Darüber diskutierten Söder und Merkel mit bayerischen Politikern

19.2.2021, 19:18 Uhr

In der Debatte um Lockerungen von Corona-Beschränkungen suchte Bundeskanzlerin Angela
Merkel den Kontakt zu Kommunalpolitikern. Merkel hatte ab 11 Uhr an einer Videokonferenz mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern teilgenommen. Schon zuvor war aus der Wirtschaft der Druck gewachsen, das öffentliche Leben wieder hochzufahren.

Merkel bleibt vorsichtig

Trotz der vielerorts sinkenden Infektionszahlen setzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weiter auf einen vorsichtigen Kurs bei weiteren Lockerungen von Corona-Auflagen. Nur bei niedrigen Inzidenzen seien mehr Öffnungen zu vertreten, sagte sie am Freitag nach dpa-Informationen in einer nicht öffentlichen Videoschalte mit rund 100 bayerischen Kommunalpolitikern. Bei Lockerungen habe für sie Schule weiterhin Priorität, sagte Merkel den Angaben aus Teilnehmerkreisen zufolge. Danach könnten dann weitere Öffnungen in den Bereichen Einzelhandel, Veranstaltungen, Kultur und Sport klug kombiniert werden.

Seitens der Landräte und Oberbürgermeister waren bereits vor der Schalte Hoffnungen und auch konkrete Erwartungen für weitere Lockerungen geäußert worden. Dem Vernehmen nach hielten sich die Kommunalpolitiker aber mit allzu großer Kritik – etwa über die nur langsam fließenden Finanzhilfen des Bundes – an Merkel zurück. Auch konkrete Öffnungsschritte oder gar Termine forderte zunächst niemand.

Seinen Ärger über die Corona-Politik seiner konservativen Parteifreunde Söder und Merkel hielt der CSU-Landrat Alexander Tritthart in Erlangen-Höchstadt vor dem Gespräch nicht zurück. "Ich bin tatsächlich unzufrieden, das gebe ich auch offen zu." Er kritisierte die schleppende Impfstoff-Beschaffung und die nach wie vor fehlenden Erkenntnisse über die Covid-Ansteckungsorte. In den vergangenen Monaten hätte man versuchen müssen, genauer herauszufinden, wo sich Personen mit Sars-CoV-2 infiziert haben, "ob es wirklich in der Gastronomie oder beim Friseur war."


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Da aussagekräftigen Daten dazu aber fehlten, tue man sich mit dem Öffnen unter anderem von Handel, Gastro und Messebauern jetzt auch so schwer. "Wir müssen jetzt viel mehr über die Öffnung reden, vor allem in unserem Landkreis mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 24; da kann ich niemanden mehr erklären, warum der Friseur zu hat."

Kritik an Sonderstellung der Profi-Fußballer

Tritthart kritisierte überdies die Sonderstellung der Profi-Fußballer. "Wenn sie ein Tor geschossen haben, busseln sich die Fußballer sogar noch ab. Und bei uns hier dürfen nicht mal mehr zwei Kinder auf den Platz und einen Fußball hin- und herkicken - das passt wirklich nicht zusammen. Ich bin zwar CSUler, aber wirklich, das passt nicht und deswegen sage ich es auch." Das alles möchte Tritthart, wenn er denn die Gelegenheit dazu bekommt, auch an höchster Stelle anbringen.

Einen Sinneswandel hat Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) hinter sich. Lange Zeit war er sehr zufrieden mit der Corona-Politik. Das hat sich geändert. Die Impfstoffbeschaffung der Bundesregierung und der EU bezeichnet er als "kläglich". Enttäuscht sei er auch vom letzten Treffen der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, da keine Öffnungsperspektive gegeben wurde und von heute auf morgen der maßgebliche Inzidenzwert von 50 auf 35 herabgesetzt wurde.

"Vieles an der Coronapolitik kann ich den Bürgern nicht mehr erklären. Ein Beispiel: In anderen Bundesländern sind Gartenbaubetriebe oder Floristen geöffnet. Bei uns sind sie geschlossen – aber im Vorfeld des Valentinstags drängen sich die Menschen in den Supermärkten an den Blumen. So etwas erzeugt bei unseren Floristen Verzweiflung", verdeutlicht er.

