Ausstellung in Fürth

Zweimal enteignet, dann Ausstatter von Bill Gates' Jacht

16.6.2021, 17:31 Uhr
Hans-Jürgen Mühles Familie wurde zweimal enteignet. Doch nach der Wende rappelte er sich wieder auf - und stattete schließlich sogar Bill Gates’ Jacht aus.  

© Thomas Scherer/Ludwig Erhard Zentrum Hans-Jürgen Mühles Familie wurde zweimal enteignet. Doch nach der Wende rappelte er sich wieder auf - und stattete schließlich sogar Bill Gates’ Jacht aus.  

"Als die Russen 1946 in die Fabrik kamen, haben sie alles komplett leergeräumt, auf 3000 Eisenbahnwaggons verladen und in die Sowjetunion geschafft. Bis zur letzten Schraube und Elektroleitung wurde alles demontiert, es blieb nur das rohe Gebäude", erzählt Günther Niethammer. Sein Urgroßvater hatte ab 1856 im sächsischen Kriebstein die Papierfabrik Kübler & Niethammer aufgebaut und zu beachtlicher Größe geführt.

Russen demontierten 2500 Familienunternehmen

Doch das Unternehmen wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet und demontiert. Kübler & Niethammer teilte das Schicksal mit etwa 2500 weiteren ostdeutschen Familienunternehmen, die damals demontiert wurden, sehr viel mehr noch wurden Opfer von Enteignungen. "Danach blieb kein Familienunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern mehr übrig", sagt Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen.

Die Stiftung hat die Ausstellung "Verdrängung, Enteignung, Neuanfang: Familienunternehmen in Ostdeutschland von 1945 bis heute" zusammengestellt, die nun im Ludwig Erhard Zentrum in Fürth zu sehen ist. Darin erfährt man etwa, wie viel Know-how verlorenging, weil rund 10.000 Unternehmer nach der ersten Enteignungswelle aufgaben oder in den Westen auswanderten. Auch Exponate von DDR-Produkten sind ausgestellt und Interviews mit Betroffenen zu hören und zu sehen.

Als sie in der DDR nach der Demontage von Kübler & Niethammer feststellten, dass eine eigene Papierfabrik doch ganz nützlich wäre, wurde eine gebrauchte Papiermaschine beschafft. 1955 nahm der VEB (Volkseigener Betrieb) Papierfabrik Kriebstein die Arbeit auf, der alsbald auch Zellstoff für Taschentücher, Windeln und Servietten herstellen sollte.

In den Westen ausgewandert

Günther Niethammer hatte da schon lange keine Verbindung mehr zum Unternehmen. Seine Familie war in den Westen gegangen, Niethammer lebte in Nürnberg und dachte nicht, jemals in seinem Leben etwas mit Papierherstellung zu tun zu haben. Doch dann kam die Wende und damit die Möglichkeit für die ursprünglichen Besitzerfamilien, ihre ehemaligen Unternehmen wieder zu erwerben.

Allein bis zum Tag der Wiedervereinigung gingen bei der Treuhand mehr als 11.000 Anträge auf Reprivatisierung ein. Einer davon kam von Niethammer und drei seiner Cousins. "Ich hätte das nicht gemacht, wenn es kein Familienunternehmen gewesen wäre. Das war einfach zu riskant, trotz der vielen Unterstützung, die man damals bekommen hat", wie Niethammer meint.

Die Produkte waren nicht mehr konkurrenzfähig, große Investitionen nötig, weshalb ein Teil des Betriebs denn auch an Wepa, den heutigen Marktführer für Hygienepapier in Deutschland, ging. Doch immerhin werden bis heute in Kriebstein Papier und Taschentücher produziert. Heute sind wieder 92 Prozent der ostdeutschen Unternehmen in Familienbesitz, sogar etwas mehr als im Westen.


