Bauernproteste: Jetzt sind die "Jungen Wilden" am Zug

11.2.2020, 06:00 Uhr
Bauernproteste: Jetzt sind die

© Foto: Stefan Hippel

Robert Habeck muss sich bei seiner jüngsten Wahlkampftour durch Bayern ein wenig vorgekommen sein wie beim Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel. Dinkelsbühl, Aschaffenburg, Nördlingen, Leipheim – bei mehreren Stationen waren sie beim Eintreffen des Bundesvorsitzenden der Grünen schon da, protestierende Landwirte, die mit ihren Traktoren zu Habecks Auftritten gerollt waren und mit ihm über dessen agrarpolitische Vorstellungen diskutierten.


Bauernproteste: Manche Probleme sind hausgemacht 


Auch bei einigen anderen Terminen von Landes- und Bundespolitikern in den vergangenen Wochen war die bayerische Landesgruppe von LSV mit zahlreichen Mitgliedern vertreten. An die 500 Bauern waren zum Beispiel vor Kurzem zur Schlepper-Demo nach Velburg im Landkreis Neumarkt gekommen.

Bei Horst Seehofers Besuch des Neujahrsempfangs der örtlichen CSU, protestierten sie gegen aktuelle Planungen der Politik wie die Düngeverordnung, und angesichts der weiteren zeitgleichen LSV-Aktionen kann man nur staunen, was für eine Schlagkraft diese neue Bewegung innerhalb weniger Monate entwickelt hat.

"Wenn mir das einer Anfang Oktober erzählt hätte, hätte ich gesagt: ,Niemals!", sagt Andreas Forster, 2. Vorsitzender des LSV-OrgaTeams Bayern. In jenen Tagen schlug die Geburtsstunde dieser bundesweiten Initiative, die laut ihrer Aktiven verbandunabhängig und politisch neutral ist. "Um uns in Bayern zu organisieren, haben wir damals eine erste WhatsApp-Gruppe gegründet. Und die war nach eineinhalb Stunden schon voll", erinnert sich Forster, der im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen einen Vollerwerbsbetrieb mit Schweinehaltung und Ackerbau betreibt.

Maximal 257 Mitglieder pro Gruppe

Die Größe einer WhatsApp-Gruppe ist nämlich auf 257 Personen begrenzt, und so schlossen sich die Mitglieder in immer kleinteiligeren Gruppen zusammen. "Da war selbst auf Landkreisebene schnell die Obergrenze erreicht, und so haben wir nun unter anderem eine Gruppe Würzburg Nord und eine Gruppe Würzburg Süd", berichtet Claus Hochrein, einer der Ansprechpartner von "Land schafft Verbindung" im Raum Unterfranken.


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Alles in allem sind allein im Freistaat zwischen 20.000 und 30.000 Landwirte auf diese Weise vernetzt. Eine genaue Schätzung ist laut Bayerns LSV-Pressesprecher Andreas Bertele schwierig, weil unter anderem viele Aktive Mitglieder in mehreren Gruppen sind und die Organisation über keine Mitgliederlisten verfügt.

Vieles ist noch im Aufbau bei LSV. Auf Bundesebene wird gerade ein Verein gegründet, auf Bayernebene wird alles durch einen Beirat mit Vorständen der Regierungsbezirke geregelt.

 

 

 

An der Spitze der neuen Protestbewegung gab es allerdings schon einen ersten Machtkampf. Die niedersächsische Landwirtin Maike Schulz-Broers, die vor etwa vier Monaten auf Facebook den Stein ins Rollen brachte, hat sich mit einigen ihrer Mitstreiter überworfen und konzentriert sich nun auf ihre Facebook-Seite "Land schafft Verbindung", die seit Kurzem den Zusatz "Das Original" trägt.

 

Schulz-Broers war unter anderem vorgeworfen worden, eigene Interessen über das Allgemeinwohl zu stellen. Zudem soll sie ihren Kollegen im LSV-Vorstand Informationen vorenthalten haben, etwa über Gespräche mit dem Deutschen Bauernverband (DBV), bei dem angeblich gemeinsame Positionen festgeklopft werden sollten.

