Ein Platz zum Träumen, Lieben und Morden

22.3.2021, 13:01 Uhr
Freude am Spiel im Felsentheater von Sanspareil: Birgit Franz von der Studiobühne Bayreuth.

© e-arc-tmp-20210316_111937-4.jpg, NNZ Freude am Spiel im Felsentheater von Sanspareil: Birgit Franz von der Studiobühne Bayreuth.

Die Kindheit der Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen stand unter keinem besonders glücklichen Stern. Erzogen worden war sie für die Rolle der englischen Königin und früh verkuppelt mit Friedrich Ludwig von Hannover, dem Prince of Wales. Aber weder wurde der König noch Wilhelmine dessen Gattin, der preußische Hof – ihr Vater war der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., ein rechter Grobian – vermählte sie im Jahr 1731 nach Bayreuth.


Etwas Besseres hätte ihr aber kaum passieren können, als Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth hinterließ Wilhelmine, eine moderne Regentin und die Lieblingsschwester von Friedrich dem Großen, prächtige Bauten wie das Neue Schloss und das Opernhaus – und ein kleines, verstecktes Idyll, den Felsengarten von Sanspareil im Landkreis Kulmbach.


"Zauberhaft" nennt Birgit Franz diesen Buchenhain, "ein bisschen mythisch", die Fantasie beflügelnd, eigentlich, sagt sie, "möchte man immer sofort das Spielen anfangen" – davon wird gleich zu erzählen sein, und dann wird es doch um England gehen, um ein Goldenes Zeitalter für das Königreich, das Wilhelmine vorenthalten blieb.

Man spricht es fränkisch aus


Sanspareil, das zur Gemeine Wonsees gehört, ist ein Dörfchen mit 145 Einwohnern, Höfe und Häuser, ein Wirtshaus, die Freiwillige Feuerwehr und darüber die Burg Zwernitz. Ins Kleinod am Ortsausgang gelangt man über den Morgenländischen Bau, ein für Wilhelmine errichtetes, orientalisch angehauchtes Mini-Schlösschen. Dahinter beginnt der Felsenpark – ein Garten "sans pareil", ohnegleichen, seit der Einweihung im Jahr 1744 heißt auch das Dorf so (die Einheimischen sprechen es allerdings nicht französisch, sondern fränkisch aus).


"Die Natur selbst war die Baumeisterin", notierte einst die Markgräfin, bizarre Felsformationen – sie heißen Regenschirm oder Hühnerloch – Grotten und Höhlen bildeten, zwischen prächtigen Buchen, die Kulisse für eine Märchenlandschaft. Davon steht fast nichts mehr, Stürme, Gewitter und der Zahn der Zeit ließen ihre Kräfte walten, ihnen fiel der in chinesischer Formensprache auf einen Fels gebaute Aeolusturm zum Opfer, die Belvedere-Häuschen, viele kleine Pavillons. Den Rest erledigte der rohe Mensch, der die Ruinen zum Abbruch verkaufte.

Macbeth auf der Felsenbühne


Aber der Garten schafft spielend Raum für die Imagination, und wer einmal längs hindurchgeht, steht, ganz unvermutet, vor dem Felsentheater. Erbaut im Stil einer künstlichen Ruine, hat es die Jahrhunderte überdauert, Naturstein, vier hohe Bögen, vor der Bühne ein gemauerter Orchestergraben mit Platz für bis zu sechs Musikern.


Die Natur war der Baumeister: Im Felsengarten. 

Die Natur war der Baumeister: Im Felsengarten.  © e-arc-tmp-20210316_111937-3.jpg, NNZ

Spielen. Birgit Franz, seit 25 Jahren Dramaturgin der 1980 gegründeten Studiobühne Bayreuth, hat es getan; Sanspareil sah, wie wunderbar passend, den Steinernen Gast von Moliere, da stand Birgit Franz auf der Bühne, den Hamlet, die Gefährlichen Liebschaften. Die Studiobühne ist ein längst überregional bekanntes, famoses Ensemble, das mit ambitionierten Laien anspruchsvolles Theater inszeniert. Unter Birgit Franz’ Regie haben sie hier auf der Felsenbühne noch 2019, bevor die Corona-Pandemie begann, den Macbeth gegeben, William Shakespeare, England, ein großes Drama – auf kleinstem Raum; 90 Zuschauer finden Platz unter dem Dach, das die Natur in Form eines bemoosten Felsen bereitgestellt hat. Es tropft ein wenig, die Wände sind feucht.

"Wie auf dem Camping-Platz"


Freilichttheater "wie auf dem Campingplatz", wie Birgit Franz sagt, es gibt hier nichts, keinen Strom, kein Wasser. Die Garderobe ist ein kleines Zelt neben der Bühne, dahinter ein Dixi-Klo, Eimer haben sie auch immer dabei – wenn es regnet, um den kleinen Orchestergraben auszuschöpfen.


Weitergespielt wird trotzdem, manchmal begleitet vom Lärm der Traktoren auf den Feldern ringsum. Birgit Franz bittet die Bauern immer, die Arbeit aufzuschieben, aber, "naja, sie sind Nebenerwerbs-Landwirte, die haben halt nicht immer Zeit".
Das alles gehört dazu, und wenn es dann dunkel wird und, wie Birgit Franz erzählt, "die Glühwürmchen durch den Wald fliegen", ist die Atmosphäre "schön schaurig – die Geistervision im Macbeth kommt großartig in Szene", ein "fantastisch fremdartiger Ort" ist diese Bühne dann, von der niemand weiß, ob sie zu markgräflichen Zeiten bespielt wurde.