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Auch die Familie von Verena von Mitschke-Collande ging wie die Niethammers nach der Enteignung in den Westen. Heute ist sie wieder Eigentümerin des traditionsreichen Banknoten- und Wertpapierdruckers Giesecke+Devrient. Dieser ist neben der Bundesdruckerei der einzige Betrieb in Deutschland, der Euro-Banknoten drucken darf.

Versteckte Druckplatten als Grundstein für neues Unternehmen

Das damals in Leipzig angesiedelte Unternehmen war 1948 von der sowjetischen Militäradministration enteignet und in den VEB Wertpapierdruckerei umgewandelt worden. Von Mitschke-Collandes Vater war in ein russisches Lager gekommen, hatte es aber noch geschafft, Druckplatten auszulagern.

Diese wurden zum Grundstein für das 1948 in München mit vielen aus dem Osten ausgewanderten Mitarbeitern neu gegründete Unternehmen, das alsbald wieder zu großer Bedeutung gelangte und ab 1958 die Hälfte aller deutschen Banknoten drucken durfte. Nach der Wende ging auch der VEB Wertpapierdruckerei wieder an die Familie.

Heute läuft der gesamte Banknotendruck von Giesecke+Devrient wieder in Leipzig. "Sehr geholfen hat uns bei der Übergabe des Leipziger Betriebs, dass Banknoten überall auf den gleichen Maschinen und mit den gleichen Farben gedruckt werden", betont von Mitschke-Collande.

Betrieb gleich zweimal enteignet

Dieses Glück hatten natürlich nicht alle Familienunternehmen. Viele fanden heruntergewirtschaftete, nicht konkurrenzfähige Betriebe vor. Doch manchen gelang es, aus den Resten ihres Erbes wieder eigene Nischen auf dem Markt zu füllen.

So wie Hans-Jürgen Mühle. Nach der Gründung des Betriebs durch seine Vorfahren im sächsischen Glashütte im Jahre 1869 entwickelte sich das Unternehmen zum alleinigen Hersteller von Messinstrumenten für die berühmten Glashütter Uhrenbetriebe. Später kamen Tachometer und Autouhren hinzu. Alles lief prächtig, bis die Zeit der Besatzung kam, die schließlich gleich in zwei Enteignungen des Betriebes mündete.

Zunächst gleich nach Kriegsende. Doch Hans-Jürgen Mühles Vater Hans war so schlau, im leerstehenden dritten Stock des Gebäudes, über dem enteigneten Betrieb, gleich wieder ein neues Unternehmen zu gründen. Dieses war der alleinige Hersteller von Zeigerwerken für Druck- und Temperaturmessgeräte in Ostdeutschland und wuchs und gedieh, bis es 1972 der letzten großen und umfassenden Verstaatlichungswelle zum Opfer fiel.

Aida-Schiffe und Bill Gates' Jacht ausgestattet

Es wurde in den VEB Glashütter Uhrenbetriebe eingegliedert, den Hans-Jürgen Mühle nach der Wende abwickeln musste. Massenhaft musste er Entlassungspapiere ausstellen, bis nur noch 80 von 2500 Mitarbeitern übrig waren. Als Mühle selbst gehen musste, musste er selbst Lehrgeld bezahlen. Er unterzeichnete einen Aufhebungsvertrag und bekam weder Abfindung noch Arbeitslosengeld.

"Immerhin war ich so schlau, die Kundenliste für Schiffschronometer und Schiffsuhren mitzunehmen", erzählt er. Damit baute er ab 1994 ein neues Unternehmen auf. "Meine Erwartungen wurden weit übertroffen. Ich hatte mit vier oder fünf, höchstens zehn Mitarbeitern gerechnet. Heute sind es 65", sagt er. Mehrere Aida-Kreuzfahrtschiffe sowie die Jachten von Bill Gates und vielen weiteren Prominenten stattete das Unternehmen schon aus - setzt mittlerweile aber vor allem auch auf Armbanduhren.

Information: Die Ausstellung ist bis zum 29. August im LEZ Fürth zu sehen (Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr).

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