Das sagen Experten der Region zu den Mehrwertsteuersenkungen

9.7.2020, 17:01 Uhr
Das sagen Experten der Region zu den Mehrwertsteuersenkungen

© Michele Ursi - stock.adobe.com

Experten loben zwar im Großen und Ganzen die Initiative, haben aber auch Zweifel, ob die auf nur sechs Monate befristete Senkung den Leerlauf-Konjunkturmotor "mit Wumms" wieder anwerfen kann. Wie werden die Konsumenten reagieren? Die noch vor dem Inkrafttreten der Änderung beworbenen Preissenkungen der Supermärkte und Discounter wurden von den Verbrauchern natürlich mit Wohlwollen registriert.

Doch werden sie nicht nur bei den Artikeln des täglichen Gebrauchs zugreifen, sondern auch bei Großanschaffungen? Und wenn ja, wird es da vielleicht nur vorgezogene Anschaffungen geben, die sich im nächsten Jahr wieder ins Gegenteil verkehren?Viel hängt natürlich auch davon ab, ob die Unternehmen die Steuersenkungen an die Kunden weitergeben, denn dem Ganzen stehen ja auch Kosten entgegen. Hier sind jetzt wohl in bestimmten Branchen die Steuerberater gefragt.

Reicht nicht zum Konjunktur-Schub

Bernd Härtlein, der Vorsitzende des IHK-Gremiums Altdorf, ist der Meinung, dass diese Maßnahme allein sicher nicht zum großen Konjunktur-Schub führen wird. Aber er glaubt dennoch, dass sie als eine Maßnahme unter vielen den Unternehmen helfen wird, die Krise besser zu überwinden. "Solange aber der Export nicht anspringt, wird es bei den produzierenden Unternehmen eher schwierig, auf das Vorkrisenniveau zurückzukommen", ist sich der Experte sicher. Für Hotellerie und Gastronomie komme es vor allem darauf an, wie der Tourismus in der Region in die Gänge kommt. "Auch hier wird die Mehrwertsteuersenkung eher flankierend wirken."

Bei größeren Anschaffungen – Kfz, Küchengeräte, Möbel, Waschmaschine, Elektronik – werde es wohl Vorzieheffekte geben, aber einen durchschlagenden Erfolg erwartet Härtlein nicht.Ob die Betriebe die Steuersenkungen, wie gedacht, tatsächlich an die Kunden weitergeben, hängt nach seiner Meinung in erster Linie von der Wettbewerbsintensität und der Liquiditätssituation ab, in der sich das Unternehmen befindet. Der IHK-Vorsitzende macht zudem darauf aufmerksam, dass der Verwaltungsaufwand für die halbjährliche Umstellung je nach Ausgestaltung der Computersysteme höher oder eher gering ist, "aber sicher nicht zu unterschätzen".

Externe Dienstleister sind vonnöten

Unternehmen mit Kassensystemen könnten diese nicht selbst programmieren, sondern brauchen hierfür externe Dienstleister. Insgesamt urteilt Härtlein: "Aus meiner Sicht ist das Corona-Unterstützungsprogramm ausgewogen, wobei es sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch Justierungsmöglichkeiten gibt. Ein Gutschein für alle Haushalte hätte sicherlich einen Einmaleffekt gehabt, welcher aber auch nicht besonders nachhaltig gewesen wäre und wohl eher ein kurzes Strohfeuer ausgelöst hätte."Ähnlich sieht das Alexander Hommel, Ehrenvorsitzender des Arbeitskreises Feuchter Gewerbe und Inhaber des Schuhgeschäfts Schuh Hommel in Feucht und Altdorf. Er glaubt daran, dass diese Steuersenkung zumindest bei Großinvestitionen funktioniert, allerdings ist er der Meinung, es wäre besser gewesen, die Senkung "nicht nur auf ein halbes Jahr zu begrenzen, sondern vielleicht noch das Jahr 2021 dazu zu nehmen".

