Corona: Warum die "Zweite Welle" Quatsch ist

9.8.2020, 11:30 Uhr
Die Kapazitäten, um bei Verdacht zu testen, sollen weiter gesteigert werden.

© CHIP SOMODEVILLA, AFP Die Kapazitäten, um bei Verdacht zu testen, sollen weiter gesteigert werden.

Wellen kommen und gehen. Viele Menschen sitzen gerne am Meer und schauen dabei zu. Die Schaumkronen wandern aufs Ufer zu und rollen den Strand hinauf. Oder sie donnern gegen die Felsen.

Wellen können unterschiedliche Wucht haben. Bei den höchsten, vor Portugal und Hawaii, türmt sich das Wasser bis zu 30 Meter hoch und rast mit 80 Stundenkilometern aufs Festland zu. Tsunamis, Flutwellen, die durch ein Erdbeben oder einen Erdrutsch entstehen, können manchmal sogar bis zu hundert Meter und in ganz seltenen Fällen sogar Hunderte Meter hoch werden. Ab und zu folgt dabei tatsächlich eine zweite Welle auf die erste, die noch höher ist.


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Die Warnung vor einer sogenannten zweiten Welle der Corona-Pandemie klingt deshalb ziemlich bedrohlich. Als würden die Menschen gebannt aufs Meer starren und fürchten, was da kommen mag. Als würde sich am Horizont ein Sturm zusammenbrauen, der bald über sie hereinbricht. Aber Corona kommt nicht plötzlich zurück. Es war ja nie weg.

Michael Ryan, Direktor der WHO-Nothilfe.

Michael Ryan, Direktor der WHO-Nothilfe. © Fabrice Coffrini/KEYSTONE/dpa

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält die Wellen-Diskussion deshalb für verfrüht und überflüssig. "Wir können akademisch über eine zweite Welle streiten, aber das ist nicht die Diskussion, die wir brauchen", sagte Michael Ryan bei einer Pressekonferenz in Genf.

Der Direktor der WHO-Notfallprogramme stellt klar: "Wenn wir von Wellen sprechen, bedeutet das, dass die Anzahl der Infektionen von selbst auf ein sehr niedriges Level sinkt und dann erst einige Monate vergehen, bevor sie wieder steigt."

Im Winter kommt die Grippe-Welle

So ist das bei Influenza-Viren, die im Winter Grippe-Wellen auslösen, im Sommer aber mehrere Monate lang kaum zu Infektionen führen. Bei Corona sind die Ansteckungszahlen dagegen trotz steigender Temperaturen im Sommer in vielen Ländern weiter gewachsen.

Selbst sinkende Zahlen, wie etwa in Deutschland, sind allerdings kein eindeutiges Anzeichen für das Ende einer Welle. "Sie können jeden Moment wieder steigen", erklärt Michael Ryan. Es gehe weiterhin darum, das Virus zu unterdrücken, mit allen dafür nötigen Maßnahmen. "Sonst steuern wir auf einen weiteren Höhepunkt der ersten Welle zu." Ryan appelliert deshalb an die Regierungen weltweit, auch in Europa, ihre Gesundheitssysteme weiter vorzubereiten. Auch die Kapazitäten, um Fälle nachverfolgen zu können und bei Verdacht zu testen, sollten weiter gesteigert werden.

Neuseeland und Peking waren corona-frei

Neuseeland galt immerhin 24 Tage lang als virus-frei, bevor erneut Menschen erkrankt sind, und in der Millionen-Metropole Peking hatte es 50 Tage lang keinen Fall gegeben. Doch selbst hier sprechen die Epidemiologen nicht vom Ende einer ersten Welle.

Anders sieht das unter Mathematikern aus. Wer sich die Kurven der täglich gemeldeten Neuinfektionen anschaut, könnte mit Blick auf Deutschland, Italien und Großbritannien tatsächlich leichte Strand-Gefühle bekommen. Nach einem steilen Anstieg im März sind die Zahlen bis Juni gesunken. Seit Juli steigen sie wieder. Es geht also rauf und runter und wieder rauf.

Wenn Politiker und Mediziner derzeit vor einer zweiten Welle warnen, dann meinen sie damit einen erneuten steilen Anstieg der Infektionen. Genau definiert ist die "Welle" dabei allerdings nicht. Es könnte eine leichte Brandung sein oder ein Tsunami. Andere Nationen, wie Brasilien und Indien, zeichnen ein anderes Bild. Dort kennen die Neuinfektionen noch immer nur eine Richtung: nach oben.

Manche vergleichen das aktuelle Virus-Vorkommen daher lieber mit Feuer statt Wasser. Wie die Glut in einem Ofen oder Grill glüht das Virus flächendeckend vor sich hin und nur ab und zu lodern einzelne Flammen auf. Solange sie unter Kontrolle bleiben, ist alles gut. Ein Brandherd lässt sich in kurzer Zeit löschen.

Das bedeutet, dass die Behörden Kontaktpersonen informieren und bei Verdacht testen. Durch örtlich begrenzte Quarantäne-Maßnahmen, wie etwa in Gütersloh, kann sich das Virus dann nicht weiter ausbreiten. Gefährlich würde es erst, wenn eine einzelne Flamme ein Feuer auslöst, das nicht mehr aufzuhalten ist. Dann wird aus einem kleinen Lagerfeuer schnell ein großer Waldbrand.

Bringen Urlauber das Corona-Virus mit?

Das könnte passieren, wenn in den Ferien viele Urlauber gleichzeitig das Virus mit nach Hause bringen. Aber genauso, wenn die Daheimgebliebenen wieder mehr unterwegs sind, Familie und Freunde treffen und dabei die Abstands- und Hygieneregeln nicht einhalten. Sars-Cov-2 ist da und reist mit. Das Virus ist noch genauso gefährlich wie zu Beginn der Pandemie vor einem halben Jahr. Und je mehr Personen sich nahe sind, desto schwieriger lassen sich Infektionsketten nachvollziehen und stoppen.


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Im Sommer mag die falsche Wellen-Metapher noch nahegelegen haben – im Winter passt der Feuer-Vergleich ohnehin besser. Wenn dann wieder mehr Leute in geschlossenen Räumen beieinander sitzen, überträgt sich das Virus leichter von Mensch zu Mensch.

Eine Welle schwappt flächendeckend an den Strand. Die Menschen können Deiche bauen, um sich dagegen zu schützen. Oder sie lernen, die Glut zu kontrollieren, damit kein Feuer ausbricht.

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