Einrichtung wichtiger denn je

25 Jahre Tafel Erlangen: Auch in der reichen Stadt gibt es Menschen ohne Kochplatte

8.10.2021, 20:00 Uhr
Die Tafel Erlangen wird immer wichtiger, denn auch in der Hugenottenstadt gibt es zunehmend Menschen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. 

© Klaus-Dieter Schreiter, NN Die Tafel Erlangen wird immer wichtiger, denn auch in der Hugenottenstadt gibt es zunehmend Menschen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. 

Die Erlangerin Elke Bollmann kennt ihre Stadt, dachte sie zumindest bis ins Jahr 2019: Damals übernahm die heute 57-Jährige, die seit ihrer Geburt in Erlangen lebt, die Leitung der Tafel. Seitdem hat sich ihr Blick auf die Stadt und vor allem auf das Gefälle von Reich und Arm verändert.

"Ja", sagt sie dann auch, "ich war schon überrascht, als ich hier angefangen habe, man lebt halt doch in seiner Blase". Klar habe sie gewusst, dass es auch in der Hugenottenstadt mit einem bundesweit überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen Menschen mit niedrigem Einkommen gibt, sagt die Sozialwirtin und frühere Bankangestellte, "aber in dieser Form hätte ich das nicht gedacht."

Ausgabestellen in Erlangen und Herzogenaurach

Mit "in dieser Form" meint Elke Bollmann vor allem Quantität und Qualität der Armut: also zum einen die Besucher, deren Zahlen an den drei Ausgabestellen in Erlangen und Herzogenaurach immer mehr werden, und zum anderen das Ausmaß ihrer Bedürftigkeit. "Es gibt bei uns Menschen, die keine Küche oder noch nicht einmal eine Kochplatte haben".

Oft sind das Ältere, die ihr ganzes Leben lang sehr wenig verdient haben und im Ruhestand von einer winzigen Rente leben müssen. Oder Alleinerziehende sowie Familien mit kleinem Auskommen. Einige von ihnen stehen an diesem Mittwochmittag auch schon lange vor Öffnung der Ausgabe in der Schillerstraße und warten bis sie gegen ein paar Euro etwa Milch, Obst, Gemüse und Nudeln bekommen.

Chiara Gesper-Uhlemann und Helge Basten holen die Ware bei Bäckereien, Supermärkten oder Tankstellen ab und bringen sie dann zu den Ausgabestellen. 

Chiara Gesper-Uhlemann und Helge Basten holen die Ware bei Bäckereien, Supermärkten oder Tankstellen ab und bringen sie dann zu den Ausgabestellen.  © Klaus-Dieter Schreiter, NN

Andere wiederum schaffen den Weg zur Anlaufstelle selbst nicht mehr, sie sind dafür zu gebrechlich, zu schwach, trauen sich nicht aus dem Haus oder schämen sich einfach zu sehr, insbesondere im Alter, auf Lebensmittelspenden angewiesen zu sein.

Für all jene hat die Diakonie-Einrichtung seit 2017 mit dem Tafel-Mobil ein ganz besonderes Angebot. Dort bekommen Kundinnen und Kunden, wie die Hilfseinrichtung die Menschen nennt und ihren Besuch bei der Tafel damit einem Gang durch den Supermarkt gleichsetzt, einmal pro Woche im Stadtgebiet die Lebensmittel nach Haus geliefert.

Wie bei der Tafel insgesamt, deren Besucherzahl in den vergangenen Jahren auf aktuell rund 1600 Berechtigte angestiegen ist, wird auch die Liste der belieferten Menschen länger und länger und ist von anfangs zehn auf mehr als 40 Haushalte gestiegen. Kein Wunder, dass da auch die rund 160 Ehrenamtlichen gut im Einsatz sind und bleiben.

Mit dem Tafelmobil durch die Stadt

200 Stufen steigt Peter Wiesmüller bei jeder Tour, die Tafelmobil-Fahrt bringt ihn und eine weitere Ehrenamtliche bzw. einen weiteren Ehrenamtlichen durch verschiedene Häuser und Wohnblicks in der ganzen Stadt. Zehn bis 15 Kilo trägt das Tafel-Team dann pro Haushalt, eine körperliche, aber auch eine seelisch Last. "Die Menschen verlassen sich auf uns", sagt Wiesmüller, der 73 Jahre alt ist und seit zehn Jahren ehrenamtlich bei der Tafel aushilft.

Der Ehrenamtliche Peter Wiesmüller hilft seit zehn Jahren bei der Tafel Erlangen mit, seit einiger Zeit ist er mit dem "Tafelmobil" unterwegs. 

Der Ehrenamtliche Peter Wiesmüller hilft seit zehn Jahren bei der Tafel Erlangen mit, seit einiger Zeit ist er mit dem "Tafelmobil" unterwegs.  © Klaus-Dieter Schreiter, NN

Der gelernte Schriftsetzer war selbst einmal arbeitslos und weiß, wie schlimm das für ihn war und dass im Leben eben "nicht immer alles gerade läuft, sondern auch mal schief gehen kann".

