Darum wurde eine fränkische promovierte Wissenschaftlerin am Ende Bäckerin

5.11.2020, 07:13 Uhr
Der Duft von frischem Brot lockte: Simone Imhof in der Backstube ihrer Bio-Bäckerei.

© Michael Matejka Der Duft von frischem Brot lockte: Simone Imhof in der Backstube ihrer Bio-Bäckerei.

Die Zeit an der Uni sei toll gewesen, sagt Simone Imhof, die vor drei Jahren die elterliche Bio-Bäckerei übernommen hat. Der Preis, den sie bezahlt, ist wenig Schlaf.

Man sollte höflichkeitshalber ein paar Focaccia-Krümel am Mundwinkel haben, wenn man mit Simone Imhof spricht. Oder zumindest Mohnkörnchen zwischen den Zähnen.

Die Frau ist schließlich Bäckerin, Bio-Bäckerin sogar. Vielleicht würde sie dann noch umwerfender lächeln, als sie es jetzt schon tut, wenn sie von ihrer langen Nacht mit Dinkel-Kirschkuchen und Apfelstrudel berichtet.

Wenn Simone Imhof im mit viel Rot gestalteten schicken Laden-Café an der Dürrenhofstraße ins Separee bittet, gehen die Erzeugnisse ihrer langen Nacht längst über den Tresen. Im Morgengrauen vespert nebenan am blanken Tisch das zehnköpfige Team aus der Backstube. Jetzt ist es Mittag, es riecht nach Waschmittel, im Nebenraum hängen frische Handtücher am Wäscheständer.

Alles über Sauerteig

Dass sie mit ihren schlaksigen 1,75 Metern sogar an die obersten Schübe im Backofen herankommt, ist bei Weitem nicht der einzige Vorzug der 40-Jährigen mit den hochgesteckten Haaren, die Jeans und weißes Polohemd als Arbeitskluft trägt.

Sie weiß natürlich alles über den hochkomplizierten Sauerteig – eine echte Wissenschaft – und hat, apropos, einen Uni-Abschluss in Betriebswirtschaft in der Tasche. Genug? Nicht genug. Die schlaue Bäckerin hat vor fünf Jahren noch einen Doktortitel in Erziehungswissenschaften draufgepackt, mit dem Spezialgebiet interkulturelle Bildungsforschung und -philosophie.

Zuvor hat sie zwei Kinder bekommen. Max ist zehn, Tochter Hanna sieben. Zwei Fragen drängen sich hier unbedingt auf. Wie passt das alles in ein Leben? Und wieso steht Frau Doktor seit ein paar Jahren nachts um zwei Uhr in der Backstube und beschäftigt sich mit Plunder statt mit Proseminaren?

Der Duft von frischem Brot

Zuerst zu Frage zwei: Wer in und mit einer Bäckerei aufwächst, die seit Generationen der Familie gehört, bekommt den Duft von frischem Brot so schnell nicht aus den Kleidern. Und so wollte die 18-jährige Simone nach dem Abi, logisch, Bäckerin werden.

Wo andere Handwerker-Eltern Luftsprünge machen würden, lief es bei Imhofs ganz anders. Sie solle bitteschön studieren, lautete der Auftrag. Zu dritt im Betrieb, das werde außerdem bestimmt nicht gutgehen.

Die Tochter folgte, ging an die Uni Würzburg, lebte für ein wissenschaftliches Projekt neun Monate in Guatemala, wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin, promovierte. Als ihr dann nach zehn Jahren in Lehre und Forschung die Verbeamtung angeboten wurde, sei sie erneut ins Grübeln gekommen, erzählt sie beim Cappuccino aus dem Imhof-Café.

Die Bäckerei lockte

Die Bäckerei hatte nie aufgehört zu locken, die Eltern dachten an den Ruhestand, der Job an der Uni war immer bürokratielastiger geworden. Es war soweit: „Meine Mutter“, Simone Imhof grinst fröhlich, „hat sich damit nie so recht versöhnt.“ Die Sicherheit im Staatsdienst fand sie nämlich weit vielversprechender als das harte Handwerk.

Diesmal folgte die Tochter nicht. Sie machte in zwei Betrieben eine verkürzte Lehre („Dort war ich einfach die Simone. Dass ich studiert habe, wusste keiner“) und stieg dann 2017 in den Familienbetrieb in Gleißhammer ein.

Was vorher war, sei nicht umsonst gewesen. „Die Zeit im Studium ist die beste, die es gibt.“ Reue ist das trotzdem nicht.

Nachts drei Stunden

Bleibt Frage eins. Wie schafft frau das alles? Dass es an Ehrgeiz, Grips und Willensstärke nicht fehlt, spürt man schnell im kargen Vesperraum. Doch wie wenig Schlaf diese Frau braucht, macht einen sprachlos. Nachts drei Stunden, tagsüber maximal zwei, das reicht. Sie wolle doch ein wenig Sozialleben mitbekommen, und dann sind da noch die Kinder.

Ihr Mann, mit dem sie seit 26 Jahren zusammen ist, arbeitet als Pädagoge. Dass er frühmorgens immer die Kinder fertigmachen muss, weil sie in der Backstube Bleche belegt, „verzeiht er mir nie“. Sie lacht ihr lautes, umwerfendes Lachen.

25 Menschen arbeiten für die Bäckerei. Simone Imhof wird geduzt, aber sie ist ganz klar Chefin. Tacheles reden, Mitarbeitergespräche führen („Die dachten erst, das wären Strafgespräche“), Fehler im System finden, zusammen feiern. Die 40-Jährige ist eine dieser jungen, pragmatischen Führungsfrauen, die ohne jedes Alphatier-Gehabe auskommen, aber doch ordentlich Selbstbewusstsein im Kreuz haben.

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