Generell ist er voll des Lobes für die Politik und die verschiedenen Kanäle, in die Steuergelder gepumpt wurden, um das Leben und auch die Wirtschaft aufrechtzuerhalten: "Davon träumen alle anderen Länder auf diesem Planeten." In seinem eigenen Betrieb spürt er derzeit noch keinen Effekt der Maßnahme, der Konsum sei eher rückläufig. Im Moment investierten nach seiner Wahrnehmung die Verbraucher eher in Dinge, die zu Hause den Urlaub ersetzen könnten, wie etwa Pool oder Grillecke im eigenen Garten. Und er befürchtet zudem, dass gerade für kleinere Geschäfte die Mehrwertsteuer-Umstellung ein bürokratischer Aufwand ist, der definitiv bei nur einem halben Jahr Laufzeit mehr kosten wird, als er bringt.

Keine Verpflichtung zur Weitergabe

Daher verwundert ihn nicht, dass es in Feucht und Altdorf Firmen gibt, die wegen des hohen Aufwands nichts von der Vergünstigung an ihre Kunden weitergeben. Dazu seien sie ja auch nicht verpflichtet. Hinzu komme noch ein Verständnisproblem, rechnet Hommel vor. Denn es seien genaugenommen keine drei Prozent vom Gesamtpreis, die der Handel abziehen könne, sondern weniger. "Die Reduzierung ist beim Endpreis in meiner Branche eine von 119 Prozent auf 116 Prozent und nicht von 100 Prozent auf 97 Prozent", also effektiv weniger als drei Prozent. Sein Unternehmen allerdings garantiert den Kunden den Abzug der vollen drei Prozent auf den regulären Kaufpreis.

Verschiedene weitere Aspekte hebt Betriebswirt Werner Merkel, Chef einer Altdorfer Steuerberatungskanzlei, hervor. Wie Härtlein sieht er die Aktion nur als einen Teil eines umfangreichen Hilfsprogramms: "Ein Instrument allein reicht bei diesem wirtschaftlichen Einbruch natürlich nicht aus und würde auch viel zu einseitig wirken. Deshalb wurde ja mit zum Beispiel den Corona-Soforthilfen, großzügigen Kurzarbeiterregelungen und Steuerstundungen, zinsgünstigen Krediten der KfW, LfA-Sonderkrediten, Kreditbürgschaften ein umfangreiches Maßnahmenpaket aufgelegt."Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes findet er "angemessen und wirksam", die Landes- und Bundespolitik haben aus seiner Sicht schnell und mit viel Augenmaß reagiert.

Für Unternehmen, die die Mehrwertsteuersenkung nicht an ihre Kundschaft weitergeben, äußert auch er in bestimmten Fällen Verständnis. Die Bürokratie, die damit verbunden ist, sei zum Teil enorm, "denn gerade bei kleineren Unternehmen mit umfangreichem Warensortiment würde der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen". Hier rechnet er mit dem Verständnis der Kunden.Bei größeren Anschaffungen sollte man mit dem Händler auf jeden Fall über ein Entgegenkommen sprechen, rät der Experte. Bei langfristigen Verträgen, die vor dem 1. März 2020 abgeschlossen wurden, schreibt das Umsatzsteuergesetz sowieso einen Ausgleich vor.

Wie kompliziert und mit Fußangeln versehen die Neuerung für einen Betrieb sein kann, erläutert Merkel an einem Beispiel: Die Brisanz liege darin, "dass der Zeitpunkt der Leistungserbringung dafür maßgeblich ist, ob noch 19 Prozent oder schon 16 Prozent anzuwenden ist. Dieser ist in der Regel dann, wenn ein Gewerk abgenommen, eine Leistung erbracht oder eine Lieferung ausgeführt ist. Das Datum der Rechnungstellung spielt dabei keine Rolle."

Warnung vor frisierten Protokollen

Also ein weiterer Stolperstein für Unternehmen, den es zu berücksichtigen gilt. Hier schickt der Steuerberater einen ernstzunehmenden Hinweis an alle Betriebe: "Ich warne in diesem Zusammenhang vor gutgemeintem Entgegenkommen, indem zum Beispiel Abnahme- oder Übergabeprotokolle nachträglich ‚frisiert‘ werden.

Als Unternehmer macht man sich dadurch erpressbar und der Steuerhinterziehung schuldig, was übrigens auch für den Kunden in Form der Beihilfe gilt." Hier empfiehlt er die Unterstützung durch einen Steuerberater.An einen Vorzieh-Effekt glaubt der Altdorfer Steuerexperte Werner Merkel nur bei privaten Konsumartikeln, denn bei Unternehmen und Industrie spiele die Mehrwertsteuer bei Investitionen keine Rolle.

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