Nürnberg OB König fordert Marshall-Plan für Innenstädte

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) wollte in der zweistündigen Konferenz-Schalte unbedingt zu Wort kommen: "Ich melde mich ganz bestimmt", kündigte König an. Zunächst geht es ihm um das Thema "Kind". Man müsse jetzt die weitere Öffnung von Schulen, aber auch von Horten und Kindergärten gut vorbereiten, mahnt König.

Danach will er seine Forderung wiederholen, die er schon mehrmals erhoben hat: Es brauche einen Marshall-Plan für deutsche Städte, um deren Attraktivität zu steigern. Er glaube nicht, dass die Menschen "in Scharen wieder in die Innenstädte kommen werden", wenn der Lockdown aufgehoben wird, sagt Marcus König.

Neben dem Instrument der Städtebauforderung brauche es deshalb ein weiteres Förderprogramm des Bundes, aus dem die Kommunen schöpfen können, um ihre Räume grüner zu gestalten und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Schließlich kosten solche Gestaltungsmaßnahmen jede Menge Geld - das in der Stadtschatulle nicht vorhanden ist.

Bei den meisten Landräten und Oberbürgermeistern in der Region ist viel Zustimmung für die Corona-Politik Merkels und Söders zu hören. "Ich unterstütze den vorsichtigen und zurückhaltenden Kurs sehr, denn in unseren europäischen Nachbarländern sehen wir, welche Gefahren von den Mutationen ausgehen", sagt etwa Erlangens Stadtoberhaupt Florian Janik (SPD).

Janik kritisiert kurzfristiges Schul-Testkonzept

Trotzdem wünscht er sich mehr Planungssicherheit für die Kommunen. Warum beispielswiese ein Testkonzept für Schulen so kurzfristig eingeführt und gleichzeitig so schwammig formuliert wurde, sei ihm nach einem Jahr Pandemie überhaupt nicht klar. "Und auch bei den Wirtschaftshilfen höre ich viel zu oft, dass sie trotz aller Ankündigungen nicht ankommen. So etwas kostet viel mehr Vertrauen, als eine Verlängerung von Maßnahmen mit guten Gründen", betont er.

"Macht keinen vorgezogen Bundestagswahlkampf mit der Pandemie! Es gilt offen zu kommunizieren, auch mal Fehler einzugestehen und im Rahmen des Möglichen Perspektiven aufzuzeigen. Es erschließt sich für mich und sicher auch viele andere kaum, warum erst gemeinsame Linien beschlossen werden und diese danach nicht einheitlich kommuniziert werden", sagt Schwabachs Oberbürgermeister Peter Reiß (SPD).

Er fordert, Wirtschaft und Einzelhandel schnell und unbürokratisch zu unterstützen und prangert Ungerechtigkeiten durch Sortimentsausweitungen oder Teile des Online-Handels an. "Wenn zeitnahe und umfassende Hilfe ankündigt ist, muss diese eben auch tatsächlich schnell und ausreichend sein. Ich kann alle verstehen, die hier Ungerechtigkeiten sehen", so Reiß.

Weniger apokalyptische Sprache

Armin Kroder (Freie Wähler), Landrat des Landkreises Nürnberger Land, unterstützt die grundsätzlichen Entscheidungen in München und Berlin, wünscht sich aber bei der Kommunikation eine Sprache, die Mut machender und weniger apokalyptisch ist. Außerdem sollten seiner Ansicht nach neben dem in der Debatte sehr dominierenden Faktor der Inzidenz auch die "Auslastungssituation in den Krankenhäusern und Praxen, die Impfquote und die Neben-Wirkungen von Maßnahmen im Ökonomischen, Sozialen und Kulturellen" eine Rolle spielen.

Fast uneingeschränkt zustimmend äußert sich Manuel Westphal (CSU), Landrat des Landkreises Weißenburg-Gunzenhausen. "Ich unterstütze den bewährten Kurs der Bayerischen Staatsregierung, der sich hier aus meiner Sicht als richtig erwiesen hat und der dabei nach wie vor auf Umsicht und Vorsicht setzt." Die Entscheidung über weitere Lockerungsmaßnahmen, so wünschenswert diese auch sein mögen, sei ein schwieriger Abwägungsprozess. "Oberstes Ziel bleibt bei diesem Abwägungsprozess der Schutz der Gesundheit und die Stabilität des Gesundheitssystems in Bayern", meint Westphal.


