüllt ist und dessen Liebster in diesem Sarg liegt?

"Die Erfahrung zeigt mir, was die Menschen brauchen und ob es notwendig ist, einen persönlichen Abschied nochmal zu ermöglichen oder ob auch andere Wege reichen würden. Ich kläre die Angehörigen aber immer vorher darüber auf, dass es rechtlich eigentlich nicht zulässig ist. Sobald ich dann aber ausgesprochen habe, dass es unter gewissen Schutzmaßnahmen möglich ist, die verstorbene Person nochmal zu sehen, merkt man, wie die Last von den Menschen abfällt. Da ist so ein tiefes, innerliches Ausschnaufen" erzählt der Bestatter. Wichtig ist ihm dabei, dass er immer nach Vernunft handelt und kein erhöhtes Risiko eingeht.

Letzter Abschied wichtiger als Gesetze

Nach Empfehlung des Robert-Koch-Instituts ist sogar "eine berührungslose Abschiednahme am offenen Sarg mit entsprechendem Abstand möglich", doch die Bayerische Regierung handhabt das strenger. Auch Neuner hat sich viel mit dem Virus und den medizinischen Aspekten beschäftigt und sagt: "Aus medizinischer Sicht wäre es durchaus möglich, einen Verstorbenen nochmal zu sehen. Natürlich nur unter gewissen Voraussetzungen. Ich mache es so, dass ich die Angehörigen erstmal gut zu den Übertragungswegen aufkläre. Wir stellen dann Schutzkleidung für die Angehörigen, also dasselbe, das auch wir tragen und dann kann ich sie nochmal zu dem Verstorbenen lassen."

Wenn man ihn fragt, warum er sich für diesen Weg entschieden hat, ist seine Antwort eindeutig: "Ich halte es einfach für das höherwertigere Gut, dass Menschen Abschied nehmen können." Eine Handvoll solcher Momente gab es und bei jedem ist er froh, dass er das nochmal ermöglichen konnte.

Neuner steht vollkommen hinter seiner Arbeit und überschreitet für seine Kunden sogar Gesetze: "Es gibt für den Bestatter eine gesetzliche Grenze und eine beruflich-ethische Grenze – und letztere geht ein Stück weiter."

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