Sie waren mit die ersten am Unglücksort

"Ein Trümmerfeld": Bayerischer Retter erzählt von tödlichem Zugunglück in Tschechien

4.8.2021, 17:04 Uhr
Auch Stunden nach der Kollision laufen die Aufräumarbeiten noch. Die Strecke wird lange Zeit gesperrt bleiben, schätzen Experten. 

© MICHAL CIZEK, AFP Auch Stunden nach der Kollision laufen die Aufräumarbeiten noch. Die Strecke wird lange Zeit gesperrt bleiben, schätzen Experten. 

Die Front des Triebwagens ist komplett eingedellt, zusammengefaltetes Metall hängt an den Seiten des Wracks, Kabel ragen aus dem zerstörten Zug. Wer die Bilder aus dem tschechischen Milavèe sieht, der kann die Wucht des Aufpralls erahnen. Hier, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Bayern entfernt, raste ein Express aus München in eine Regionalbahn. Mindestens drei Menschen verloren ihr Leben, viele weitere sind verletzt, zehn von ihnen schweben in Lebensgefahr. Der Schock sitzt tief, nicht nur in Tschechien, sondern auch auf der anderen Seite der Grenze.

Bayerische Retter waren mit die ersten am Unglücksort. Um exakt 9.06 Uhr ging die Alarmierung in der Oberpfalz ein - nur 20 Minuten später überquerten die ersten Fahrzeuge aus dem Freistaat die Grenze. "Die Züge waren komplett zerstört, es war ein Trümmerfeld", sagt Tobias Muhr, Leiter des BRK-Katastrophenschutzes im Landkreis Cham. "Patienten, darunter auch Schwerverletzte, wurden auf einer freien Wiese erstbehandelt."

"Besonderer Druck"

Es sind Szenen, die vor allem chaotisch und dramatisch wirken. Die Aufgabe von Muhr und seinen Kollegen ist es, Ordnung zu schaffen. "Wir haben uns schnell mit der Einsatzleitung aus Tschechien verständigt, dass wir uns um die deutschen Patienten kümmern", erklärt der erfahrene Retter. Mindestens zehn Menschen aus der Bundesrepublik wurden bei der Kollision verletzt, der Großteil von ihnen mittelschwer. Sie wurden in Kliniken nach Cham, Schwandorf und Regensburg gebracht. Auch ein deutscher Rettungshelikopter rückte an, drehte dann aber ab.

Besonders die gewaltige Menge an Opfern und Verletzten sei eine Herausforderung gewesen, sagt Muhr, der von einer "Großschadenslage" spricht. "Klar, man trainiert genau das, aber wenn man dann wirklich drin steht, herrscht Adrenalin", sagt der Leiter des Katastrophenschutzes. "Wir stehen unter besonderem Druck."

"Paradebeispiel für grenzüberschreitende Hilfe"

Regelmäßig wird der sogenannte grenzüberschreitende Rettungsdienst trainiert - mindestens ein Mal im Jahr probt man dabei auch ein Szenario wie das am Mittwoch. Im oberpfälzischen Furth im Wald entstand 2016 ein sogenanntes Kompetenz- und Koordinierungszentrums (CCC) mit modernster Technik. Dort arbeiten 25 Rettungswachen aus acht grenznahen Landkreisen zusammen. Millionen hat das Projekt gekostet - Geld, das gut investiert ist, wie der Einsatz am Mittwoch zeigt. "Hilfe am Menschen darf nicht an der Staatsgrenze Halt machen", sagt BRK-Pressesprecher Sohrab Taheri-Sohi.

Auch für Frank Betthausen war der Einsatz ein "Paradebeispiel der grenzübergreifenden Zusammenarbeit". Er ist Pressesprecher beim Kreisverband Cham, der besonders von der Kooperation betroffen ist. "Heute hat ein Rädchen ins andere gegriffen." Insgesamt 40 Retter und 15 Fahrzeuge aus der Oberpfalz eilten nach Tschechien. Unter anderem mit einem Dolmetscher aus dem Koordinierungszentrum in Furth im Wald verständigten sich die Einsatzkräfte mit ihren Kollegen aus Tschechien. "Das hat über Sprachgrenzen hinweg funktioniert."

Derweil laufen die Ermittlungen. Experten gehen davon aus, dass die Untersuchung Monate dauern wird - dabei wird ein technischer Defekt als Ursache ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Auf den Eisenbahnstrecken im deutschen Nachbarstaat kommt es immer wieder zu Unfällen. Die Sicherungstechnik gilt mancherorts als veraltet. Auch deshalb hatte die Regierung zuletzt ein Modernisierungsprogramm in Millionenhöhe angekündigt.