Bayerische Experten identifizieren Schreiber von Drohbriefen

11.12.2019, 16:32 Uhr
Bayerische Experten identifizieren Schreiber von Drohbriefen

© Foto: Andrey Popov/iStock.com

Die alte Dame hatte bei ihrem letzten Willen alles richtig gemacht. Unter anderem hatte sie den Text ihres Testaments handschriftlich verfasst und das Dokument selbst unterschrieben. Es war auch genau aufgelistet, welcher Angehörige was erbt, doch dann tauchten plötzlich Briefe auf, die angeblich von der Erblasserin stammten.

In denen stand, dass die vermögende Frau einem ihrer Liebhaber zum Dank für die schöne gemeinsame Zeit einige Kunstwerke schenke. Angesichts des enormen Werts dieser Exponate von insgesamt über einer Million Euro wurden die Hinterbliebenen misstrauisch und beauftragten das Institut für forensische Textanalyse, die Schreiben unter die Lupe zu nehmen.


Ist die Handschrift ein Relikt vergangener Zeit?


Keine übermäßig knifflige Aufgabe für Geschäftsführer Leo Martin und seine Kollegen. "Diese alte Dame hat sehr verschachtelt geschrieben. Der Großteil ihrer Sätze hatte zahlreiche Einschübe, die sich über viele Zeilen erstreckten", erzählt der Chef des deutschlandweit einmaligen Unternehmens. Die verdächtigen Briefe wiederum bestanden überwiegend aus kurzen prägnanten Sätzen mit Subjekt, Prädikat, Objekt.

Gutachten ist teuer

Zudem sei laut Martin ein ganz anderes Vokabular verwendet worden, und angesichts weiterer Unterschiede, etwa bei der Zeichensetzung und der Groß- und Kleinschreibung, sei man dem Fälscher schnell auf die Schliche gekommen.

Dennoch war es ein ungewöhnlicher Fall für die Münchner Experten, denn Privatleute wie etwa Stalking-Opfer oder die Adressaten von anonymen  Beleidigungen im Internet wenden sich selten an das Institut für forensische Textanalyse. Ein hieb- und stichfestes Gutachten, mit dem man Schriftstücke einem anonymen Urheber zuordnen kann, ist aufwendig und kostet oft einen fünfstelligen Betrag. Deshalb kommen die meisten Aufträge von Unternehmen, die Opfer von Erpressung, Spionage oder Verleumdung wurden.

Bei einem aktuellen Fall wurde zum Beispiel ein international operierender Konzern mit mehreren Hundert Millionen Euro Jahresumsatz Opfer einer Verleumdungskampagne. Das Unternehmen will neue Fachkräfte für die Forschung rekrutieren, doch eine unbekannte Person will mit Beiträgen auf verschiedenen Stellen-Plattformen den Ruf von Martins Auftraggebern schädigen. Mit Hilfe von Vergleichstexten möglicher Urheber versuchen die Sprachprofiler nun herauszufinden, ob ein Mitbewerber oder ein frustrierter Mitarbeiter hinter den versteckten Attacken steckt.

Bayerische Experten identifizieren Schreiber von Drohbriefen

© Foto: Institut für forensische Textanalyse

Auftraggeber wie dieser wünschen sich in aller Regel "stille" Ermittlungen ohne Staatsanwaltschaft, während die Sprachanalysten des Bundeskriminalamtes bei strafrechtlichen relevanten Fällen zum Einsatz kommen. Eines haben die Ermittlungsbehörden und das Münchner Institut jedoch gemeinsam: Nur wenige Menschen haben genügend Fachwissen, um als Sprachprofiler zu arbeiten.  

"Wir sind ein exklusiver Kreis"

"Wir sind ein ziemlich kleiner und exklusiver Kreis", sagt Leo Martin, der Kriminalwissenschaften studiert und unter anderem zehn Jahre lang für den deutschen Geheimdienst gearbeitet hat. Vor drei Jahren gründete der 43-Jährige, der zum Beispiel für den Verfassungsschutz das Kommunikationsverhalten von Menschen in Extremsituationen analysierte, besagtes Institut. Imzwischen arbeitet ein Netzwerk von Linguisten, Germanisten und Kommunikationwissenschaftlern für das Unternehmen, das in der Aufbauphase auch von wissenschaftlichen Pionieren in Sachen Sprachanalyse unterstützt wurde.

"Im Bereich der forensischen Linguistik wird erst seit 30, 40 Jahren geforscht. Es ist auch deshalb noch eine ziemlich unbekannte kriminalistische Disziplin, weil man dafür absolutes Experten-Wissen benötigt", erklärt Martin. Am Tatort einen Fingerabdruck abzunehmen und dann in eine Analyse-Software einzuspeisen, lerne man in 15 Minuten. Doch bis ein Sprachprofiler selbstständig Fälle bearbeiten könne, brauche es mindestens zwei Jahre.


Raten Sie mal: Welche Handschrift gehört zu welchem Autor?


Einer dieser Fachleute im Institut für forensische Textanalyse ist Patrick Rottler, der während seines Studiums der Kommunikationswissenschaften einen Schnuppertag dort verbrachte und sofort Feuer und Flamme war. "Sprache an sich hat mich schon immer fasziniert, denn sie ist ein hochgradig schöpferischer Prozess", sagt der 25-Jährige. Bei der Wahl jedes einzelnen Wortes, jeder Einleitung, jeder Zeitform, jedes Satzzeichens, müsse der Akteur Entscheidungen treffen.

Ein wesentlicher Aspekt des Sprachprofilings ist laut Rottler, dass wir unsere gesprochene Sprache, genau wie auch geschriebene Texte, zum größten Teil unbewusst bilden. Wir folgen dabei Mustern, die durch unser soziales und kulturelles Umfeld geprägt werden, und die tief in uns verankert sind.

Einige Täter wollen tarnen und täuschen

Deshalb ist es auch nahezu unmöglich, seinen sprachlichen Fingerabdruck zu fälschen. "Bei 99 Prozent aller Formulierungen können Sie keine Rückschlüsse auf Alter, Geschlecht und Bildungsgrad des Urhebers ziehen", erklärt Leo Martin. Bei dem restlichen einen Prozent aber eben schon – etwa wenn jemand in einer persönlichen Anrede das Wort "du" groß schreibt, so wie es vor der Rechtschreibreform verbindlich war. Dann lag der Spracherwerb des Autoren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit deutlich vor 1996.

 

 

Einige anonyme Schreiber versuchen nach Rottlers Erfahrung, durch gebrochenes Deutsch und bewusst eingebaute Fehler einen ausländischen Ursprung oder einen niedrigeren Bildungsgrad vorzutäuschen. Sie fallen aber in ihre unbewussten Sprachmuster zurück, wenn sie zum Beispiel Forderungen stellen. Denn dann wollen sie ja genau verstanden werden und formulieren präziser.

Mit Briefen aus aufgeklebten Zeitungsschnipseln bekommen es die Sprachprofiler übrigens nahezu nie zu tun. Das kommt nach Leo Martins Erfahrung tatsächlich fast nur in Fernsehkrimis vor.

 

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