Tafel-Leiterin Elke Bollmann ist mit Herz bei der Sache, würde sich aber freuen, wenn die Politik der Kluft von "Arm und Reich" mehr entgegenwirken würde. 

Tafel-Leiterin Elke Bollmann ist mit Herz bei der Sache, würde sich aber freuen, wenn die Politik der Kluft von "Arm und Reich" mehr entgegenwirken würde.  © Klaus-Dieter Schreiter, NN

Wiesmüller war, ebenfalls erstaunt, wie sich Arme auch im sogenannten reichen Erlangen über die Runden bringen müssen. Zur materiellen Armut kommt die soziale dazu.

Für einen Besuch im Cafe fehlt das Geld, sagt die Tafel-Chefin und "wenn man nicht gut angezogen ist, setzt man sich auch nicht in den Schlossgarten". So gut wie immer, berichtet Bollmann, seien die Ehrenamtlichen, die im Tafelmobil zu den Menschen fahren, für die Menschen der einzige Kontakt am Tag, und manchmal sogar in der ganzen Woche.

Peter Wiesmüller kann das nur bestätigen: "Man redet dann auch mal ein privates Wort", sagt er, "einige nennen uns die Engel der Erlanger Tafel". Im Gepäck haben Wiesmüller und die anderen Helferinnen und Helfer vor allem Essen in verschiedenen Varianten. "Die Kisten werden individuell gepackt", erzählt der Uttenreuther, "wir wissen bei jeder und jedem, was sie bekommt, wir haben Kunden, die können sich keine Zähne leisten und bekommen deshalb nur weiche Lebensmittel, oder auch Obdachlose, die zwar ein Zimmer, aber keinen Herd haben. Die kriegen dann etwas, das man sich ohne Kochen zubereiten kann."

Unterwegs zu Discountern, Bäckereien und Tankstellen

Pragmatismus ist also notwendig, wenn es um Armut geht - bei den Betroffenen und auch den Helferinnen und Helfern. Recht pragmatisch geht auch Helge Basten (58) ans Werk, der für die Tafel bei Supermärkten, Bäckereien, Tankstellen oder dem Erlanger Markt Lebensmittel abholt und sie zu den Tafel-Ausgabestellen fährt.

An diesem Tag hat der Siemens-Elektroingenieur extra einen Gleittag genommen und ist spontan für einen krank gewordenen anderen Ehrenamtlichen eingesprungen. "Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte die Tour ausfallen müssen und das wollte ich aus Respekt vor den Spendern, den Lebensmitteln und vor allem den Kunden nicht", sagt der Erlanger, der gemeinsam mit der Studierenden Chira Gesper-Uhlemann die Waren einsammelt.

Basten, der einen Lkw-Führerschein hat, fährt das Auto, die knapp 30-Jährige packt mit an. "Ich will jene unterstützen, die nicht auf der Sonnenseite stehen", sagt Basten. Für ihn ist es eine Frage der sozialen Verantwortung, sich um Bedürftige zu kümmern.

Er selbst ist seit gut eineinhalb Jahren bei der Tafel ehrenamtlich aktiv, damals hatte dieses Medienhaus darüber berichtet, dass die Anlaufstelle dringend Freiwillige sucht, da die überwiegend älteren Ehrenamtlichen mit Blick auf eine mögliche Corona-Ansteckung ihr Ehrenamt unterbrechen oder aufgeben mussten. Da hat sich dann Helge Basten gemeldet - und Leiterin Elke Bollmann war darüber sehr froh.

Denn die Pandemie hatte gleich in doppelter Hinsicht negative Folgen für die Tafel: Zum einen brachen eben die Ehrenamtlichen weg, zum anderen wuchs die Zahl der Bedürftigen immer mehr an: Menschen in prekären Beschäftigungen, die schon vor der Pandemie wenig verdienten, bekamen nun noch weniger und standen ebenfalls an den Ausgabestellen Schlange ebenso wie Mitarbeitende im Niedriglohnbereich oder schlechter bezahlten Jobs, die in Kurzarbeit fielen - und bei denen es dann ebenfalls nicht mehr zum Leben reichte.

Längst kommen die Bedürftigen auch aus dem gleichfalls als besonders wohlhabend geltenden Landkreis Erlangen-Höchstadt. "Wir haben Besucherinnen und Besucher aus Baiersdorf, Bubenreuth oder Spardorf", berichtet sie. Auch in Herzogenaurach, der Stadt mit den drei Weltfirmen und dem schmucken Marktplatz, gibt es Armut. Auch dort hat die Erlanger Diakonie eine eigene Ausgabestelle eingerichtet und auch dort vermeldet die Tafel steigende Zahlen.

