Die Glaskathedrale muss noch entdeckt werden

1.2.2019, 19:40 Uhr
Die Glaskathedrale muss noch entdeckt werden

© Foto: Erich Spahn

Der Dienstreiseantrag galt als einigermaßen verwegen. Ambergs Kulturreferent Wolfgang Dersch und sein Kollege vom Baureferat, Markus Kühne, wollten für einige Tage nach Boston, Massachusetts, in die USA fliegen. Der Antrag ging zum Glück durch, denn ohne diese Reise hätte Nordostbayern das bundesweit gefeierte Bauhaus-Jubiläum in diesem Jahr wohl ziemlich verschlafen.

Es zeugt von gebotenem Weitblick, dass sich Dersch bereits lange vor dem großen Jubiläumsjahr mit dem wertvollen Bauhaus-Erbe in der Oberpfalz eingehend beschäftigte. Bei seinen Recherchen machte er in Boston den aus Serbien stammenden Alexander Cvijanovic ausfindig, einen engen Mitarbeiter von Walter Gropius. Der berühmte Architekt, der die Fertigstellung seiner Glaskathedrale in Amberg 1970 nicht mehr erlebte, weil er kurz zuvor starb, lebte und wirkte ab 1934 in Boston.

Weder Brief noch E-Mail

"Wir konnten mit dem damals schon über 90 Jahre alten Gropius-Assistenten telefonieren", erzählt der Kulturreferent, "aber er schrieb weder Briefe, noch benutzte er einen Computer, etwa um E-Mails loszuschicken." Deshalb war die Reise nach Boston unumgänglich. Der Aufenthalt bei Cvijanovic öffnete dann die Türen zu kostbaren Bauhaus-Dokumenten, auch zu dem Amberger Bau.

Am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) lagerten im Archiv Kisten mit Unterlagen von Gropius. Seine Korrespondenz mit Philip Rosenthal war dabei, jenem kunstsinnigen und visionären Unternehmer, für den er im Fichtelgebirgsstädtchen Selb ebenfalls eine Fabrik gebaut hatte. Sie wurde 1967 eröffnet. Beide Männer verband eine Freundschaft.

Die Firmengebäude sollten funktional sein, so wie es der Bauhaus-Idee entsprach, aber eben auch ein angenehmer Arbeitsplatz für die Beschäftigten. Dem Wohlergehen seiner Mitarbeiter maß Rosenthal eine besondere Bedeutung bei. Das ist im Selber Bauwerk zu erkennen, wie in der Amberger Glaskathedrale. Dort zeugen von der fortschrittlichen Idee zum Beispiel grüne Inseln, die mitten in der Produktionsstätte liegen. Zu dem Bostoner Archivmaterial gehörten auch die Originalpläne des Amberger Gropiusbaus. Die durften Dersch und Kühne zwar nicht in die Oberpfalz mitnehmen, wohl aber Kopien. Der Bosten-Ausflug der städtischen Referenten aus Amberg und dessen Ergebnisse drangen bis zu den Bauhaus-Experten im oberfränkische Selb durch. Der fruchtbare Austausch zwischen Oberpfälzern und Oberfranken mündete am Ende in das "Netzwerk Selb/Amberg". Geknüpft haben es neben den beiden Städten Selb und Amberg unter anderem das staatliche Museum Porzellanikon, das Walter-Gropius-Gymnasium und die Fachschule für Produktdesign in Selb, der Kunstverein Hochfranken oder die Firma Rosenthal. Schon vor zwei Jahren kam es auf Einladung der Selber Fachschule zu einem ersten Treffen mit dem Ziel, die Aktivitäten für 2019 in der Region zwischen Selb und Amberg zu bündeln. Man sei sich schnell einig gewesen, so Porzellanikon-Direktor Wilhelm Siemen, die Sichtbarkeit der bedeutenden Bauhaus-Hinterlassenschaften auch nach Außen deutlich zu erhöhen. Zum Jubiläum 100 Jahre Bauhaus hat dieses Netzwerk ein umfangreiches Programm zusammengestellt (dazu Kasten).

Nicht beteiligt

Im bundesweiten Jubiläumskalender "365 Tage Bauhaus" für die diesjährigen Feierlichkeiten tauchen die bayerischen Veranstaltungen allerdings nicht auf. Bayern hat nämlich an dem Konzept nicht mitgewirkt, das mehrere Bundesländer gemeinsam entwickelt haben. Das hätte etwas gekostet. Die Höhe der Summe ist nicht bekannt.

Auf Nachfrage beim Kunstministerium in München nach dem Grund für diese Enthaltsamkeit hieß es lediglich: "Der Freistaat beteiligt sich formal nicht an dem länderübergreifenden Programm." Das Haus von Wissenschafts- und Kunstminister Bernd Sibler (CSU) verweist stattdessen auf die "verschiedenen Veranstaltungen und Ausstellungen, die selbstverständlich in Bayern stattfinden".

Produktion auf Hochtouren

Die strikte Weigerung Münchens hätte beinahe dazu geführt, dass das nordostbayerische Netzwerk den imageträchtigen Namen "Bauhaus" nicht verwenden durfte. Das konnte glücklicherweise verhindert werden. Die Verantwortlichen beider Seiten haben sich geeinigt. So kann das Amberger Glaswerk auch ganz offiziell in Flyern mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht werden.

Der Firmenkomplex steht seit 2000 unter Denkmalschutz. Es wird dort nach wie vor auf Hochtouren produziert, vollautomatisch. Knapp 20 Millionen Gläser verlassen das Werk Jahr für Jahr. Ein Raum im Eingangsbereich wird gerade für eine Dauerausstellung vorbereitet. Wenn der fertig ist, können Besuchergruppen vielleicht auch einen kurzen Blick in das Innere der Glaskathedrale werfen. Die Planungen laufen noch.

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