Von den Nazis vernichtet

"Hatte Tränen in den Augen": Wissenschaftler bilden Bamberger Synagoge nach

24.10.2021, 06:00 Uhr
Das Bild zeigt die virtuell rekonstuierte Front der einstigen Synagoge mit dem 37 Meter hohen Turm.

© TU Darmstadt, NN Das Bild zeigt die virtuell rekonstuierte Front der einstigen Synagoge mit dem 37 Meter hohen Turm.

Ein wuchtiger, stadtbildprägender Bau war die 1910 errichtete Synagoge in der Bamberger Herzog-Max-Straße. Am 9./10. November 1938 brannten die Nationalsozialisten sie nieder. Willy Lessing, seinerzeit Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bamberg, versuchte, die Thorarollen zu retten – und wurde dabei getötet. Im folgenden Jahr ließen sie Nazis die Ruine des jüdischen Gotteshauses abreißen – bezahlen musste das die jüdische Gemeinde.

Heute erinnern eine Gedenktafel und ein Gedenkstein an die einstige Synagoge und ihre Zerstörung. An dem Standort befindet sich heute das Amtsgericht. 2005 weihte die Israelitische Kultusgemeinde ihre jetzige Synagoge in der Willy-Lessing-Straße ein – ein eher nüchterner Bau in zweiter Reihe.

Über 20 Gotteshäuser rekonstruiert

Seit 1994 rekonstruiert Doktor Marc Grellert vom Fachgebiet Digitales Gestalten der Technischen Universität Darmstadt zerstörte Synagogen. Auf die Idee habe ihn ein rechtsextremistischer Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge im Jahr 1994 gebracht, sagt er. Seitdem hat Grellert mit seinem Team schon über 20 einstige jüdische Gotteshäuser in ganz Deutschland rekonstruiert. Der technische Fortschritt erlaubt immer authentischere, detailreichere Rekonstruktionen.

Die Wissenschaftler fertigen hochauflösende Bilder, Videos und 3D-Präsentationen der Außen- und Innenbereiche der einstigen Bauten an. Als Quellen ziehen sie unter anderem alte Baupläne, Fotografien und, soweit noch verfügbar, Zeitzeugen heran. "Auch Fotografien der zerstörten Synagogen sind uns eine große Hilfe", sagt Marc Grellert.

Wenn er seine Bilder an die Wand wirft, bekommt man einen Eindruck davon, wieviel Pracht und kulturelles Erbe Deutschland verloren gegangen ist. Doch es waren nicht nur die Nazis, sagt Grellert: "Bundesweit wurden etwa 360 Synagogen nach 1945 abgerissen."

In Kooperation mit der Uni Bamberg hat der Wissenschaftler nun auch die dortige, 1938 zerstörte Synagoge nachgebildet. Die detailreichen, farbigen Bilder ermöglichen einen virtuellen Rundgang um das stolze Jugendstilgebäude mit seinem 37 Meter hohen Turm. Die Innenaufnahmen zeigen einen prächtigen, lichtdurchfluteten Gebetssaal mit Sängerempore. "Natürlich sind die Farben immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit", sagt Grellert.

Erste positive Rückmeldungen

Auch ein virtueller Rundgang mit 3D-Brille durch Bambergs einstige Synagoge ist möglich. Bei der Präsentation der Rekonstruktion müssen die Besucher aber darauf verzichten – es sind einfach zu viele gekommen. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg, Martin Arieh Rudolph, hat den dreidimensionalen Rundgang bereits gemacht und sagt: "Es ist beeindruckend. Ich dachte mir: Wenn wir das noch hätten! Ich hatte Tränen in den Augen."

Im Jahr 2002 entwarfen Marc Grellert und seine Mitarbeiter bereits eine Rekonstruktion der einstigen Nürnberger Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz, die die Nazis im Sommer 1938 zerstörten. Inzwischen arbeiten die Forscher an einer neuen, detailreicheren digitalen Nachbildung des einstigen jüdischen Gotteshauses im Herzen von Nürnberg.

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