Der lange Arm der Stasi: Wie in Bayern spioniert wurde

18.8.2020, 05:54 Uhr
Anfang Oktober 1989 wurden ausreisende DDR-Bürger auf dem Hofer Hauptbahnhof von jubelnden Menschenmassen empfangen. Die oberfränkische Kommune war für viele Flüchtlinge das Tor zur Freiheit, in den Jahren zuvor war die Stasi dort überaus aktiv.

© Wolfgang Eilmes/dpa Anfang Oktober 1989 wurden ausreisende DDR-Bürger auf dem Hofer Hauptbahnhof von jubelnden Menschenmassen empfangen. Die oberfränkische Kommune war für viele Flüchtlinge das Tor zur Freiheit, in den Jahren zuvor war die Stasi dort überaus aktiv.

Der Inoffizielle Mitarbeiter mit dem Decknamen "Frieder Schwarz" spuckte Gift und Galle, als er am 1. Oktober 1989 von der "Schmierenkomödie" auf dem Hofer Hauptbahnhof berichtete. "Alles wurde von einem solch widerwärtigen Freudengeheul der ehemaligen DDR-Bürger übertönt, dass wir uns schämten, diese Leute in die BRD transportiert zu haben", heißt es in dem handschriftlich auf Karopapier verfassten Protokoll für seinen Führungsoffizier.

Am Abend zuvor hatte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft seine berühmten Worte an die Flüchtlinge der Deutschen Demokratischen Republik gerichtet, und "Frieder Schwarz" – anscheinend nicht nur ein Spitzel der Stasi, sondern auch Mitarbeiter der DDR-Reichsbahn – war in einem der Züge mitgefahren, die seine ausreisenden Landsleute von Prag nach Hof brachten.

Hofer Hauptbahnhof war ein wichtiger Knotenpunkt

Der Hauptbahnhof der oberfränkischen Kommune war schon in den Jahrzehnten zuvor ein wichtiger Knotenpunkt für den innerdeutschen Eisenbahnverkehr gewesen. Auch deshalb hatte das Ministerium für Staatssicherheit die Grenzregion rund um Hof stets besonders intensiv ausspioniert, bevor die massenhafte Flucht von DDR-Bürgern das Ende des SED-Regimes einleitete. Hof ist nun auch Schauplatz einer Ausstellung, in der erstmals für eine breite Öffentlichkeit die Umtriebe des ostdeutschen Geheimdienstes in Bayern dokumentiert werden.

"Feind ist, wer anders denkt" lautet der Titel der Präsentation, die noch bis 6. September im Museum Bayerisches Vogtland zu sehen ist. Organisiert wurde die Schau gemeinsam mit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Deren Chef Roland Jahn wurde als Bürgerrechtler in der DDR einst selbst von der Stasi drangsaliert und saß für seinen politischen Widerstand auch im Gefängnis.

Zeitweise spionierten bis zu 400 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des DDR-Geheimdienstes, in früheren Jahren auch Geheime Informatoren (GI) genannt, in Bayern. Der Freistaat, in dem es nach den Jahren des Wiederaufbaus wirtschaftlich steil nach oben gegangen war, war für die Agenten von Stasi-Chef Erich Mielke aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen spionierten sie bei Weltkonzernen wie den Autoherstellern Audi und BMW und Branchenführern aus der Waffentechnologie und der Luft- und Raumfahrt – neben Krauss-Maffei und Messerschmitt-Bölkow-Blohm auch bei Diehl in Nürnberg; zum anderen kundschaften sie eine ganze Reihe von staatlichen Institutionen aus.

Romeo-Agenten umgarnten alleinstehende Frauen

So wurden Inoffizielle Mitarbeiter in den damaligen Sitz des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach eingeschleust, lieferten Informationen aus dem Rathaus und der Polizeidirektion in Augsburg und hatten ganz besonders die Grenzpolizei in Hof und Umgebung im Visier. Die Stasi-Spitzel erkundeten Betriebsgelände, machten heimlich Fotos von Produktionsanlagen des Klassenfeindes und versuchten, persönliche Beziehungen zu den Beschäftigten in den anvisierten Objekten aufzubauen. Eine spezielle Einheit, die sogenannten Romeo-Agenten, sollte intime Beziehungen zu alleinstehenden Frauen aufbauen und diese aushorchen.

Auch eine ganze Reihe von bayerischen Politikern wurde damals vom Ministerium für Staatssicherheit angeworben. Zum Beispiel der langjährige Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Friedrich Cremer (SPD), der bei der Stasi unter dem Decknamen "Bäcker" bekannt war und 1980 wegen seiner Aktivitäten als feindlicher Agent zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Anton Donhauser, der als Abgeordneter der Bayernpartei und später der CSU im Deutschen Bundestag saß, versuchte unter anderem, den Verkauf von Fleischkonserven und Uranoxid an Mittelsmänner des DDR-Regimes einzufädeln und musste sich deshalb vor dem Bundesgerichtshof verantworten.

Am meisten Aufsehen erregten aber wohl die Stasi-Aktivitäten des schwäbischen CSU-Politikers Leo Wagner, der lange Jahre zum engsten Vertrautenkreis von Franz Josef Strauß zählte. Dem IM mit dem Decknamen "Löwe" wurde zum Beispiel vorgeworfen, sich 1972 beim Konstruktiven Misstrauensvotum gegen den damaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt der Stimme enthalten und dafür 50.000 Mark von der Stasi erhalten zu haben.

Spitzel-Lohn für Besuche von Nachtclubs verwendet

Mit dem Geld aus Ostberlin soll der einstige parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe unter anderem seine Besuche in teuren Nachtclubs finanziert haben. Willy Brandt wiederum trat später unter anderem wegen der Spionage-Affäre um seinen ehemaligen persönlichen Referenten, den Stasi-Offizier Günter Guillaume, zurück.

Aus heutiger Sicht wirken manche Ausflüsse der Sammelwut der Stasi-Spitzel in Bayern ziemlich skurril. Viele Banalitäten wurden an das Ministerium von Erich Mielke weitergeleitet, doch die Ausstellung im Museum Bayerisches Vogtland dokumentiert auch zahlreiche Einzelschicksale von Menschen, die teilweise über Jahre hinweg von den Helfern des SED-Regimes terrorisiert wurden. Dokumente zeigen auf, wie ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit geratene Personen immer wieder verhaftet, verhört und manchmal sogar gefoltert wurden.

Auch regionale Aspekte haben die Initiatoren in die Präsentation eingebaut – zum Beispiel den spektakulären Ballonflug zweier Thüringer Familien im September 1979, die nach ihrer Flucht aus der DDR im oberfränkischen Naila landeten. Und die vielfältigen Auswirkungen der Stasi-Spitzeleien sind noch lange nicht aufgearbeitet. Rund 1000 Menschen aus Hof und Umgebung, viele von ihnen einst aus der DDR ausgereist, haben aktuell Anträge auf Akteneinsicht bei der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes laufen.

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