 

Angst vor der Düngeverordnung

Freilich ist die Schnittmenge von LSV mit etablierten Organisationen wie dem DBV oder dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) von Anfang an sehr groß. "Die größte Gemeinsamkeit, die wir mit allen landwirtschaftlichen Vereinen und Verbänden haben, ist der unbedingte Wille, eine zukunftsfähige vielseitige Landwirtschaft in Deutschland zu erhalten", erklärt Andreas Bertele.

Bei dem derzeitigen Höfesterben werde es in 20 Jahren weniger als die Hälfte der derzeit 260.000 Betriebe geben. Die neue Düngeverordnung werde diese Entwicklung zusätzlich beschleunigen.


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LSV setzt sich deshalb unter anderem dafür ein, dass bei Nitrat-Messstellen zwischen landwirtschaftlichen und nicht-landwirtschaftlichen Verursachern unterschieden wird. Außerdem für eine Kennzeichnung von importierten Lebensmitteln, die nicht dem deutschen Standard entsprechen. Des Weiteren für weniger Bürokratie und dafür, dass die gesamte Gesellschaft die Kosten für Umwelt- und Tierschutz finanziell mehr als bisher mitträgt.

Und nicht zuletzt wünschen sich die Aktiven von LSV wieder mehr Wertschätzung für ihren Berufsstand. "Wir haben es satt, dass wir in diesem Land die Deppen, die Schuldigen für alles sind", bringt es Regine Lehmeier, LSV-Beiratsmitglied aus der Oberpfalz, auf den Punkt. Miteinander reden statt übereinander, heißt die Devise.

Blitzschnelle Aktionen

Was die neue Bewegung von den bisherigen Institutionen vor allem unterscheidet, ist der konsequente Einsatz neuer Medien wie eben WhatsApp, mit deren Hilfe die Aktiven blitzschnell für spontane Aktionen wie die Proteste unmittelbar vor dem jüngsten Lebensmittelgipfel in Berlin zusammengetrommelt werden können.

Die Dynamik von LSV war es denn auch, die Claus Hochrein zum Mitmachen bewegt hat. Bei den etablierten Verbänden fühlte sich der Landwirt und Winzer aus dem unterfränkischen Untereisenheim einfach nicht so gut aufgehoben. "Zu langsam, zu unbeweglich, zu steif", bilanziert Hochrein, der den Bauernverband dennoch für dringend notwendig für die politische Auseinandersetzung hält.

Günther Felßner, Vizepräsident des Bayerischen Bauernverbandes, hat wiederum große Sympathien für die neue Bewegung. "Wir freuen uns unglaublich, dass so ein starkes Signal von der Basis kommt", betont der BBV-Funktionär, der ebenfalls schon bei Aktionen von LSV mitgemacht hat. Etwa bei der großen Kundgebung im Januar in Nürnberg, als rund 2500 Traktoren auf dem Volksfestgelände vor der Kongresshalle standen.


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"Da bin ich aber nicht als Vertreter des Bauernverbands, sondern als der Günther Felßner aus Günthersbühl dabei", beteuert der mittelfränkische Landwirt, den vor allem der hohe Anteil von jungen Menschen beim LSV freut.

"Die Väter sitzen bei uns in den Versammlungen, die Söhne gehen auf die Straße, und beides stärkt unsere Position", fasst Felßner zusammen und zeigt sich zuversichtlich, dass die "Jungen Wilden" im Gegenzug von der Erfahrung der etablierten Verbände bei der politischen Arbeit profitieren können. "Wir ergänzen uns gut", sagt der BBV-Funktionär.

Bei den öffentlichkeitswirksamen Traktor-Kolonnen soll es auch nicht bleiben. "Wir denken schon weiter", versichert Andreas Forster. Man diskutiere inzwischen auch über Aktionen zur Verbraucheraufklärung oder über Hintergrundgespräche mit Politikern. Zwar könnte der aktuelle Schwung der Bewegung im Sommer etwas nachlassen, wenn es auf den Feldern wieder jede Menge zu tun gebe. Doch dass "Land schafft Verbindung" irgendwann wieder von der Bildfläche verschwindet, diese Sorge hat der mittelfränkische Landwirt nicht mehr. "Dafür sind wir inzwischen zu groß."

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