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Es sei aber entscheidend, Einschränkungen nur soweit noch aufrechtzuerhalten, wie sie zur Wahrung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung zwingend erforderlich seien. "In dem Zusammenhang halte ich es für wünschenswert, wenn den kommunalen Ebenen in Form der Städte und Landkreise hier eine größere Entscheidungsfreiheit vor Ort hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingeräumt werden würde, wie dies beispielsweise die "No-Covid"-Strategie vorsieht" sagt Westphal.

"Vorsicht und Umsicht"

Der Bayreuther Landrat Florian Wiedemann (Freie Wähler) erklärte: "Selbstverständlich braucht es auch weiter Vorsicht und Umsicht. Wichtig ist aber auch, dass wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Zuversicht geben, indem Öffnungsstrategien aufgezeigt werden."

"Die Probleme liegen eher in der Umsetzung"

Forchheims Landrat Hermann Ulm (CSU) hält die große Linie der Corona-Politik auf Bundes- und Landesebene für angemessen. "Die Probleme liegen eher in der Umsetzung, welche für die Verantwortlichen vor Ort sowie die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zum Teil frustrierend wirkt. Die schleppende Lieferung von Impfstoff an unsere Impfzentren ist hier nur ein Beispiel. Auch die Regelungen in den einschlägigen Verordnungen sind oft aufgrund ihrer Kurzfristigkeit kaum umsetzbar und in den Festsetzungen widersprüchlich, was wiederum Bürgern und Unternehmen schwer erklärbar ist", meint Ulm, während Neumarkts Landrat Willibald Gailler (CSU) den "von Vorsicht und Umsicht geprägten Kurs der Staatsregierung" schlicht für "richtig und angemessen" hält.

Auch für den Fürther Landrat Matthias Dießl (CSU) ist Merkels Corona-Strategie nachvollziehbar. Zu Beginn der zweiten Welle habe sie zu äußerster Vorsicht gemahnt, sich damals aber nicht durchsetzen können. Im Nachhinein aber habe sich ihre Einschätzung bestätigt: "Es braucht viel Umsicht, damit wir das Erreichte nicht leichtfertig verspielen", bekräftigt Dießl.

Inhaltlich erhofft sich Dießl von der Videokonferenz mit Merkel und Söder, aus erster Hand zu erfahren, wie es speziell mit der Impf-Strategie weitergeht. Die Immunisierung biete erstmals die Möglichkeit, aktiv – nicht nur passiv über Lockdowns – die Menschen schützen zu können. "Wichtig wäre, dass die Impfungen für uns planbarer werden, wir könnten viel mehr impfen, wenn wir die Impfstoffe hätten."

HelmutWeiß (CSU), Landrat des Landkreises Neustadt/Aisch-Bad Windsheim, hat großen Respekt vor der Verantwortung, die führende Politiker derzeit bereit sind zu übernehmen, merkt aber an: "Aus meinen Kontakten in die Bevölkerung und auch zu Unternehmen nehme ich immer stärker wahr, dass es einen positiven Ausblick braucht, eine Perspektive. Für vielen Menschen geht diese Zeit des Lockdowns an die Substanz, persönlich und oft auch beruflich. Mir ist bewusst, dass sich in dieser Pandemie immer wieder kurzfristige Entwicklungen ergeben, trotz alledem wünsche ich mir, dass für die Menschen Perspektiven entwickelt werden, die aufzeigen wie ein Weg aus der derzeitigen Situation aussehen kann."

Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems

Auch der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) sagte: "Aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, sich ausschließlich an Zahlenwerten, also festgelegten Inzidenzwerten zu orientieren. Wichtig wäre meiner Meinung nach, die Lage vor Ort, insbesondere aber die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens zu betrachten und danach die Situation einzuordnen und entsprechende Maßnahmen zu treffen."

Niemand wolle das Erreichte allzu leichtfertig aufs Spiel setzen, gerade mit Blick auf die Ausbreitung der Virusmutationen, sagte etwa der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) der Deutschen Presse-Agentur. Kempten habe aber seit Tagen eine Inzidenz von etwa 20. Wenn sich dieser Trend verstetige und auch im Umland sichtbar sei, werde man langsame Öffnungen einfordern. "Unter klaren Hygienekonzepten müssen kulturelle Veranstaltungen, Kinovorführungen, Zugang zum Einzelhandel und auch zur Gastronomie bei definierter Zugangsbeschränkung wieder möglich sein", erklärte Kiechle.

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