Auch in der Aurachstadt nimmt Armut zu

Es sind wie an den beiden Erlanger Ausgabestellen auch in der Aurachstadt vor allem Familien mit einem niedrigen Erwerbseinkommen und Menschen mit Migrationshintergrund, die an der Tafel anstehen. Doch eines, betont Bollmann, ist in Herzogenaurach besonders deutlich: Es sind viele Russlanddeutsche, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, und viele Seniorinnen und Senioren, die im Herzogenauracher Norden die Tafel einmal pro Woche aufsuchen. Derzeit haben rund 50 bis 60 Menschen einen Berechtigungsschein.

Doch die Zahlen wachsen, in Erlangen, im Landkreis und in Herzogenaurach. "Es werden immer mehr Menschen Lebensmittelspenden benötigen", sagt Bollmann, "die Not nimmt zu, wenn Menschen, die im Niedriglohnbereich gearbeitet haben, in Rente gehen, wird das für ein Auskommen allein nicht reichen, die Altersarmut wird dramatischer."

Bollmann und ihre Ehrenamtlichen werden dann noch mehr Bedürftige versorgen und das auch gerne machen, solange die ausschließlich spendenfinanzierten Kapazitäten reichen. Zusätzlich zur Trägerschaft der Diakonie gibt es auch einen Förderverein, der die Arbeit unterstützt. Lieber aber wäre es der Einrichtungs-Chefin, wenn es in Deutschland gar keine Tafeln bräuchte, weil jede und jeder von seinem Einkommen auch wirklich leben könnte; an dieser Stelle wird die praktizierende Christin dann auch politisch. "Es wird immer Arm und Reich geben", sagt sie, "aber man könnte die Kluft verringern".

Dazu müsse ihrer Meinung nach der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben und die Sozialleistungen für Kinder und Jugendliche sowie eine Ganztagsbetreuung einschließlich Freizeitangeboten wie Sport oder Musik für alle Kinder gesichert werden. "Wir brauchen eine Neuausrichtung der Sozialpolitik in Deutschland", sagt Bollmann, "und das muss die neue Bundesregierung angehen."

So begeht die Tafel Erlangen das Jubiläum

Die Diakonie Erlangen hat für die Tafel Erlangen zum 25. Jubiläum ein interessantes Programm zusammengestellt. Los geht es am Samstag, 9. Oktober 2021, mit einem Tag der offenen Tür. "Wir wollen Türen öffnen und uns der Öffentlichkeit vorstellen", sagt Leiterin Elke Bollmann, "vielleicht will danach ja so mancher bei uns ehrenamtlich mitmachen". Die Veranstaltung findet zwischen 11 und 14 Uhr in der Ausgabestelle in der Schillerstraße 52a statt. Es gibt dort viele Informationen rund um die Einrichtung, eine Foto-Ausstellung und Aktionen für Kinder. Auch Oberbürgermeister Florian Janik und Sozialreferent Dieter Rosner überbringen dabei Glückwünsche.

Eine interessante Debatte zum Thema "Armut in einer reichen Stadt" gibt es am Donnerstag, 21. Okt. 2021 zwischen 18 und 20 Uhr im "Kreuz + Quer, Haus der Kirche, Bohlenplatz 1, in Erlangen. Bei der Podiumsdiskussion diskutieren unter anderem Michael Bammessel (Präsident und 1. Vorsitzender des Vorstands des Diakonischen Werkes Bayern), Elisabeth Preuß (ehemalige Bürgermeisterin und Sozialreferentin der Stadt Erlangen) über das Thema, die Moderation übernimmt Elisabeth Demleitner, stellv. Schulleiterin des Marie-The-rese-Gymnasiums, ggfs. gibt es zusätzlich eine digitale Lesung. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit Bildung-Evangelisch statt. Interessierte sollen sich bitte anmelden unter: bildung.evangelisch-er@elkb.de.

Eine Benefizlesung mit dem fränkischen Krimi-Autor Tommie Goerz gibt es am Mittwoch, 27. Oktober 2021, von 19 bis 20.30 Uhr ebenfalls im Kreuz + Quer, Haus der Kirche, Bohlenplatz 1 in Erlangen. Tickets (10 Euro, ermäßigt 8 Euro) gibt es bei: bei Kreuz + Quer, der Diakonie Erlangen, Raumerstraße 9, in Erlangen (Mo.-Do. 9.00 - 12.00 Uhr und 14 bis 16 Uhr sowie Fr 9.00 - 12 Uhr) sowie an der Abendkasse (Restkarten), evtl. gibt es die Lesung auch digital.

Die Tafel freut sich über weitere Ehrenamtliche. Interessierte melden sich bitte unter der Rufnummer (09131) 630129; viele Daten und Informationen zur Tafel Erlangen und zum 25. Jubiläum gibt es hier, Natürlich sind auch (Geld)Spenden herzlich willkommen: Spendenkonto unter anderem: Diakonie Erlangen bei der Sparkasse Erlangen, IBAN
DE46 7635 0000 0060 0258 74, BIC BYLADEM1ERH, Verwendungszweck: "Tafel“.

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