Tod eines Schauspielers


Uwe Hoppe, der Gründer der Studiobühne, war es, der die Spielstätte 1992 entdeckte – für den Magier aus dem nahen Bayreuth, Hoppe inszenierte den Leubald, ein weitgehend vergessenes Frühwerk, das der von Shakespeare nachhaltig beeindruckte Richard Wagner im Alter von 13 Jahren zu schreiben begann. Es gibt keine Noten dazu, es ist ein schrilles Spiel um Liebe, Rache, Mord und Erlösung, verworren und blutig.


Und ein Schauspieler ist hier auch schon umgebracht worden, seine Leiche lag im Felsengarten – nicht in Wirklichkeit natürlich, sondern in einem Kriminalroman, der in Sanspareil beginnt und auch so heißt, "Sanspareil". Es ist ein spannendes Buch auch voller Liebe. Voller Liebe zu Franken. "Ja, ich liebe Franken, ich liebe es total", sagt die Autorin, die bei Lesungen in der Region die Mundart-Passagen ihrer Bücher trotzdem lieber anderen überlässt, "das würde sonst lächerlich wirken".

Eine Herzens-Fränkin aus dem Ruhrpott


Denn Jacqueline Reese, die Autorin, ist "ein Kind des Ruhrgebiets", wie sie sagt, heute zu Hause im Münsterland – aber mit dem Herzen immer in Franken, zum Urlauben, zum Schreiben, zum Leben. Brot und Wurst lässt sie sich aus Franken schicken ("Das haben wir hier nicht in dieser Qualität"), inzwischen studiert ihr Sohn Agrartechnik in Triesdorf im Landkreis Ansbach, die Bindung in die Herzensheimat ist noch enger. "Geheimnisvoll" findet auch Jacqueline Reese den Felsengarten, "bezaubernd und charmant", sie beschreibt das sehr eindringlich in ihrem Krimi.


Literatur war dieser Garten schon mit seiner Anlage. Die Höhlen und Felsen benannte Wilhelmine nach Schauplätzen des französischen Erziehungsromans "Die Abenteuer des Telemach", in dem der Sohn des Odysseus über eine Reihe von Prüfungen und Abenteuern zur Läuterung gelangt. Griechische Mythologie, nachzulesen auf Schautäfelchen, jedoch für Laien noch verwirrender als Wagners Leubald, was aber nichts ausmacht vor dem hier überall spürbaren Reiz des Fremden und trotzdem Vertrauten.

Die Giftmörderin


Spät aufgeklärt worden sind zwei hier tatsächlich verübte Morde. Anna Margaretha Zwanziger aus Nürnberg trat 1809 in Sanspareil als Haushälterin in die Dienste des Justizamtmanns Johann Georg Gromann, warb vergeblich um dessen Liebe und vergiftete erst ihn, dann, in neuer Stellung bei Gromanns Kollegen Georg Wilhelm Gebhard, dessen Frau Margaretha Barbara – um ihre Stelle einzunehmen, wieder wurde es nichts mit der Liebe. Erst nach weiteren Giftanschlägen fiel ein Verdacht auf die Magd, sie wurde überführt und 1811 auf dem Marktplatz von Kulmbach enthauptet. "Hang zu sinnlicher Ausschweifung und das Lesen elender Romane", vermutete die "Königlich-Baierische Nationalzeitung" damals, habe die Unglückliche zu den Greueltaten getrieben – auch dazu gibt es ein Bühnenstück, "Gift" heißt es, geschrieben 2014 von der Würzburgerin Christiane Reichert, die heute Direktorin des Theaters an der Luegallee in Düsseldorf ist.


Es ist aber sehr friedlich an diesem warmen Frühlingstag im Felsengarten, Birgit Franz hofft, dass sie bald wieder spielen dürfen, sie vermisst das, "die Menschen, wie sie mit Taschenlampen durch den Wald kommen, den Sonnenuntergang, den Nachthimmel". In normalen Zeiten, sagt sie, würde man jetzt – wie sonst nach den Aufführungen im Felsentheater – noch gemeinsam ein Bier trinken, im für seine großartigen Windbeutel berühmten schönen Schlosscafé gegenüber des Morgenländischen Baus, der einstigen Hofküche der Markgrafen-Familie.

Das Geheimnis der Windbeutel


Andreas Opel, der Wirt, wuchs im Nachbarort Großenhül auf, er hat schon als Kind im Felsengarten gespielt, "da kenne ich jeden Stein", sagt er, und: "Auch, wenn das vielleicht kitschig klingt, aber es ist eine eigene Welt, ein ganz besonderer Ort, der Kraft ausstrahlt – selbst, wenn ich einmal schlechte Laune habe, verfliegt die sofort, wenn ich nach Sanspareil komme."


Und die Idee mit den Windbeuteln, erzählt Andreas Opel, kam ihm, "kein Witz", tatsächlich beim Blick auf den Morgenländischen Bau gegenüber. Der erinnert, findet er, in seiner Form ein wenig an das exquisite Gebäck. Die Markgräfin Wilhelmine inspiriert bis heute.

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